Ratingagenturen:Das große Geschäft mit der Unsicherheit

Ratingagenturen: Geldanlage in Zeiten von Trump und Brexit ist auch für Profis schwierig. Ratingagenturen versprechen da Hilfe beim Einschätzen von Risiken.

Geldanlage in Zeiten von Trump und Brexit ist auch für Profis schwierig. Ratingagenturen versprechen da Hilfe beim Einschätzen von Risiken.

(Foto: Isabel Infantes/AFP)

Ob S&P oder Moody's und Fitch: Den Unternehmen geht es so gut wie noch nie. Gewinne und Kurse steigen. Gleichzeitig wachsen Zweifel an der Unabhängigkeit der Bonitätsprüfer - schließlich bewerten sie genau diejenigen, die sie auch bezahlen.

Von Julian Rodemann

In normalen Zeiten wäre die Nachricht ein echter Dämpfer gewesen. Mitte Januar gab die Ratingagentur Moody's bekannt, 865 Millionen Dollar Strafe für Fehlurteile vor der Finanzkrise zahlen zu müssen. Doch die Börse blieb unbeeindruckt, der Aktienkurs des Unternehmens kletterte sogar um vier Prozent nach oben. Am Freitagabend deutscher Zeit hat Moody's den Geschäftsbericht für 2016 vorgelegt. Der Konzern gab bekannt, dass er seinen - um die Strafe bereinigten Gewinn - um drei Prozent gesteigert hat.

Auch Moody's' größter Konkurrent S&P Global ist auf Wachstumskurs. Das Unternehmen, zu dem die Ratingagentur S&P Rating (ehemals Standard & Poor's) gehört, verdiente 2016 zum wiederholten Male mehr als im Vorjahr. Die Aktienkurse der Bonitätsprüfer steigen seit Wochen, ihr Geschäftsmodell funktioniert prächtig. Mit Noten von D (sehr gering) bis AAA (sehr hoch) bewerten sie die Kreditwürdigkeit - auch Bonität genannt - von Unternehmen und Staaten, die Anleihen ausgeben. AAA bedeutet, dass der Schuldner das geliehene Geld mit hoher Wahrscheinlichkeit zurückzahlt - das Gegenteil gilt für D. Die drei US-amerikanischen Agenturen S&P, Moody's und Fitch kontrollieren mehr als 90 Prozent des Marktes.

Der offensichtliche Grund für den Kursanstieg ihrer Aktien in den vergangenen Monaten heißt Donald Trump. Der US-Präsident will die Bankenregulierung lockern; das bedeutet weniger klare Regeln und deshalb mehr Unsicherheit für Anleger. "Weniger Regulierung und höhere Marktunsicherheit steigern die Nachfrage nach Ratings", erklärt der Ökonom Kai Gehring von der Universität Zürich. Mit ihren Bewertungen bieten die Agenturen den Anlegern schließlich genau das, was sonst Regeln schaffen: Orientierung. Viele Investoren spekulieren zudem darauf, dass Trump nicht nur den Banken, sondern auch den Ratingagenturen mehr Freiheiten einräumt.

Aber nicht nur Trump, auch der Brexit, Probleme in Italien oder Marine Le Pens mögliche Präsidentschaft in Frankreich erhöhen die Ungewissheit an den Märkten. "Wenn die Leute unsicher sind, dann suchen sie jemanden, der ihnen sagt, wie es weitergeht - das ist der Job der Ratingagenturen", sagt Reint Gropp, Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH).

Doch die Aktienkurse von Moody's und S&P Global steigen schon länger. Die Moody's-Aktie zum Beispiel legte in den vergangenen fünf Jahren um mehr als 180 Prozent zu - 120 Prozentpunkte mehr als der Dow Jones im selben Zeitraum. Das zeigt, dass es noch eine weitere, strukturelle Ursache für den Erfolg der Bonitätsprüfer geben muss.

