Umwelt:Der größte Mangrovenwald der Welt ist in Gefahr

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Bangladesch will in der Nähe eines geschützten Flusslabyrinths ein riesiges Kohlekraftwerk bauen. Umweltschützer sind entsetzt.

Von Arne Perras

Wenn sich die bengalischen Honigsammler auf den Weg in den Dschungel machen, beten sie zuvor die Göttin Bonbibi an. Die Hüterin des Waldes soll sie beschützen vor allen Gefahren, die zwischen Land und Ozean lauern. Die Gottheit Bonbibi trägt einen Dreizack und meistens reitet sie auf einem Tiger, der ihr ergeben ist.

Die Bauern haben es da etwas schwerer, sie müssen die Raubkatzen fürchten, die in den Mangrovenwäldern der Sundarbans auf Beutejagd gehen. Meistens reißen sie Hirsche oder Schweine. Aber manchmal holen sie sich auch einen Menschen, wenn sich ihnen diese Chance bietet.

Der Konflikt zwischen Mensch und Natur rückt in den Hintergrund

Es ist ein hartes und gefährliches Leben in den Mangrovensümpfen. Wer sich vorwagt in das riesige Labyrinth, wo die Ströme Ganges, Brahmaputra und Meghna in den Golf von Bengalen fließen, kann nicht immer sicher sein, lebend zurückzukehren.

Die Konflikte zwischen Menschen und Tigern haben im Laufe der Jahre viele Debatten ausgelöst, doch nun rücken sie plötzlich in den Hintergrund, weil ein anderer, viel größerer Streit um das Leben in den Mangroven entbrannt ist. Der Staat Bangladesch will mithilfe indischer Investoren ein riesiges Kohlekraftwerk, nur 14 Kilometer vom nördlichen Rand der Sundarbans entfernt, in der Nähe der Stadt Khulna bauen. Gegner laufen Sturm, weil sie fürchten, dass das Megaprojekt verheerende Folgen für die Mangrovenzone haben wird.

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:Die Sundarbans: Das größte Mangrovengebiet der Welt

Im größten Mangrovengebiet der Welt leben neben 13 Millionen Menschen auch viele seltene Tier- und Pflanzenarten.

Die Proteste werden schärfer, die Gegenwehr des Staates auch. In Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs, trieben Sicherheitskräfte erst vor wenigen Tagen Demonstranten mit Wasserwerfern und Tränengas auseinander. Premierministerin Sheikh Hasina duldet keine Kritik, sie versichert, das Kraftwerk Rampal sei keine Gefahr, die Proteste hätten keine Berechtigung und die Sundarbans seien sicher. Kritiker sehen das anders.

Alarmiert sind sie vor allem wegen des Transports gewaltiger Mengen Kohle, die vom Ozean den Pashur River hinauf, mitten durch die Mangrovenwälder, transportiert werden müssten, um das Kraftwerk zu befeuern. 3,8 Millionen Tonnen wären pro Jahr dafür nötig. Um die Kohle zu befördern, muss die Fahrrinne im Fluss erheblich vertieft werden. Die staatlichen Energiekonzerne Indiens und Bangladeschs wollen Rampal gemeinsam finanzieren, es soll knapp zwei Milliarden US-Dollar kosten.

Unesco-Experten, die sich 2016 mit den Risiken befassten, warnten vor massiver Verschmutzung der Luft und der Gewässer durch Kohleasche. Sie forderten, das Projekt fallen zu lassen oder an einen weniger riskanten Ort zu verlegen. Auch die Norweger zogen sich aus der Finanzierung des Kraftwerkes zurück und begründeten ihre Entscheidung mit einem "inakzeptablen Risiko schwerer Umweltschäden." Die Regierung in Dhaka hält an ihren Plänen fest.

Erst vor zwei Wochen sank in einem der Flüsse ein Kohlefrachter, nicht das erste Desaster dieser Art. 2014 kollidierten zwei Frachtschiffe und lösten eine Ölpest am Shela River in den Sundarbans aus, die Behörden ließen die Bewohner mit dem Dreck lange alleine. Das geplante 1320-Megawatt-Kraftwerk wird das Verkehrsaufkommen auf dem Wasser erhöhen, das Risiko weiterer Unfälle steigt.

In dem tropischen Flusslabyrinth gibt es viele seltene Tiere und Pflanzen

Die Regierung argumentiert, sie müsse den Staat aus der chronischen Energiekrise führen. Tatsächlich mussten die Menschen in Dhaka den Strom jahrelang rationieren. Jeden Tag stellte sich die Frage, ob die Lebensmittel im Kühlschrank die Strompausen überstehen würden. Inzwischen hat sich die Stromversorgung aber stark verbessert. 2012 hatte fast jeder zweite Bewohner gar keinen Strom, innerhalb der kommenden zehn Jahre sollen alle Haushalte versorgt werden. Bis 2022 will der Staat die Stromkapazitäten nahezu verdreifachen. Die Anthropologin Tahmima Anam schrieb in einem Aufsatz, dass diese Fortschritte für ihr Land beachtlich seien, doch fand sie auch, dass die Regierung ihre Energiepolitik nicht über die Köpfe der Bürger hinweg durchsetzen sollte. Mehrere Kraftwerkspläne sind umstritten, am stärksten sind die Proteste gegen Rampal, weil dort ökologisch am meisten auf dem Spiel steht.

Als größtes Mangrovengebiet der Welt sind die Sundarbans schon seit 1997 als Unesco-Welterbe aufgelistet; sie sind etwa fünfmal so groß wie der Spessart, 13 Millionen Menschen leben dort. Gleichzeitig bietet das tropische Flusslabyrinth in der Gezeitenzone zahlreichen seltenen Tier- und Pflanzenarten Raum, neben Tigern sind bedrohte Flussdelfine, Schildkröten und Otter zu finden.

Ein gewichtiges Argument gegen das Kraftwerk Rampal ist, dass die artenreichen Mangrovenwälder in Zeiten des Klimawandels ganz besonders gebraucht werden. Deren Zerstörung dürfte künftige Generationen teuer zu stehen kommen. Denn die bewaldeten Gezeitenzonen dienen als effektiver Küstenschutz, der nur schwer zu ersetzen ist. Die indische Umweltschützerin Prerna Singh Bindra besuchte die Sundarbans nach dem verheerenden Zyklon Aila im Jahr 2009. Was sie beobachtete, passt ins Bild: Die größten Verwüstungen waren überall dort zu sehen, wo Mangroven großflächig gerodet waren. Dort, wo der Wald dicht war, gab es dagegen kaum Sturmschäden.

© SZ vom 03.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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