Architektur:Gegen die Mauschelei

Architekturwettbewerbe sind intransparent - dafür ist die Posse um den Münchner Konzertsaal ein gutes Beispiel. Wer große Baukunst will, muss Ausschreibungen radikal öffnen.

Von Gerhard Matzig

Stephan Braunfels ist der legitime Erbe von Frank Lloyd Wright. Von Wright, dem amerikanischen Architekten einer frühen Moderne, gibt es die Erzählung, wonach er vor Gericht als Zeuge vereidigt wurde. Die Frage nach Name und Beruf soll er so beantwortet haben: "Ich heiße Frank Lloyd Wright und bin der bedeutendste Architekt der Welt." Später wollte jemand von ihm wissen, ob er immer so furchtbar prahle. Wright: "Ich konnte nicht anders - ich stand doch unter Eid."

Diese Geschichte lehrt zweierlei. Erstens: Das Selbstwertgefühl von Architekten grenzt manchmal ans Wunderbare. Das beginnt spätestens mit dem altägyptischen Baumeister Senenmut, der vor dreieinhalbtausend Jahren lebte und von sich wusste: "Ich war der Größte der Großen." Und es endet noch lange nicht mit dem Franzosen Claude-Nicolas Ledoux, der im 18. Jahrhundert meinte, Architekten seien die "Herausforderer des Schöpfers". Womit man - Lehre Nummer zwei - wieder bei Stephan Braunfels ankommt. Der hat zwar nicht den Schöpfer, aber Bayerns CSU-Chef Horst Seehofer herausgefordert.

Braunfels geht mit allen rechtlichen Mitteln und zusehends erfolgreich gegen seinen Ausschluss vom Wettbewerb für den Münchner Konzertsaal vor. Der 66-Jährige war zuvor nicht zum Wettbewerb für die neue Philharmonie zugelassen worden, die von 2018 an im "Werksviertel" am Ostbahnhof entstehen soll. Kulturpolitisch ist das Projekt das zurzeit ehrgeizigste Vorhaben in Bayern.

Der Fall Braunfels ist mehr als eine Posse. Er ist ein Indiz für ein System in Schieflage

Braunfels klagte gegen den vom Staatlichen Bauamt vertretenen Freistaat und erhielt jetzt zum Teil recht. Der Freistaat muss nun prüfen, ob Braunfels nachträglich zum Wettbewerb zugelassen wird. Das könnte zu signifikanten Verzögerungen eines überaus ambitionierten, womöglich auch überambitionierten Zeitplans führen. Zudem ist es eine schallende Ohrfeige für die offenkundig schlampig bis unfair agierenden Wettbewerbsauslober.

Tatsächlich sind starke Zweifel begründet. Nicht an der Fähigkeit Bayerns oder Münchens, einen Konzertsaal zu realisieren - auch wenn man sich manchmal angesichts der Historie des Projekts an die unendliche Geschichte erinnert fühlt. Die per Kammerbeschluss dokumentierten Zweifel an der Redlichkeit des Verfahrens lassen einen auch nicht am querulatorisch begabten Braunfels verzweifeln - auch wenn dessen in der Öffentlichkeit herumgereichte Tiraden gegen den Freistaat zunehmend mit einem geradezu wrighthaften Bedeutungswahn einhergehen: "Obwohl ich ... bekannt und berühmt bin, wurde ich nicht zum Wettbewerb eingeladen."

Nein, Braunfels hat schlicht in der Sache recht. Sein Ausschluss vom Verfahren war falsch und muss korrigiert werden. Es ist völlig unverständlich, warum dieser Wettbewerb ohne seine enorme Baukunst-Expertise auskommen soll.

