Biografie:Lebenslänglich Kunst

Der Galerist Heiner Friedrich hat auf dem ehemaligen Fabrikgelände seines Vaters in Traunreut das Museum Maximum geschaffen. In einer fünften Halle zeigt er jetzt Werke von Walter de Maria und Blinky Palermo

Von Sabine Reithmaier

Wie intensiv die Farben schimmern. Das Rot nimmt das Blau in den Arm, das Gelb umschlingt das Weiß, und grün schliert es im Fensterglas. Heiner Friedrich wandert an Dan Flavins "European Couples" entlang, bleibt vor jeder der neun Eckinstallationen stehen, lässt sie wirken. "Du musst die Kunst sprechen lassen", sagt er dann, ein Satz, den er an diesem Tag schon mehrmals wiederholt hat.

Verglichen mit den anderen Hallen des Traunreuter Museums Maximum ist das Flavin-Gebäude klein. Dafür hat Friedrich einen besonderen Bezug dazu. "Ich bin darin zur Schule gegangen." Damals stand das Haus noch in Altenmarkt, wo Friedrichs Vater Harald 1945 die Werkzeugmaschinenfabrik Alzmetall gegründet hatte. Später kaufte er das Areal in Traunreut dazu, schuf mit den Werkhallen den Grundstock für das spätere Museum seines Sohnes. Und jetzt hat in dem hölzernen Schulhaus eines der frühen Hauptwerke des Lichtkünstlers eine "dauerhafte Setzung" gefunden, letzteres auch so eine Wortkombination, die Friedrich oft verwendet und die auch für das 2011 von ihm gründete Maximum zutrifft. Heißt, es gibt keine wechselnden Ausstellungen, keine Besuchermassen, keine Kunsthistoriker-Erläuterungstexte. Nur erstklassige Werke von Flavin, Andy Warhol, John Chamberlain, Walter de Maria, Georg Baselitz, Imi Knoebel, Uwe Lausen, Blinky Palermo und Maria Zerres in fünf Hallen.

Friedrich schlittert vorsichtig über den eisigen Weg hin zu der zweigeteilten Halle, in der seit September Walter de Maria und Blinky Palermo präsentiert werden. In seiner Jugend hat er auf dem ehemaligen Firmengelände oft Sonntagvormittage verbracht, mit dem Vater in dessen kleinem Büro geredet. Der hätte es gern gesehen, wenn der Sohn in die Firma eingetreten wäre. "Das verstand ich gut, aber ich sagte, ich könnte das nicht entscheiden, bevor ich nicht wüsste, was ich zu entscheiden habe." Allein der Satz müsste dem Vater schon signalisiert haben, dass der Sohn doch besser Philosophie studieren sollte, was er später auch tat. Den Ausschlag gab ein Unfall auf einer Maschinenmesse in Hannover, als eine Bohrmaschine den 17-Jährigen so schwer verletzte, dass er nur knapp überlebte. "Da sagte Vater: Du weißt, was ich will, aber du kannst dich frei entscheiden." Der Sohn studierte Maschinenbau, Literatur, Philosophie, brach aber alles ab, um ein legendärer Galerist zu werden, um das Etikett zu zitieren, mit dem er am häufigsten gerühmt wird.

Über sich will er erst nicht reden. Den Begriff "ich" benutzt er ungern, ein enges Ich habe nichts Wesentliches zu sagen. "Kunst hat die Kraft, in uns Gegenwart zu inspirieren." Ihm sei es gelungen, seinen Lebensauftrag zu erkennen: Kunstwerken zu dienen und sich mit aller Stärke um dauerhafte Setzungen zu kümmern. Woher nimmt er die Kraft, sich seit Jahrzehnten so kompromisslos für zeitgenössische Kunst einzusetzen? Friedrich überlegt kurz. "Die Kraft kommt aus meiner Kindheit." Unfälle und Fast-Toderfahrungen hätten sein Leben getragen. "Eigentlich bin ich ja schon tot geboren."

Biografie: Himmelwärts? Heiner Friedrich hat Blinky Palermo sein gesamtes künstlerisches Leben lang begleitet. Palermo starb 1977, nur 34 Jahre alt. Dieses Gemälde ohne Titel (1966) hängt im Maximum.

Himmelwärts? Heiner Friedrich hat Blinky Palermo sein gesamtes künstlerisches Leben lang begleitet. Palermo starb 1977, nur 34 Jahre alt. Dieses Gemälde ohne Titel (1966) hängt im Maximum.

(Foto: Franz Kimmel)

Heiner Friedrich kam als zweiter Zwilling zur Welt, mit den Füßen voran, leblos, unerwartet. "Niemand hat mit mir gerechnet." Das war im April 1938 in Schwerin. Im Oktober zog die Familie nach Berlin, die frühe Kindheit war "das unvorstellbare Chaos des Zweiten Weltkriegs". Im Februar 45 verließ die Mutter mit den drei Kindern das zerstörte Berlin, schlug sich durch nach Bayern. Und hier passierte etwas "Unfassbares", was Friedrich in Ekstase versetzte. "Ich bin der Natur begegnet."

