Ryan Adams im Interview:"Das Ding, das deine verdammte Seele in ihren Grundfesten erschüttert"

Ryan Adams

Wenn es um Liebe geht, ist er überqualifiziert: Ryan Adams.

(Foto: Dan Hallman/Invision/AP)

Der Musiker Ryan Adams ist der vielleicht beste Interviewpartner, um über Liebe zu sprechen. Wir haben es versucht - mit, sagen wir, unerwartetem Ergebnis.

Interview von Julian Dörr

Würde man den Erfolg eines Pop-Musikers nach geretteten Teenagerseelen bemessen, Ryan Adams wäre unter den besten Drei sicher gesetzt. Seit mehr als zwei Jahrzehnten spielt sich dieser Mann durch die Höhen (weniger) und Tiefen (mehr) der Liebe - ob mit seiner Band Whiskeytown oder solo. Es gibt wenige Künstler, die das menschliche Beziehungschaos so tief und umfassend durchmessen haben wie der Musiker aus den US-Südstaaten. Er war "So Alive" und fragte sich "How Do You Keep Love Alive?". Er gab sich "Sweet Illusions" hin und entschuldigte sich dafür, dass er sich selbst das Herz brach. Liebe ist bei Ryan Adams wechselweise ein Dinner unter Sternenhimmel, die Hölle, eine Abrissbirne oder - wie auf seiner neuen Platte "Prisoner" - ein Gefängnis. Ein besseres Gegenüber, um über die Liebe zu sprechen, gibt es kaum. Dachten wir. Und, nun ja, wir haben es versucht. Mit unerwartetem, aber zufriedenstellendem Ergebnis. Aber lesen Sie selbst.

SZ.de: Mr. Adams, die Idee war, mit Ihnen über die Liebe zu sprechen.

Ryan Adams: Da bin ich vielleicht überqualifiziert.

Ist das beste Liebeslied ein trauriges Liebeslied?

Nein.

Was ist das beste Liebeslied?

Eine sehr subjektive Frage. Hängt nämlich immer von der Person und dem Zeitpunkt ab. Wir beide sind uns wohl einig, dass der Zustand der Liebe, also die Beziehung zwischen dir und der Person, an die du denkst, immer im Wandel ist. Sie ändert sich ständig, weil sie wie ein schlagendes Herz ist. Ein Mikrokosmos in sich selbst. Zu keinem Zeitpunkt ist sie vollkommen erfreulich. Und zu keinem Zeitpunkt ist sie nur schrecklich traurig. Sie könnte aber viele verschiedene Dinge dazwischen sein.

Und welches Liebeslied fängt diesen Zustand Ihrer Meinung nach am besten ein?

Ich weiß nicht, ob es Liebeslieder sind. Aber ich weiß, auf was Sie hinauswollen. Sie fragen mich nach sehr romantischen Liedern, die ich liebe.

Richtig.

Meine beiden liebsten romantischen Songs aller Zeiten, die mir jedes Mal den Atem rauben, wenn ich sie höre, sind auf demselben Album: "Well I Wonder" und "That Joke Isn't Funny Anymore" von The Smiths auf dem Album "Meat Is Murder".

"That Joke Isn't Funny Anymore" würde jetzt auch nicht jeder als Liebeslied beschreiben.

Für mich ist es das. Hören Sie nur mal auf die Lyrics, was sie vermitteln - ganz unabhängig von der Musik.

(zitiert)

Park the car at the side of the road/ You should know/ Time's tide will smother you/ And I will too/ When you laugh about people who feel so/ Very lonely/ Their only desire is to die/ Well, I'm afraid/ It doesn't make me smile/ I wish I could laugh

Mr. Adams?

But that joke isn't funny anymore/ It's too close to home/ And it's too near the bone

Entschuldigung?

It's too close to home/ And it's too near the bone/ More than you'll ever know...

Okay.

Das ist irrsinnig schön. Da geht es um eine Person, so zerrissen von Sehnsucht, so außer sich, dass es sich beinahe apokalyptisch anfühlt. Da steckt ganz viel drin, woran man mit seinen eigenen Ideen von Liebe anknüpfen kann. Denn zur Liebe gehört ja auch Verlangen, zur Liebe gehört ein Gefühl von Trennung und Schmerz.

Ist also das größte Kompliment, das man jemandem machen kann: "To die by your side is such a heavenly way to die" - wie The Smiths auf "There Is a Light That Never Goes Out" sangen?

Wenn Sie das so sehen. Aber ich hab "There Is a Light" nicht als eines meiner zwei liebsten Liebeslieder aufgezählt. Das waren Sie.

Das stimmt. Ist es für mich wirklich.

Das ist wundervoll. Deshalb ist Musik ja so großartig, weil sie so subjektiv ist. Ich fühle mich als Hörer eher zum Mysteriösen, zum Nebligen und zum Verlorenen hingezogen.

Es gibt diese Vorstellung, dass aus großem Schmerz große Kunst entsteht. Das ist ein Klischee, oder?

Das ist ein Klischee, aber ich bin froh, dass Sie mich das fragen. Weil mich das noch niemand jemals gefragt hat.

Wirklich?

Neeein.

