BKA-Gesetz:Babylonisches Gewirr

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BKA-Chef Holger Münch (von links) mit den Ministern Heiko Maas und Thomas de Maizière sowie Angela Merkel nach dem Terroranschlag im Dezember. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Das geplante BKA-Gesetz will Daten der Polizei bundesweit zusammenführen, ohne strikte Zweckverwendung. Der Entwurf verabschiedet sich damit von einem Grundprinzip des Datenschutzes.

Von Ronen Steinke, München

Es beginnt mit einer Fahrt über die Autobahn. Wenn Ermittler aus zwei Bundesländern gemeinsam an einem Kriminalfall arbeiten wollen, müssen sie bislang meist physisch einen Computer in den Kofferraum packen und vom einen Land ins andere kutschieren. Der Grund: Die Kripo-Software ist überall verschieden, die Programme sind schlecht kompatibel. Artus zum Beispiel, eine Software zur "Vorgangsbearbeitung", welche die Bundespolizei entwickelt hat, wird nur noch in Schleswig-Holstein, Bremen und von der Polizei des Bundestages genutzt; sonst nirgends.

Es stehen dann zwei Rechner nebeneinander, die Ermittler geben per Hand dieselben Informationen in zwei Rechner parallel ein, anders geht es bislang nicht. So umständlich erleben es derzeit, kopfschüttelnd, die Kripo-Leute, die gegen reisende Einbrecher-Gruppen ermitteln sollen - vor allem im Süden der Republik, wo sich Bundesländer für den Zweck ihrer Einbrecher-Jagd zu "Verbünden" aus drei oder vier Ländern zusammengetan haben.

Viele Landesregierungen lassen sich ihre IT maßschneidern. Jede probiert, was für sie am besten funktioniert. Im Idealfall brächte das eine Konkurrenz um die beste Lösung. Die Realität sehen Kriminalisten oft trister: als ein babylonisches Sprachgewirr. "Inkompatible IT-Infrastrukturen", so hat der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, im vergangenen November bei einer Tagung gesagt, fräßen Zeit, die niemand habe.

Dietrich Urban vom Bund Deutscher Kriminalbeamter kennt viele Versuche, technische "Schnittstellen" zwischen den Ländern zu schaffen. Dass damit "ein operatives Arbeiten möglich wäre, gehört in den Bereich der Fabel", sagt er. Im neuen BKA-Gesetz, dessen Entwurf am vergangenen Mittwoch im Bundeskabinett beschlossen wurde, ist der Datenaustausch deshalb das vielleicht größte Reform-Thema. Die elektronische Fußfessel für islamistische "Gefährder" ist schlagzeilenträchtiger. Aber der Datenaustausch prägt den Alltag.

Bislang ist es so: Nur eines von mehreren konkurrierenden sogenannten Fallbearbeitungs-Programmen ist überhaupt in der Mehrheit der Bundesländer in Gebrauch, nämlich in elf Ländern sowie beim BKA und der Bundespolizei. Es heißt rsCase. Wenn ein Terroranschlag verübt wird, dann sehen die Einsatzpläne deshalb vor, dass dies das Programm der Wahl ist. Wer etwas herausfindet, soll seine Erkenntnisse in rsCase eintippen und mit allen anderen teilen. Mithilfe einer Datei namens "GED (Gemeinsame Ermittlungsdatei) Zwischenlösung". Ganze fünf Bundesländer haben mit diesem Programm aber keinerlei Arbeitserfahrung.

Nach den Vorstellungen der Bundesregierung soll das BKA künftig die Datenströme stärker zusammenführen. Das BKA hat dazu im vergangenen Jahr schon einen ersten Schritt unternommen, mit dem Ziel der "Homogenisierung und Standardisierung" der Datenflüsse, wie die Bundesregierung in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Grünen im Mai erklärte. Der vom BKA 2016 eingeführte "Polizeiliche Informations- und Analyseverbund" (Piav) von Bund und Ländern folgt der Idee: Jedes Land kann seine Software-Eigenheiten behalten, Hauptsache es übersetzt seine Erkenntnisse gleichzeitig auch in die gemeinsame Sprache und pflegt sie parallel bei Piav ein. Das funktioniert mäßig, berichten Kripo-Leute. Den Ländern ist die Doppelarbeit lästig, das BKA übt keinen Druck auf sie aus. BKA-Chef Münch kommt aus der Bremer Landespolizei. Dort habe er sich Belehrungen vom Bund auch stets verbeten, sagt er. Der Bund könne allenfalls Dienstleister für die Länder sein.

Der Entwurf verabschiedet sich ausdrücklich von einem Grundprinzip des Datenschutzes

Das BKA-Gesetz soll auch in Zukunft nicht den IT-Wildwuchs in den Bundesländern zurückschneiden. Die Hoheit der Länder bleibt unangetastet. Stattdessen macht das BKA den Ländern ein Angebot. Beim BKA sollen künftig nicht mehr nur selektiv Daten zu einzelnen, speziell definierten Themen gesammelt werden, in Bund-Länder-Dateien namens "Gewalttäter Sport" oder "Rocker". Es gibt Dutzende solcher Datentöpfe. Das BKA will sie ausleeren. Daraus soll ein Eintopf werden. Mit einem Klick wären dann alle Datenbestände gleichzeitig durchsuchbar. Die Polizei könnte gewissermaßen googeln in ihrem kompletten Datenmaterial, anstatt stets einzelne Anfragen an speziell definierte Dateien stellen zu müssen. Es wäre der Schritt ins Zeitalter des Big Data. Die Neuerung soll es für die Länder reizvoller machen, sich am Datenaustausch über Piav zu beteiligen. Es ist die Einladung an die Länder, ihr komplettes Wissen mit den anderen Polizeibehörden zu teilen, nicht mehr nur begrenzt auf einzelne Themen.

Im Wege steht dabei ein Grundprinzip des Datenschutzrechts - und von diesem verabschiedet sich das geplante neue BKA-Gesetz ausdrücklich. Bislang ist es so: Wer bei der Polizei eine Vermisstenanzeige aufgibt, darf darauf vertrauen, dass seine persönlichen Daten nur in dem Datentopf für Vermisstenfahndungen landen und allein für diesen Zweck verwendet werden. Jeder der vielen Datentöpfe beim BKA gehorcht bislang einer solchen Zweckbindung, festgelegt durch eine Anordnung aus dem Bundesinnenministerium. Durch die Reform sollen diese Zweckbindungen gelöst werden, die Daten könnten dann zu verschiedenen Zwecken ausgelesen, verarbeitet und weitergeteilt werden.

© SZ vom 07.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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