Köln:Samba auf Scherben

SZ

Eine Gruppe von Flüchtlingen aus Syrien, Afghanistan und Tunesien hat am Samstag, begleitet von Journalisten und Kameras, Karneval in der Kölner Südstadt gefeiert.

(Foto: Thilo Schmuelgen)

Eben waren sie noch auf der Flucht vor dem Krieg, jetzt tanzen sie mit Schweinchen und Gespenstern: Über einen sehr nüchternen Abend mit 35 Flüchtlingen mitten im Kölner Karneval.

Von Friederike Zoe Grasshoff

Es ist gerade mal eine Stunde her, da stand er noch mit Clownsnase und Plüschhut vor diesem Waschsalon, hat sich selbst fotografiert, hat seinen Freund mit der Frauenperücke fotografiert, hat gelacht und Kölle Alaaf gerufen und Zigaretten verschenkt, hat Samba getanzt mit Zauberlehrlingen und Kätzchen, mit Super Mario und ein paar Glitzer-Hexen; Samba auf Glasscherben, Samba auf Bierflaschen, Samba mit den Deutschen, alles schön, alles gut, aber jetzt reicht's.

Mohamad Ahsan Mosa Aga stopft die rote Nase und den Plüschhut in den Rucksack und nimmt einen Schluck von seinem Kölsch. Seinem ersten Kölsch an diesem Samstagabend, das zugleich sein letztes ist an diesem Samstagabend. Ein pinkes, männliches Kaninchen wankt aus dem Kiosk, es grölt: "Und jetzt, da jeht et rischtig, rischtig loooos!" Mosa Aga schaut dem pinken Mann mit dem weißen Bommel hinterher, er lacht, nimmt noch einen Schluck, sagt: "Nicht falsch verstehen, aber mein Herz ist in Syrien, das ist toll hier, aber..." Aber? "Ich hab so viele Fotos gemacht heute, aber die würde ich nie auf Facebook posten. Meine Freunde in Syrien, meine Mutter in Homs..." Ja, was sollen die denken?

Sie alle spüren, dass sie hier unter Beobachtung stehen

Ja, was soll man denken über eine Stadt, die sich jedes Jahr eine Woche lang kollektiv besäuft? Wo Männer auf die Straße pinkeln, wo Frauen auf die Straße pinkeln? Wo neuerdings Betonsperren an die Lkw-Attentate in Nizza und Berlin erinnern? Wo eine Elfe und ein Aladin an einer Straßenecke rumbrüllen, plötzlich knutschen, um sich dann wieder anzubrüllen. Wo eine Horde hübscher Schweinchen vorbeihüpft und irgendwas zwischen "Finale" und "FC Kölle" grölt. Ja, was soll man denken über einen Ort, an dem ein als Dusche verkleideter Mann vor lauter Duschvorhang und vor lauter Schnaps fast vor die Bahn läuft?

Fragt man Mohamad Ahsan Mosa Aga, was er so über all das hier denkt, sagt er: "Das ist eine ganz tolle Erfahrung." Fragt man noch ein zweites, noch ein drittes Mal, sagt er irgendwann: "Schon verrückt." Schon verrückt, klar. Aber lange nicht mit dem zu vergleichen, was er mit seinen 30 Jahren schon erlebt hat. Mosa Aga ist vor einem Jahr und zwei Monaten vor dem Krieg in Syrien nach Deutschland geflohen, er lebt jetzt in Gelsenkirchen. Es ist sein erster Karneval, wie auch für die anderen 35 Männer aus Syrien, Afghanistan und Tunesien, mit denen er sich jetzt, begleitet von Journalisten und Kameras, Millimeter für Millimeter durch den Geisterzug in der Kölner Südstadt schiebt.

