USA:Showdown mit dem Senator

Matthew Schoenberger, of New Orleans, shouts a question at Republican U.S. Senator Bill Cassidy during a town hall meeting in Metairie

Der republikanische Senator Bill Cassidy sieht sich bei seiner Bürgerversammlung in New Orleans aufgebrachten Bürgern gegenüber.

(Foto: REUTERS)

Bei Bürgerversammlungen stellen gerade viele aufgebrachte Trump-Gegner republikanische Politiker zur Rede. In einem Vorort von New Orleans wird Senator Cassidy gnadenlos niedergeschrien.

Von Beate Wild, Metarie, Louisiana

Als der republikanische Senator Bill Cassidy in Metarie, einem schmucklosen Vorort von New Orleans, auf seiner Bürgerversammlung erscheint, hat sich die wütende Menge schon warm geschrien. Cassidy hat eine halbe Stunde Verspätung. Dass er endlich da ist, macht die Laune der Wartenden nicht besser.

"Schande! Schande!" skandieren sie, während er zum Rednerpult schreitet. Draußen vor der Stadtbücherei warten zudem mehrere hundert Menschen, die drinnen keinen Platz gefunden haben. Auch sie sind dem Republikaner Cassidy und seinem Präsidenten nicht freundlich gesonnen, halten Schilder in die Höhe, auf denen steht "Trump absetzen!", "RIP Umweltschutz" und "Untersucht Trumps Verbindung zu Russland!".

In Washington ist in dieser Woche Sitzungspause. Die Tradition will es, dass die Abgeordneten in dieser Zeit ihre Wahlkreise daheim besuchen und sich auf Bürgerversammlungen (town hall meetings) den Fragen der Wähler stellen. Seit Donald Trump US-Präsident ist, sind diese Veranstaltungen für republikanische Senatoren alles andere als Kuschelstunden.

Demokratische Wähler nutzen die Gelegenheit, den Volksvertretern endlich einmal ihre Meinung zu sagen, genauer gesagt: Dampf abzulassen. Chaotische Szenen gehen per Livestream und Fernseh-Übertragung über das Land. Krawallig geht es zu, eine explosive Mischung aus Ärger, Sorgen und Geschrei - so auch an diesem Mittwochnachmittag in New Orleans.

Cassidys Fragestunde beginnt zunächst mit dem Gebet eines Kaplans, wie es in den USA auf konservativen Veranstaltungen üblich ist. Doch die 200 verärgerten Bürger wollen nicht beten, sie verlangen Antworten. Buh-Rufe. Unruhe. "Wir haben die Trennung von Kirche und Staat!", ruft eine Frau verärgert. Der Senator steht vorne und lächelt.

Spielt Cassidy auf Zeit?

Eine Stunde hat Cassidy, ein 59-jähriger Arzt mit ergrautem Bürstenhaarschnitt, für die Bürgerversammlung vorgesehen und schnell kommt der Verdacht auf, dass der Senator auf Zeit spielt: Mit Hilfe einer Power-Point-Präsentation stellt er seine Vorschläge vor, wie man die von Obama eingeführte Krankenversicherung überarbeiten könnte. Das ist keine gute Idee. Die eh schon aufgeheizte Menge wird nun richtig ungehalten, die Zwischenrufe frecher.

Einige stehen von ihren Plätzen auf, gestikulieren wild. Cassidy kommt nicht zu Wort. Ein Teil des Publikums dreht dem Senator aus Protest den Rücken zu. Von der Demonstration draußen dringen "Beantworte unsere Fragen!"-Rufe herein. Per Facebook-Livestream können die Ausgesperrten verfolgen, was sich drinnen im Saal abspielt.

"Können wir durch den Rest der Folien gehen, dann beantworte ich die Fragen", unternimmt Cassidy noch einen halbherzigen Versuch. "Wir wollen Antworten!" und "Die Präsentation können wir uns auf der Webseite ansehen, reden Sie lieber mit uns!" wird ihm entgegengeschleudert. Der Senator lächelt - und gibt schließlich auf.

Cassidys Helfer hatten zuvor Fragen auf Karteikarten eingesammelt, doch auch das wirkt natürlich verdächtig, denn so kann der Senator sich die ihm passenden Fragen auswählen. Die Bürger konfrontieren ihn lieber persönlich. Viele haben Angst um ihre Krankenversicherung: "Was kommt nach Obamacare?", "Habt ihr überhaupt Pläne?", "Meine Tochter hat Krebs, wollt ihr sie sterben lassen?": Die Fragen prasseln nur so ein auf den Senator. Er versucht mit möglichst ruhiger Stimme, Antworten zu geben und erinnert zwischendurch daran, dass das doch in seiner Präsentation vorgekommen wäre. Er wird gnadenlos übertönt.

