Wirtschaftspolitik:Was die SPD jetzt tun muss

Die Partei sollte mit ihrem Kanzlerkandidaten Martin Schulz einen radikalen Kurswechsel vollziehen. Nur ein drastischer Neuanfang kann die Sozialdemokraten aus ihrem Tanz mit dem Untergang reißen.

Kommentar von Alexander Hagelüken

In der SPD können sie vor Kraft kaum laufen. Kanzlerkandidat Martin Schulz schenkt den frustrierten Genossen Umfragewerte, die sie lange vermissten. Anders als seine Vorgänger ist er momentan sogar populärer als die Kanzlerin. Das zentrale Wort in diesem Satz lautet allerdings nicht populär, sondern momentan: Der Aufwind dauert nur an, wenn Schulz klarmacht, warum jemand SPD wählen soll. Er könnte damit eine Lücke im Angebot der Parteien füllen und Deutschland einen Dienst erweisen.

Seine Aussichten stehen insofern gut, als bisher keiner weiß, warum er SPD wählen soll. Mit den harschen Hartz-Gesetzen hat sie ihren Markenkern Gerechtigkeit eingebüßt. Es war verheerend, parallel zu Reformen am Arbeitsmarkt die Steuern für Reiche zu senken und staatliche Wohnungen zu verscherbeln. Das hinterließ bei vielen Deutschen ein Gefühl, dass es unfair zugeht - und die SPD das verschlimmert. Ausgerechnet die SPD. Jetzt steht die Partei für alles mögliche, also für nichts. Ein bisschen Sozialpolitik bietet auch die CDU. Moderne Rollen für Frau und Familie bieten auch Grüne.

Ein Kurswechsel lohnt sich

Martin Schulz zu wählen, wird nur attraktiv, wenn er die SPD unterscheidbar macht. Dazu müsste er überzeugend durchdeklinieren, worin heute soziale Gerechtigkeit besteht. Das tut derzeit keine Partei, obwohl sich die Menschen danach sehnen. Globalisierung und technischer Fortschritt lassen Jobs unsicherer werden. Die Löhne vieler Beschäftigter stagnieren, die Mittelschicht schrumpft. Wie kann es sein, dass drei Viertel aller Akademikerkinder studieren, aber nur jedes vierte Arbeiterkind? Wie kann es sein, dass die meisten Deutschen in ihrem harten Berufsleben weniger ansparen als Bürger im großen Rest Europas?

Schulz könnte darauf Antworten geben, die so eindeutig keiner gibt. Rieseninvestitionen in Bildung, die sozialen Aufstieg ermöglichen. Mehr Rechte für Gewerkschaften, faire Löhne auszuhandeln. Weniger Steuern und Sozialbeiträge für die breite Masse, damit sie besser lebt und Vermögen bildet. Solche eindeutigen Botschaften kosten Geld. Sie erfordern, dass sich die SPD nicht mehr bei allen lieb Kind macht wie heute, da sie Unternehmer genauso zu betören sucht wie gesellschaftliche Traditionalisten. Also: Kein Kuschelkurs mehr gegenüber Familienfirmen, die den Millionenbetrieb steuerfrei vererben möchten. Kein Artenschutz für das EU-weit einmalige Steuersplitting, das Frau-am-Herd-Ehen mit 20 Milliarden Euro im Jahr fördert.

Öffentliche Investitionen statt schwarzer Null

Ein Kurswechsel lohnt sich auch in der Frage, wie sich Deutschland in Europa verhält. Mit Europa gewinnt keiner Wahlen? Im Kern geht es um deutsche Arbeitnehmer und deutsche Schulen. Das Land hat seine Löhne herunterkonkurriert und seine Investitionen eingefroren. Seine Exportdominanz erschwert die wirtschaftliche Erholung der Nachbarstaaten und befeuert den Dauerstreit, der seit der Eurokrise tobt. Doch gerade in Zeiten von Donald Trump sollte Europa stärker werden, nicht schwächer. Der Ex-EUler Schulz könnte eine Versöhnung anstoßen und dafür einen deutschen Beitrag anbieten: Höhere Bezahlung und öffentliche Investitionen statt Lohnzurückhaltung und schwarzer Null. Davon profitiert der Rest Europas genauso wie Arbeitnehmer, Schüler und Datennetze in Deutschland.

Schon klar, das klingt nach reichlich viel Kurswechsel für die SPD. Doch Weiterwursteln ist keine Alternative. Der Reiz des neuen Gesichts wird abebben, die Umfragen bröckeln. Nur ein echter Neuanfang reißt die Partei aus ihrem Engtanz mit dem Untergang - und gibt jenen Bürgern eine Heimat, die sich abgehängt fühlen oder den Abstieg fürchten.

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