Mark Zuckerberg:Bald kann jeder Facebook-Nutzer entscheiden, wie viel nackte Haut er sieht

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Facebook-Chef Mark Zuckerberg ist immer noch überzeugt, dass sein Unternehmen die Welt besser machen kann. (Foto: dpa)
  • In einem Manifest äußert sich Facebook-Chef Marc Zuckerberg zu den Aufgaben seines Unternehmens in einer zunehmend polarisierten Welt.
  • Er kündigt darin eine Filterfunktion für Nacktheit, Gewalt und Blasphemie an; außerdem sollen künftig regionale Standards gelten.
  • Auf Facebooks Verantwortung für strafrechtlich relevante Inhalte geht er nicht ein.

Von Simon Hurtz

35 000 Zeichen, eine Aussage: Mein Unternehmen kann die Welt verändern. Wenige Menschen auf der Welt hätten diese Zeilen schreiben können, ohne komplett größenwahnsinnig zu wirken. Mark Zuckerberg ist einer dieser wenigen Menschen.

Facebook vernetzt mehr als eine Milliarde Menschen miteinander, beeinflusst deren Meinung und hat zumindest das Potenzial, Wahlen zu entscheiden oder Kriege auszulösen. Zuckerbergs langes Manifest ist schon deshalb wichtig, weil der mächtigste Mann in einem der mächtigsten Unternehmen der Welt darin seine Zukunftsvision darlegt. Es enthält viel Eigenlob, aber auch einige bemerkenswerte Passagen. Unter anderem verspricht Zuckerberg eine Art Filter für nackte Haut und brutale Bilder.

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Der Facebook-Chef will eine globale Gemeinschaft schaffen, die für alle funktioniert. Besorgt ist er über "Fake News" und Filterblasen.

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2012 hat er bereits einen ähnlichen Brief geschrieben. " The Hacker Way" war halb so lang, aber doppelt so optimistisch. Fünf Jahre später ist der Ton im Netz schriller denn je, Menschen verkriechen sich in analogen und digitalen Echokammern. Zuckerberg passt seine Worte dem Zustand der Welt an: Der Name "Donald Trump" fällt kein einziges Mal, und dennoch schwingen die aktuellen politischen Ereignisse mit.

Als nach der US-Wahl der Vorwurf aufkam, Facebook sei für das Ergebnis mitverantwortlich, bezeichnete Zuckerberg das als "ziemlich verrückt". Die vergangenen Monate haben ihn nachdenklicher gemacht, zumindest seinem Manifest nach zu urteilen. Auf ihre Frage, ob die Präsidentschaftswahl seine Wahrnehmung von Facebook beeinflusst habe, habe er zehn Sekunden lang geschwiegen, beschreibt Wired-Journalistin Cade Metz die Situation. Seine Antwort: "Ich weiß es nicht. Das ist eine sehr interessante Frage."

Facebook macht die Welt nicht besser, sondern Mark Zuckerberg reicher

Unentschlossenheit zieht sich durch Zuckerbergs gesamtes Manifest. Er gesteht ein, dass Facebook noch viel Arbeit vor sich habe, teils überfordert sei. Filterblasen und "Fake News" seien Probleme, die ihn beunruhigten. Im vergangenen Jahr habe Facebook zu Unrecht Nutzer gesperrt oder Inhalte gelöscht, etwa das berühmte Foto aus dem Vietnamkrieg. In sozialen Medien dominierten zugespitzte Meinungen - dadurch drohten differenzierte Abwägungen unterzugehen, wichtige Themen würden unterkomplex diskutiert. Das mögen für diejenigen, die Facebook länger beobachten, Selbstverständlichkeiten sein. Zuckerberg tendierte bislang aber dazu, die Schattenseiten seines Netzwerkes öffentlich totzuschweigen.

Gleichzeitig verbreitet er nach wie vor den bedingungslosen Tech-Optimismus, der so typisch für das Silicon Valley ist. Facebook trage dazu bei, dass die Welt sicherer werde, politisches Interesse wachse und sich Menschen stärker engagierten. Bislang hat das Unternehmen vor allem bewiesen, dass es in der Lage ist, viele Milliarden Dollar damit zu verdienen, dass es bald zwei Milliarden Menschen private Informationen entlockt und ihnen personalisierte Werbung vorsetzt. Ein legitimes Geschäftsmodell - aber kein Grund, sich selbst als Idealisten zu feiern.