Die Naturbegeisterung war der Anfang. Dann entdeckte er, ohne eine Beziehung zur Kunst zu haben - "meine Eltern waren mit dem Neubau einer Existenzgeschichte beschäftigt" - in Padua die Cappella degli Scrovegni mit Giottos Freskengemälde. "Ich lief rein, war da und schaute." Diese "Offenbarung" (Friedrich) prägte ihn, beinhaltete sie doch genau das, was er später immer wieder umsetzte: ein Raum, ein Künstler, dauerhaft.

Als er 1963 mit Franz Dahlem und Six Friedrich in der Maximilianstraße die erste Galerie eröffnete, war von Dauer noch nicht die Rede. Die Ausstellungen wechselten schnell, ungewöhnlich war nur das Programm. Durchweg zeitgenössische Künstler, die keiner kannte. 1964 etwa Gerhard Richter, Cy Twombly, Andy Warhol, John Chamberlain; die beiden letzteren blieben Konstanten im Ausstellungsprogramm, genauso wie die Protagonisten der Minimal Art, der Konzeptkunst und der Land Art: Sol LeWitt, Carl Andre, Dan Flavin, Walter de Maria, Michael Heizer und, 1966 zum ersten Mal, der 22-jährige Palermo, dessen Bilder Friedrich in der Düsseldorfer Akademie gesehen hatte.

Die ständigen Wechsel habe er zunehmend als belastend empfunden, erinnert sich Friedrich. Es handelte sich ja nie um schnelle Hängungen. Meist entwickelten die Künstler vor Ort ihr Konzept, arbeiteten raumbezogen. Für de Marias "Earthroom" wurden die Galerieräume 60 Zentimeter hoch mit 50 Kubikmetern Erde gefüllt. Darüber hingen an den Wänden jene "Large Landscapes", die jetzt im Maximum sind. Große weiße Zeichenblätter, auf denen erst nichts zu erkennen ist. Nur wer ganz nahe herantritt, entdeckt einzelne Begriffe wie Sky, Trees, Grass oder Sun. Konzeptkunst pur. 1968 fand die Ausstellung kaum Publikum - "höchstens zehn Leute". Seit 1981 ist der Erdraum in der von Friedrich mitbegründeten Dia Art Foundation in New York zu sehen. Mit deren finanzieller Hilfe verwirklichte er de Marias "Lightning Field" in New Mexico oder dessen "Vertikalen Erdkilometer" in Kassel. Immer geht es darum, Kunst auf Dauer zu installieren.

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Seit Jahrzehnten im Dienst der Kunst: Heiner Friedrich.

(Foto: Franz Kimmel)

München hatte er 1971 verlassen. "Ich sah keine Zukunft mehr für mich." Seit 1969 hatte er sich dafür eingesetzt, anlässlich der Olympischen Spiele spektakuläre Kunstprojekte zu verwirklichen. Lang sah es so aus, als würde es glücken, bis im Oktober die Nachricht kam, alle Projekte seien abgelehnt. "An dem Tag bin ich ausgewandert." Aber es gab 1971 einen zweiten Schicksalsschlag. Friedrichs älterer Bruder Holger, auto- und maschinenbegeistert wie der Vater, stürzte mit einem Flugzeug ab. "Ein großes Drama."

Wie Energiefelder liegen Walter de Marias offene Polygone aus flachem glänzendem Stahl am Boden, in der Ferne leuchten Palermos kleine Bildtafeln in Rot, Schwarz und Weiß. Wohl gemerkt, aus der Ferne, Friedrich würde nie zulassen, dass eine Skulptur Bilder möbliert. Als die neue Halle eröffnet wurde, bestand er auf zwei verschiedenen Einladungskarten, eine für Palermo, eine für de Maria.

Friedrich pilgert an den frühen Holzarbeiten de Marias vorbei Richtung Palermo, den er "lebenslänglich" betreut hat, verharrt vor den schwebenden "Tageszeiten", denen das milde durch das Dach einfallende Licht schmeichelt. Künstliche Beleuchtung gibt es im Maximum nicht. Wenig erstaunlich, dass Friedrich vom normalen Kunstbetrieb wenig hält. Die kommerzielle Seite sei eine einzige Störung, "eine Verrennung in Sensation". Je mehr Ausstellungen, desto weniger würden Menschen Kunst wahrnehmen. Da sei es viel besser, so lange wie möglich im Maximum zu bleiben und zu warten. Bis die Kunst spricht.

Maximum, Fridtjof-Nansen-Str. 16, Traunreut, Winterzeit Sa./So., 11-16 Uhr, Sommerzeit 12-18 Uhr

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