Doch geht es weder nur um ihn noch nur um den Freistaat, München oder nur um den Konzertsaal. Der Fall Braunfels weist weit über die Grenzen einer lokalen Architekturposse hinaus: Es geht vor allem um die Zukunft des immer stärker unter Beschuss stehenden Instruments Architektenwettbewerb. Und somit um einen der wichtigsten Stützpfeiler der Baukultur. Der mitunter bizarre Rechtsstreit Braunfels vs. Freistaat (eine Geschichte für sich) birgt jedenfalls auch den Hinweis, dass im Wettbewerbswesen etwas in gefährliche Schieflage gerät. Der Grund dafür ist nicht zuletzt die rasante Wandlung von offenen zu nicht-offenen Verfahren, die schon seit einigen Jahren zu beobachten und die - wie sich nun abermals zeigt - auch zu befürchten ist.

Es braucht mehr offene, transparente Architektenwettbewerbe

Zur Erinnerung: Durchgeführt wurde in München zum Bau des Konzertsaals das, was Experten als "Planungswettbewerb innerhalb des Vergabeverfahrens der VgV" bezeichnen, wobei die VgV die Vergabeverordnung ist, also die "Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge". Das alles hört sich schon schlimm genug an. Gemeint ist eine Konkurrenz bereits namhafter Büros, an der sich im Gegensatz zu offenen Verfahren nicht alle Architekten beteiligen dürfen. Es ist ein Wettbewerb mit Numerus clausus, wobei die Beschränkung dazu führen kann, unliebsame Kandidaten gezielt vor der Tür zu lassen.

Wobei es auch den umgekehrten Fall gibt. In einem ganz ähnlichen (wenn auch nach der älteren Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen, VOF, durchgeführten) Wettbewerb mit Zulassungsbeschränkung wurde zuletzt etwa der Entwurf von David Chipperfield zum Sieger erkoren. Chipperfield soll nun, ebenfalls in München, das Haus der Kunst sanieren. Er soll von vorneherein der Wunschkandidat gewesen sein. Waren Mitbewerber also im Grunde chancenlos?

Wettbewerbe sollten grundsätzlich offen sein - und geschlossen nur für unwürdige Mauscheleien

Dass die nicht-offenen Verfahren, bei denen der Auslober nach je eigenen Kriterien das Feld der Konkurrenz gestalten darf, in die eine oder andere Richtung offen sind für manipulative Energien, ist in der Branche schon lange ein ziemlich offenes Geheimnis. Das ändert aber nichts daran, dass die Bauherrenseite immer wieder davon Gebrauch macht. Beschränkt waren in diesem Sinn auch die Wettbewerbe zur Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses oder zum Museumsprojekt am Kulturforum. Gegen das eine Verfahren wurde, gegen das andere wird vermutlich noch geklagt.

Fast müsste man also zum Ergebnis kommen, der Bau der Elbphilharmonie in Hamburg stelle wohl den Idealfall dar: Die Architekten des grandiosen Bauwerks, Jacques Herzog und Pierre de Meuron, wurden einfach ohne jeden Wettbewerb direkt beauftragt - wie einst im Absolutismus. Leider war das ein Verstoß gegen das europäische Vergaberecht, und insofern verbietet sich der Schluss denn doch, auch wenn Hamburg ein Happy End erlebte. Naheliegender ist der Schluss, wieder mehr offene, transparente Architektenwettbewerbe mit unbegrenztem Zugang zu fördern. Das würde nicht nur jüngeren, weniger arrivierten Talenten entgegenkommen, sondern auch jüngere und ungewöhnlichere Ideen in die Architektur tragen.

Als Günter Behnisch in den Sechzigerjahren dank einer kühnen Jury den allseits offenen Wettbewerb zum Bau des Münchner Olympia-Areals gewann, war er nahezu ein Niemand in der Architektur. Und vom Projekt wusste niemand, ob man es überhaupt würde realisieren können. Das Ergebnis: herausragende und heute weltbekannte Baukunst. So müssen Wettbewerbe sein. Offen. Und geschlossen nur für unwürdige Mauscheleien.

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