Sie alle wissen oder ahnen oder spüren, dass sie hier in Köln unter besonderer Beobachtung stehen könnten. Zum einen liegt die Katastrophe von Köln, die massenhaften sexuellen Übergriffe auf Frauen in der Silvesternacht von 2015/16 und der damit verbundene Stimmungswechsel in der Flüchtlingsdebatte, noch über der Stadt, wenn nicht über dem ganzen Land. Zum anderen war da Anfang Februar dieses Schreiben der Polizei in Nordrhein-Westfalen, das für enorme Kritik gesorgt hatte, weil es Flüchtlingsinitiativen davor gewarnt hatte, Karnevalsausflüge zu organisieren; solche Aktionen würden "das massierte Auftreten von Flüchtlingen bei Karnevalsveranstaltungen forcieren", was "in der Bevölkerung derzeit leider zu unerwünschten Wechselwirkungen" führen würde. Das Landesamt für zentrale polizeiliche Dienste NRW hatte sich zwar schnell und deutlich von dem Schreiben distanziert, es hätte gar nicht veröffentlicht werden dürfen, hieß es - in der Welt war die Warnung damit aber trotzdem.

In jedem Fall war es für die Caritas im Bistum Essen Grund genug, "jetzt erst recht" mit Flüchtlingen aus NRW in Köln Karneval zu feiern. (Das wiederum war für manch einen Grund genug, der Caritas mitzuteilen, dass man künftig kein Geld mehr spenden wolle.) Frauen sind an diesem Samstag nicht unter den Flüchtlingen, manche sind zu Hause geblieben, manche sind gar nicht in Deutschland. Initiator Ahmad Omeirate, der als Pilot verkleidet in der Kölner Südstadt steht, sagt: "Wieso wollen die uns ausschließen? Das haben die Flüchtlinge mich gefragt." Jemanden ausschließen vom Geisterzug, das geht räumlich schon mal gar nicht. Im Vergleich zum Rosenmontagszug ist dieser Zug zwar winzig, voll ist es trotzdem, sehr voll. Ist man einmal drin in der Menge, ist man drin; man ist Samba, man ist Köln, man ist Karneval. An Mosa Aga schieben sich Gespenster, Piraten, Elefanten und weitere, kaum identifizierbare Plüschwesen vorbei, es riecht nach Joints, Bier und immer wieder nach Kotze.

"Huch, was für schöne Zähne", sagt eine Frau

Mosa Aga macht weiter seine Selfies, greift seinen Kumpel an der Frauenperücke, sagt: "Na, was machst du heute Abend?" Ein paar Meter weiter hält eine Frau einen der Flüchtlinge an der Monster-Maske fest, "huch, was für schöne Zähne. Bitte sag mir, zu welchem Zahnarzt du gehst." Noch ein paar hundert Meter weiter posiert einer der älteren Syrer, er ist 52, mit einer ebenso älteren Agrippina für ein Foto, er steht da steif wie ein Baum, sie legt den Arm um ihn - kommt er auch mit, zum Rosenmontagszug?

Später wird er erzählen, wie sehr er seine Frau vermisst, und wie schön das ist, so willkommen zu sein. So viel zu den "Wechselwirkungen", wenn 35 ziemlich nüchterne, männliche Flüchtlinge durch das überhaupt nicht nüchterne Köln laufen.

22 Uhr, Mosa Aga steht auf der Domplatte, sein Bier ist jetzt leer, der Zug nach Gelsenkirchen geht in zehn Minuten, er raucht noch eine Zigarette. Ein paar Grüppchen weiter stehen drei junge Frauen, sie haben Zweige und Blumen ins Haar gesteckt und versuchen sich an der sehr hohen Kunst des Dom-Selfies, eine schwierige Sache: "Ich will kein Bild, auf dem ich scheiße aussehe und ihr gut! Wenn hier was sitzt, dann das Doppelkinn." Und, geht er noch einmal los zum Karneval, am Rosenmontag? "Nein, nein", sagt Mosa Aga, er lacht, "ist nicht meine Kultur. Und ich muss weiter Deutsch lernen." Dann verschwindet er in der Bahnhofshalle. Hält ja auch keiner aus hier, mit nur einem Kölsch.

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