"Die Ratingagenturen profitieren von einer Umschichtung der Finanztitel vom Bankensektor auf den Kapitalmarkt", sagt Jan Pieter Krahnen, Professor für Kreditwirtschaft an der Universität Frankfurt. Damit meint er: Weil die Banken schrumpfen, setzen Investoren vermehrt auf Finanzprodukte, die direkt von Unternehmen oder Staaten ausgegeben werden. Die Banken als klassische Mittler zwischen Kreditnehmern und -gebern verlieren an Bedeutung. Deshalb werden die Bewertungen der Kreditwürdigkeit der Schuldner wichtiger. Genau das ist das Geschäft der Ratingagenturen. Ob ihre Ratings der Staatsanleihen unabhängig sind, bezweifeln indes einige. Eine Studie kam 2014 zu dem Schluss, dass viele Agenturen ihre Heimatländer milder als andere Länder bewertet hätten. Kai Gehring, einer der Autoren, sieht auch heute noch Interessenskonflikte, und zwar "in mindestens ebenso großer Form". Denn in den meisten Ländern brauchen Ratingagenturen eine staatliche Zulassung. Wer die verliert, kann einpacken. In den USA traf es zuletzt die 20-Mann-Agentur Egan-Jones. Die US-Börsenaufsicht SEC verbot ihr eineinhalb Jahre lang, Staatsanleihen zu bewerten, weil die Agentur Fehler in einem Zulassungsantrag gemacht habe. Die Ratingagentur sah einen anderen Grund: Im Juli 2011 hatte Egan-Jones es gewagt, die Staatsanleihen der amerikanischen Regierung herabzustufen.

"Bei Staatsanleihen betreiben die Ratingagenturen Kaffeesatzleserei."

Ökonom Krahnen hingegen hält das für unwahrscheinlich. Es gebe zahlreiche andere Studien, die zeigten, dass "es keine merklichen Verfälschungen gibt". Das Risiko sei für die Agenturen viel zu groß, ihren seriösen Ruf zu verlieren. "Ratingagenturen bewerten Risiken, wir verursachen sie nicht", sagt ein Moody's-Sprecher.

Besonders laut wurde die Kritik an den Ratingagenturen während der Eurokrise. Sie hätten mit ihren Herabstufungen der Euro-Staaten die Krise mit verursacht, lautete der Vorwurf einiger Politiker und Ökonomen, darunter Manfred Gärtner von der Universität St. Gallen. "Bei der Bewertung von Staatsanleihen betreiben die Ratingagenturen auch heute noch Kaffeesatzleserei", sagt der emeritierte Professor. Sein Argument: Wenn sich ein Unternehmen Geld leiht, kann man anhand von Merkmalen wie Umsatz und Branche statistisch feststellen, mit welcher Wahrscheinlichkeit es den Kredit nicht zurückzahlen kann, also pleite geht - weil es vergleichbare Daten von unzähligen anderen Unternehmen mit ähnlichen Merkmalen gibt. Für Staaten gebe es solche Daten nicht, jedenfalls nicht genug. "Wie viele Staaten kennen Sie, die in den vergangenen Jahrzehnten bankrott gegangen sind?", fragt Gärtner. Er fordert deshalb, dass sich Ratingagenturen auf ihr Kerngeschäft, die Bewertung von Unternehmensanleihen, konzentrieren.

Doch auch hier bleibt häufig unklar, wie unabhängig die Agenturen sind. Schließlich werden sie von den Unternehmen, deren Kreditwürdigkeit sie bewerten, selbst bezahlt. Wie genau prüfen Analysten ein Unternehmen, von dem sie wirtschaftlich abhängig sind? Der Ökonom Kai Gehring fordert deshalb, den Unternehmen regelmäßige Wechsel ihrer Bonitätsprüfer vorzuschreiben.

Die Ratingagenturen zeigen sich unbeeindruckt. "Die Kritik an unseren Ratings zeigt lediglich, dass unsere Sichtweise unangenehm sein kann", sagt John Piecuch, Sprecher von S&P Global. Doch die Bewertungen seien unabhängig, transparent und datenbasiert. "Wir analysieren Risiken und der Markt zeigt, dass unsere Analysen gefragt sind."

Auch die Aktionäre der Ratingagenturen scheinen Forderungen wie die von Gehring kaum zu interessieren. Die 2013 unternommenen Versuche des Europäischen Parlaments, den Bonitätsprüfern strengere Regeln zu setzen, änderten wenig an den Rekordwerten der Aktienkurse von Moody's und S&P.

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