(lacht, so wie im Sportunterricht einst die athletischen Jungs lachten, als der kleine Dicke wieder wie ein nasser Sack an den Turnringen hing)

Aber es ist egal, ob du glaubst, dass es ein Klischee ist oder nicht. Dieser Schmerz wird dich treffen. Du wirst jemanden verlieren, den du liebst. Du wirst eine Beziehung verlieren, die dir wichtig ist. Und dann wird diese klischeehafte Vorstellung von Schmerz und Einsamkeit nicht mehr länger ein Klischee sein. Es wird das Ding sein, das deine verdammte Seele bis in ihre Grundfesten erschüttert.

"Ein Auto, das sich mit dem Schwanz eines Hundes unterhält"

Ist der Schmerz deshalb so ein fruchtbares Thema für Ihre Musik?

Es gibt so viele tolle Musiker und Platten, die das Leben feiern. Und all die Dinge, von denen wir uns wünschten, sie wären immer Teil unseres Lebens. Aber um diese ganz andere, düstere Seite der menschlichen Existenz völlig auszublenden, müssten wir uns in Pandas oder Faultiere verwandeln. Und den ganzen Tag bekifft in einem Baum hängen. Das klingt nach einer schönen Existenz, aber sie ist nicht für uns Menschen gedacht. Wir verzehren uns nach Dingen. Und das ist kein Makel, das ist eine Tugend.

Hilft Ihnen selbst Musik überhaupt bei einem gebrochenen Herzen?

Ich habe schon mein ganzes Leben ein gebrochenes Herz. Musik ist für mich nur ein Weg, damit umzugehen. Kunst ist ein anderer. Oder Freundschaften, Lesen, Schreiben. Die Natur des Lebens ist Leiden. Nicht ausschließlich, es gibt da ja Abstufungen. Aber ich glaube auch, dass Katharsis gar kein Vehikel wie Musik braucht. Allein Mensch zu sein, trägt ein kathartisches Element in sich.

Ich würde gerne etwas ausprobieren. Ich nenne Ihnen sieben Break-Up-Songs und Sie sagen mir, was Sie damit verbinden.

Okay, ich verspreche, Ihnen eine Antwort zu geben, die aufrichtig ist und von mir selbst kommt.

Dann los: The Beach Boys - "Tears in the Morning".

Der Klang eines Blitzes am Strand.

"Idiot Wind" von Bob Dylan.

Schleifpapier.

Fleetwood Mac - "Go Your Own Way".

Nasse Tennisschuhe.

Joy Division mit "Love Will Tear Us Apart".

Ein metallischer Kamm.

"Total Eclipse of the Heart" von Bonnie Tyler.

Zwei Holzscheite, mit Spezialkleber an die Decke geklebt.

The Smiths - "You Just Haven't Earned It Yet Baby".

Ein stürzender Amboss, der von einer Wolke zur anderen fällt.

Und Nick Cave mit "People Ain't No Good".

Ein Auto, das sich mit dem Schwanz eines Hundes unterhält.

Vielen Dank, das war sehr interessant.

Sie sollten das illustrieren.

Lieber nicht. Sehnen Sie sich eigentlich manchmal nach der guten alten Zeit? So klingt Ihre Musik nämlich oft.

Nein, ich glaube, was Sie hören ist folgendes: Meine Musik spielt in einer Welt, die nur im Zwischenmenschlichen existiert. Völlig unabhängig von äußeren Umständen und Einflüssen. Dort lebt meine Musik, in einer Vorstellung, einem Gefühl, in meiner Person. Dinge von draußen können da nichts verzerren oder verschieben. Und dieser statische Platz ist natürlich auch ein nostalgischer Platz. Ich habe lange gebraucht, dieses Gefühl der Unabhängigkeit zu meistern. Aber ich glaube, ich komme dem immer näher.

Diese Sicherheit hört man Ihrem neuen Album "Prisoner" auch an.

Ja, ich habe das ultimative alchemistische Element entdeckt, das mir noch gefehlt hat. Während der Produktion dieser Platte habe ich realisiert, dass ich beide Enden der Liebe erlebt haben muss, um Perfektion zu erreichen. Das Ende einer Sache, und den Beginn einer anderen. Das ist mir mit "Prisoner" gelungen.

Wenn man sich unsere finsteren Zeiten so anschaut: Kann Liebe den Hass übertrumpfen?

Hass ist auch nur ein anderes Verständnis von Liebe. Es ist ein Irrweg, das Ergebnis eines Mangels an Liebe. Eine Verzerrung der Prinzipien der Liebe. Es ist wie ein Tier, das sich von seiner Herde losgerissen hat. Und jetzt durch die Dunkelheit hetzt und Hasen jagt, während der Rest der Herde unterwegs ist in Richtung eines warmen Feuers. Das ist doch die universelle Definition von Hass: Jemand der vom Weg er Liebe abgekommen ist. Was macht man in so einer Situation? Man sucht die Verlorenen und versucht sie zu retten.

Ist Liebe also die einzige Antwort auf den Hass und die Angst unserer Zeit?

Ich glaube, dass Liebe das Gesetz ist. Und Menschen, die diesem Gesetz nicht folgen, die andere bestrafen und unterdrücken, die ihre Handlungen mit einem Irrweg rechtfertigen, die werden sich vor ihrem Karma verantworten müssen. Das ist die Natur des Universums. Und das Universum arbeitet unter der Idee, dass die Liebe das Gesetz ist. Menschen, die sich einer Naturgewalt entgegenstellen, müssen am Ende mit der Natur fertig werden. Ob sie wollen oder nicht.

Das ist ein schöner Schlussgedanke.

Das ist sogar die Wahrheit.

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