"Senator für 70 000 Dollar zu kaufen"

Ein weiteres Reizthema: Die Personalie Betsy DeVos. Auf die Frage eines jungen Lehrers, warum er die Wahl der umstrittenen Bildungsministerin im Senat unterstützt habe, ist Cassidy offenbar nicht vorbereitet. "Ich habe sie gefragt, ob sie öffentliche Schulen unterstützen wird und sie hat gesagt, ja, absolut", versucht er sich herauszureden. Die Antwort kommt nicht gut an beim Publikum. "Sie lügt, sie lügt!", schreien sie. DeVos ist dafür bekannt, die Privatisierung des amerikanischen Schulsystems schnell und radikal voranzutreiben zu wollen.

Die Frage, wie glaubhaft die Aussagen republikanischer Politiker sind, gehen längst über einzelne Aspekte hinaus: Einige im Publikum halten Schilder hoch: "Senator für 70 000 Dollar zu kaufen", ist darauf zu lesen. Der Vorwurf: Cassidy habe sich in seinem Wahlkampf 2014 von DeVos mit 70 000 Dollar sponsern lassen - und seine Stimme für ihre Ernennung sei nun die Gegenleistung.

Der Senator streitet das ab, die Szene wird tumultartig. Alle schreien durcheinander. Hysterisches Gekreische, aggressives Gebrüll. Sean Marx, ein korpulenter Rotschopf, hat es mit seiner lauten Stimme und den Provokationen offenbar übertrieben. Er wird vom Sicherheitspersonal nach draußen eskortiert, wild schimpfend.

Es macht an diesem Nachmittag nicht den Eindruck, als wären die wütenden Bürger an den Antworten des Senators interessiert. Oder an einem echten Gespräch. Cassidy ist nur das Symbol, die Personifizierung eines größeren Problems: Die liberalen Amerikaner fürchten nichts mehr als einen unumkehrbaren Umbau des Landes nach den Idealen der Republikaner und den fixen reaktionären Ideen des Donald Trump. Und wie das aussehen könnte, können sie im konservativen, armen und korrupten Louisiana ohnehin schon oft genug sehen.

Bezahlt nicht, aber gut organisiert

Ähnliche Szenen wie in New Orleans spielen sich in dieser Woche im ganzen Land ab. Texas, Florida, Pennsylvania, Colorado - egal, wo man hinblickt, werden republikanische Senatoren und Abgeordneten bei ihren "Town Halls" von aufgebrachten Bürgern niedergebuht und zusammengeschrieen. Führende Republikaner in Washington, unter ihnen Trump, sprechen von organisiertem Widerstand, hinter dem liberale Aktivisten stünden. Manchmal fällt auch die Anschuldigung von "bezahlten Protestierern".

Die Wähler auf Cassidys Veranstaltung verneinen das nicht nur vehement, selbst der Senator glaubt nicht, dass das Publikum Geld bekommen habe, um zu protestieren. "Das sind Amerikaner, die sich leidenschaftlich für ihr Land einsetzen, noch nicht alles verstehen und gute Dinge wollen", sagt er. Und lächelt.

Die Demokraten können sich über die Tatsache freuen, dass die Proteste bis auf die lokale Ebene bestens organisiert sind. Diese Strategie hatte einst die "Tea-Party"-Bewegung nach der Wahl Obamas erfolgreich angewendet. Nun haben auch die Demokraten ihre oppositionelle Graswurzelbewegung.

Als Cassidy die Versammlung nach 50 Minuten verlässt, skandiert die Menge "Mach' deinen Job! Mach' deinen Job!". Zurück bleiben unzufriedene Bürger. "Er hat keine einzige Frage beantwortet", sagt eine, und ein anderer: "Der ist doch vorher trainiert worden, wie er sich verhalten soll".

Cassidy interpretiert die Konfrontation natürlich ganz anders: "Zwei oder drei in der ersten Reihe haben sich für meine Antworten bedankt und waren respektvoll", sagt er am Ende des chaotischen Nachmittags - lächelnd. "Das ist doch positiv."

Noch erfreulicher dürfte er finden, dass er in der kommenden Woche wieder in Washington ist und weiter die Pläne der Republikaner vorantreiben darf. Weit weg von der Wut in der Stadtbücherei.

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