Facebook will individuelle Moral-Einstellungen ermöglichen

Wie will Zuckerberg die Probleme lösen, die er selbst eingesteht? Konkret wird er nur an einer Stelle seines Manifests. Künftig soll jeder Nutzer selbst bestimmen können, wie viel nackte Haut, Obszönität und Gotteslästerung (" profanity") sowie Gewalt er sieht. Facebook werde regelmäßig danach fragen. Wer darauf nicht antworte, bekomme angezeigt, was regionalen Standards und nationalen Gesetzen entspreche. Bisher hatte sich Facebook auf seine allgemeingültigen Gemeinschafts-Standards berufen und keine Rücksicht auf regional unterschiedliche Moralvorstellungen genommen. Bei Rechtsverletzungen in dem Netzwerk war es für die Justiz oft schwierig, das Unternehmen in die Pflicht zu nehmen.

Wer beim Frühstück nicht auf Fotos toter Menschen stoßen will, soll bald den entsprechenden Filter anpassen können. Wer sich an nackten Brüsten stört, explizite Inhalte aus seinem Stream verbannen. Davon profitiert Facebook, weil es Diskussionen über angebliche Zensur umschifft. Die Entscheidung soll künftig in den Händen der Nutzer liegen, Zuckerberg gibt die Verantwortung und damit auch die Deutungshoheit über Moralvorstellungen ab.

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Davon profitieren die Nutzer: Sie werden jetzt nicht mehr mit einheitlichen Standards zwangsbeglückt, sondern können selbst beeinflussen, welche Inhalte sie sich zumuten möchten. Prüde Amerikaner und streng religiöse Muslime klicken sich die nackte Haut aus dem Newsfeed. Europäer freuen sich, dass Facebooks allgemeiner Pornofilter nicht mehr die Aktfotos schluckt, die sie als Kunst ansehen.

Wann die Änderungen kommen, lässt Zuckerberg offen

Noch sind viele Fragen offen: Wer entscheidet, was minderjährige Nutzer sehen dürfen? Bekommen die eine einheitliche und besonders strenge Voreinstellung? Ist es möglich, Filtereinstellungen graduell anzupassen? Dann bräuchte es Menschen oder intelligente Algorithmen, die jedes Foto und jedes Video mit einem bestimmten Nacktheits- oder Gewaltwert versehen. An geeigneter künstlicher Intelligenz arbeitet Facebook bereits.

Ebenso unklar ist, wann diese Ankündigungen umgesetzt werden. Zuckerberg sagt, dass künstliche Intelligenz noch große Fortschritte machen müsse. Einige Änderungen seien im Laufe dieses Jahres möglich. Dennoch: Dass Facebook seinen Nutzern erstmals direkten Einfluss auf deren Timeline gibt, ist ein Strategiewechsel.

Volksverhetzung? Traumatische Arbeitsbedingunen? Nie gehört!

Aus deutscher Sicht fallen zwei Dinge auf: Mit keiner Silbe geht Zuckerberg auf die Vorwürfe ein, die hierzulande die Debatte über Facebook prägen. Zwar erwähnt er Inhalte, die versehentlich entfernt wurden. Aber Beiträge, die strafrechtlich relevant sind und trotzdem online bleiben, hält er offenbar für kein drängendes Problem. Facebook will nach eigener Aussage ja nichts geringeres, als das Leben aller Menschen auf der Welt verbessern. Die schweren Traumata, unter denen die schlecht bezahlten Hilfsarbeiter leiden, die in Drittfirmen im Akkord Missbrauchsvideos von Kindern aussortieren, sind global betrachtet aber wohl nicht ganz so wichtig.

Außerdem macht Zuckerberg eine eher beiläufige Bemerkung, die vielen Menschen in Deutschland Sorgen bereiten könnte: Die vergangenen Wahlen in Indien, Indonesien und den Vereinigten Staaten hätte meist der Kandidat gewonnen, der mehr und aktivere Facebook-Nutzer hinter sich versammeln konnte. SPD, CDU und CSU haben gemeinsam weniger als 300 000 Facebook-Fans. Die AfD gefällt derzeit 316 000 Menschen.

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