EU:Polen gegen Polen

EU summit after British referendum to leave bloc

Von 2007 bis 2014 war Donald Tusk Polens Ministerpräsident. Dann wechselte er in die EU-Politik.

(Foto: dpa)
  • EU-Ratspräsident Tusk hat den EU-Sondergipfel von Malta genutzt, um seine erneute Kandidatur zu erklären.
  • Dem Vorsitzenden der PiS-Partei ist das ein Dorn im Auge.
  • Am Dienstag reist Kanzlerin Merkel nach Warschau. In Brüssel knüpft man an das Treffen hohe Erwartungen.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Die Angelegenheit ist speziell. So speziell wie der Politiker, mit dem Angela Merkel sie zu besprechen hat. Wenn die Bundeskanzlerin an diesem Dienstag in Warschau Polens starken Mann Jarosław Kaczyński besucht, muss sie mit ihm über jene Person reden, zu der der Parteichef seit vielen Jahren eine innige Erzfeindschaft pflegt: EU-Ratspräsident Donald Tusk. Der Nationalkatholik Kaczyński hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er Polens früheren liberal-konservativen Ministerpräsidenten lieber vor Gericht sähe als an der Spitze des Europäischen Rates. Was zu dem Problem führt, das Merkel in Warschau wohl gerne lösen würde.

Tusk nämlich hat den EU-Sondergipfel von Malta am Freitag genutzt, um seine erneute Kandidatur zu erklären. Seine Amtszeit läuft nach zweieinhalb Jahren Ende Mai aus, beim EU-Gipfel im März können die Staats-und Regierungschefs ihn wiederwählen. Viele hätten ihm ihre Unterstützung ausgesprochen, sagte Tusk in Valletta. "Ich bin bereit, meine Arbeit fortzusetzen, aber das hängt von der Entscheidung der Staats- und Regierungschefs ab", erklärte er. Das ist nicht ganz so einfach, wie es klingt. Der Präsident des Rates wird mit qualifizierter Mehrheit gewählt. Mit dieser kann Tusk eigentlich rechnen. Allerdings stehen die Staats- und Regierungschefs vor der heiklen Frage, ob sie wirklich einen Polen gegen den Willen Polens im Amt bestätigen sollen.

Als Tusk 2014 nach Brüssel wechselte, war in Warschau noch seine liberal-konservative Bürgerplattform (PO) an der Macht. Mit dem Wahlsieg von Kaczyńskis nationalistischer Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hatte es Tusk dann aber plötzlich mit einer ihm feindselig gestimmten Führung in der Heimat zu tun. Immer wieder machte Kaczyński dunkle Andeutungen über eine angebliche Verwicklung Tusks in das, was er für eine Verschwörung hält, die 2010 zum Tod seines Zwillingsbruders und damaligen Staatspräsidenten Lech Kaczyński bei einem Flugzeugabsturz in Russland geführt hat. Jarosław Kaczyński ist zwar lediglich Parteichef, übt aber die eigentliche Macht in Warschau aus. Ministerpräsidentin Beata Szydło gilt als reine Befehlsempfängerin.

Hohe Erwartungen an das Treffen Merkels mit Kaczyński

An die Begegnung Merkels mit Kaczyński, der eher selten ausländischen Besuch empfängt, werden daher gerade in Brüssel hohe Erwartungen geknüpft. Zum einen, weil Polen sich bislang weigert, im Streit über Einschnitte in den Rechtsstaat nennenswert auf die EU-Kommission zuzugehen. Zum anderen wegen der Personalie Tusk. Merkel könnte, so die Hoffnung, Kaczyński von seinem Widerstand abbringen. Aus Sicht des Polen wird wohl eher andersherum ein Schuh daraus: Vermutlich wird er die Staats- und Regierungschefs durch die Kanzlerin davor warnen lassen, Polen durch die Wiederwahl Tusks zu brüskieren.

Allerdings wäre es aus Sicht etlicher EU-Staaten ein Unding, Tusk fallen zu lassen. Zwar haben sich die meisten Regierungen mit Kritik am Umgang der Pis mit dem polnischen Verfassungsgericht zurückgehalten, einen Triumph in Sachen Tusk wollen sie der oft hart und kompromisslos auftretenden Warschauer Führung aber dann doch nicht liefern. Die unverhohlene Sympathie, die Kacyńskis Leute für den rechtspopulistischen US-Präsidenten Donald Trump gezeigt haben, hat die polnische Regierung - gemeinsam mit der ungarischen - überdies noch weiter isoliert. Zwar fanden einige in der EU Tusks Äußerungen über die Gefahr, die von Trump für Europa ausgeht, etwas zu direkt, inhaltlich traf er aber durchaus den Ton.

So kann Tusk auch auf die Unterstützung sozialdemokratischer Regierungschefs setzen, die es sonst wohl gerne sähen, wenn neben dem EU-Parlament und der EU-Kommission die Christdemokraten nicht auch noch den Rat führen würden. Gerüchte, dass Frankreichs sozialistischer Noch-Präsident François Hollande Interesse an der Ratspräsidentschaft angemeldet haben soll, fanden in Brüssel jedenfalls keinen großen Widerhall. Auch die Liberalen signalisierten Unterstützung für Tusk. Der Ratspräsident konnte in Valletta sichtlich erfreut vom neuen Spitznamen berichten, den ihm die Ratsmitglieder zur Unterscheidung vom neuen amerikanischen Präsidenten gegeben hätten: "Unser Donald".

Korrektur: In einem Verweis auf diesen Text im Newsletter SZ-Espresso und im Vorspann wurde Jarosław Kaczyński irrtümlicherweise als Ministerpräsident Polens bezeichnet. Er hatte das Amt von 2006 bis 2007 inne. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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