Gräfelfing:Wo Marsmenschen träumen

Kinder der "Schule der Phantasie" haben Schuhkartons in Mini-Hotelzimmer verwandelt. Optisch einchecken kann man im Kunstkiosk des Gräfelfinger Bürgerhauses

Von Annette Jäger, Gräfelfing

Ach, in diese Betten möchte man gleich hineinspringen und Urlaub machen. Vielleicht schnappt man sich eines der Büchlein aus dem Regal oder schaut sich den Liebesfilm an, der da über den Bildschirm flimmert. Dann ließe sich eine der Karotten an dem Tischchen auf dem Tellerchen verspeisen, und gegen Abend winkte ein Drink im Café auf Barhockern aus Draht. Und vor allem möchte man diese kuriosen Mitreisenden treffen: die Marsmenschen und die Seepferdchen, die personifizierte Banane und die Hasenfamilie, die die Zimmer bewohnen. Es sind wirklich kuriose Hotelzimmer geworden, die Schüler der "Schule der Phantasie" in Gräfelfing im Miniatur-Format kreiert haben. "101 Betten für Träumer" heißt die Ausstellung, die jetzt im Kunstkiosk im Bürgerhaus gezeigt wird.

Näher kann Kunst an den Bürger kaum herankommen. Der kleine Ausstellungsraum an der äußeren linken Ecke des Bürgerhauses ist voll verglast und lädt Blicke von außen ein. Verwaltet wird der Raum, der früher ein Kiosk war, von der Bücherei im Obergeschoss. Er soll Plattform für Experimente aller Art sein, Ausstellungsraum, aber auch Werkstatt und kreativer Treffpunkt, die Bücherei hat ihn "IdeenReich" getauft. Die Bücherei lud die Kinder-Kunstschule ein, dort eine Ausstellung zu gestalten. Das kam den beiden Schulleiterinnen Lilli Plodeck und Ulrike Görg gerade recht. Denn die Werke der 100 Kinder, die die Schule der Phantasie besuchen, regelmäßig auszustellen, sei Teil des Konzepts, sagt Plodeck. Es geht darum, die Kinder ernst zu nehmen und ihre Werke sichtbar zu machen. Sie haben das Kiosk für ihre Zwecke in Kunstkiosk umgetauft.

Die Mini-Hotels packen den Betrachter bei seiner Neugier. Nur von außen, mit konzentriertem Spähen durch die Schaufensterscheiben, sind Einblicke in die Hotelzimmer möglich. Sie sind in Schuhkästen eingerichtet, die zu einem großen Hotelturm übereinandergestapelt sind und fast die ganze Fensterfront einnehmen. Der Betrachter geht auf Reisen durch die Themen-Zimmer, jeder der Künstler - sie sind zwischen fünf und zehn Jahren alt - hat hier seine Fantasiewelt einrichten können: Ein Zimmer, das "Madagaskar" heißt, und in dem ein Ahornblatt als Palmwedel wächst. Es gibt das FC-Bayern-Fan-Zimmer mit Sticker-Sammelalben im Bücherregal, in einem anderen Zimmer fliegen bunte Vögel durch den Raum. Die Kinder seien nach und nach eingetaucht in die Vorstellungswelt ihres Traum-Hotelzimmers, sagt Ulrike Görg. Erst wurde gezeichnet, dann der Schuhkarton ausgekleidet, die Möbel angefertigt, und schließlich wurde es immer filigraner und detailverliebter.

Erst auf den zweiten Blick entlarvt sich die große Materialkunde, die in den Kunstwerken steckt: Kronkorken sind zu Wandbildern oder Sitzflächen von Stühlen umfunktioniert. Aus der Drahtumwicklung von Sektkorken wurden Barhocker, ausgebrannte Teelichter stellen umgedreht Deckenlampen dar, Plastikverschlüsse von Milchkartons sind Schüsseln und Teller, alte Holzjalousien wurden zersägt und zusammengeklebt zu Regalen und Betten. "Die Kinder lernen, wie sich Dinge verwandeln können", sagt Plodeck. So entsteht Kreativität: Die Welt mit neuen, mit anderen Augen sehen. In jedem Orangennetz, in jedem Marmeladendeckel steckt immer noch eine neue Funktion. So wird etwas, das andere achtlos wegwerfen, zum großen Schatz.

Das Schöne an der Kinderkunst sei, dass sie so offen sei und keine Klischees bediene, sagt Ulrike Görg. Die Selbstkritik, die bei Erwachsenen oft den kreativen Prozess bremse, sei bei den Kindern noch nicht so ausgeprägt. Das macht die kleinen Hotelzimmer zu so originellen, authentischen Werken. Nicht zuletzt sind sie auch Ausdruck einer Vision, sie haben Symbolcharakter, der sie zu Kunstwerken macht: Die Zimmer stehen für Gastfreundschaft, alle sind eingeladen, sich wohlzufühlen, vom Seepferdchen bis zum Marsmenschen.

"101 Betten für Träumer", noch bis zum 12. März, Kunstkiosk im Bürgerhaus, am Bahnhofsplatz 1.

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