Interview mit Joachim Scholtyseck:"Eine große Herausforderung"

Die Quandt-Familie, eine der verschwiegensten Industriedynastien Deutschlands, hat sich entschieden, die eigene Geschichte vom Bonner Historiker Scholtyseck aufarbeiten zu lassen.

Hans von der Hagen

Der 49 Jahre alte Joachim Scholtyseck ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Bonn. Er wird für die Dauer von drei Jahren ein Forschungsprojekt leiten, das die Zeit zwischen dem Beginn der unternehmerischen Aktivitäten der Quandt-Familie im 19. Jahrhundert bis in die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts beleuchten soll.

Die Industriellenfamilie wurde am 30. September in der ARD- Dokumentation "Das Schweigen der Quandts" schweren Vorwürfen ausgesetzt: Sie soll während des Nationalsozialismus ihr Vermögen durch den Einsatz von Zwangsarbeitern vermehrt haben.

sueddeutsche.de: Sie werden eine der komplexesten Familiengeschichten des Dritten Reiches aufarbeiten. Wann ist die Familie Quandt an Sie herangetreten?

Joachim Scholtyseck: Es war sicher nicht von langer Hand geplant.

sueddeutsche.de: Warum sind die Quandts auf Sie gekommen?

Scholtyseck: Ich habe eine größere Arbeit über Robert Bosch verfasst. Das ist ein wissenschaftlicher Ausweis, der dazu beigetragen haben könnte, dass die Familie Quandt sich für mich entschieden hat.

sueddeutsche.de:Haben Sie sofort zugesagt?

Scholtyseck: Mich hat das Thema sehr interessiert. Es ist komplex und für einen Wissenschaftler eine große Herausforderung. Da war für mich von Anfang an klar, dass ich zu dieser Arbeit bereit bin. Da musste man mich nicht lange überzeugen.

sueddeutsche.de: Wurde Ihnen zugesichert, dass Sie alle Dokumente sehen können, die Sie sehen wollen?

Scholtyseck: Ja. Ich brauchte das nicht groß einfordern. Die Familie Quandt dürfte von vornherein davon ausgegangen sein, dass ich Zugang bis zum letzten Schrank haben muss. Schließlich hängt auch meine wissenschaftliche Reputation an dieser Arbeit.

sueddeutsche.de: Haben Sie das Gefühl, dass der Familie Quandt selbst daran gelegen ist, mit sich ins Reine zu kommen - oder ist Ihre Arbeit allein Folge des jetzt aufgekommenen öffentlichen Drucks?

Scholtyseck: Ich bin sicher, dass die Familie selbst die Details der Geschichte kennenlernen möchte, sonst hätte sie mir nicht derart weitreichende Zusagen gemacht. Es gibt viele Aspekte, die wissenschaftlich aufgearbeitet werden müssen. Dazu kommt das Material in ausländischen Archiven, das der Familie selbst noch gar nicht bekannt sein dürfte.

sueddeutsche.de: Wie gehen Sie jetzt vor?

Scholtyseck: Zunächst werden Akten recherchiert und die bisherigen Veröffentlichungen gesichtet. Dann geht es in die Archive. Angaben müssen überprüft und Widersprüche aufgeklärt werden, um auf möglichst breiter Aktenbasis die Geschichte aufzuarbeiten. Dazu kommen die Gespräche mit den Zeitzeugen.

sueddeutsche.de: Welchen Zeitraum decken Sie mit Ihrer Forschung ab?

Scholtyseck: Es geht vor allem um die Unternehmerpersönlichkeit Günther Quandt. Demnach wird die Zeit vom Kaiserreich bis zu seinem Tod im Jahr 1954 im Zentrum stehen.

sueddeutsche.de: Haben Sie sich mit der Quandt-Geschichte schon vorher beschäftigt?

Scholtyseck: Wer sich mit der Geschichte des Dritten Reichs auseinandersetzt, kennt natürlich die Namen der deutschen Industriepersönlichkeiten. Auch mit der Zwangsarbeiterproblematik habe ich mich schon beschäftigt. Zur Familie Quandt habe ich aber noch nichts veröffentlicht.

sueddeutsche.de: Wo werden die Kernbereiche Ihrer Arbeit liegen?

Scholtyseck: Dazu möchte ich noch nichts sagen. Ich muss mich erst tiefer in die Thematik einarbeiten. Zu dieser Forschung gehört eine wissenschaftliche Ruhe - selbst wenn das Interesse der Öffentlichkeit groß ist.

sueddeutsche.de: Glauben Sie, dass die jetzt anberaumten drei Jahre genügen, um den Auftrag zu erledigen? Sie müssen ja auch noch ihren Lehrstuhl an der Universität Bonn betreuen.

Scholtyseck: Das dürfte machbar sein. Für mich ist die Lehre wichtig, da sie mir einen gewissen Abstand zum Forschungsthema ermöglicht.

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