Kommentar:20 verlorene Jahre

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Der Emmissionshandel klang nach einer guten Idee: Wer CO2 ausstößt, muss Zertifikate erwerben. Das System funktioniert nur schlecht. Sehr spät greift Brüssel nun ein.

Von Michael Bauchmüller

Viel kaufen kann man für fünf Euro nicht. Eine Currywurst mit Pommes vielleicht. Ein Dutzend Bio-Eier, vier Liter Benzin; oder aber das Recht, eine Tonne Kohlendioxid in die Atmosphäre abzulassen, also weniger als ein Zehntel dessen, was ein Bundesbürger im Jahr an klimaschädlichen Gasen verursacht. Die Klimakrise voranzutreiben, ist derzeit ein echtes Schnäppchen.

So war das nicht geplant. Als die Europäer vor zwölf Jahren den Emissionshandel einführten, sollte er ihr wichtigstes Klimaschutz-Instrument werden. Sie legten eine Obergrenze für die Kohlendioxid-Emissionen fest und vergaben über diese Menge Zertifikate, die Industrieunternehmen untereinander handeln können. Wer im Kraftwerk Kohle verbrennen will, wer mit viel Energie Stahl verarbeitet oder chemische Reaktionen anstößt, braucht seither Emissionszertifikate für jede Tonne Kohlendioxid, die dabei entsteht. Die Logik ist simpel: Viel Energieverbrauch ist gleich große Nachfrage nach den Zertifikaten und ist gleich hoher Preis. Der hohe Preis wiederum sollte die Firmen dazu bringen, klimafreundlicher zu wirtschaften. So weit die Theorie.

Die Realität ist ernüchternd. Statt Knappheit an Zertifikaten herrscht seit Jahren ein gigantischer Überfluss. 1,8 Milliarden Papiere sind derzeit am Markt, die keiner braucht. Das ist so viel, wie alle Unternehmen zusammen in einem Jahr ausstoßen dürfen. Das Ergebnis sind Emissionszertifikate für läppische fünf Euro, ein Preis, zu dem keiner auf die Idee käme, groß in die Vermeidung von Klimaschäden zu investieren. Dafür müsste ein Zertifikat weit mehr als 30 Euro kosten.

Diese Woche haben sich auch die Umweltminister der EU-Mitglieder darangemacht, die schlimmsten Schäden zu reparieren. Von 2019 an sollen dem Markt Emissionszertifikate entzogen werden, jedes Jahr soll knapp ein Viertel der Überschüsse in einer "Reserve" landen. Von 2024 an sollen sich auch Zertifikate endgültig löschen lassen. Jene Knappheit, die im Zentrum der Idee von 2005 stand, könnte damit 20 Jahre später irgendwann erreicht sein. Frühestens.

Heute ist es kaum lohnend, in den Schutz des Klimas zu investieren

Es sind 20 Jahre, die für den Klimaschutz in vielerlei Hinsicht verloren sind. Nicht nur hatten die Firmen bisher wenig Anreiz, in Klimaschutz zu investieren, jedenfalls nicht wegen knapper Zertifikate. Im Gegenteil, sie konnten sogar manch schärfere Vorgabe abwenden: Es gab ja schließlich schon den europäischen Emissionshandel. In der Zwischenzeit strichen Stahlhütten Extraeinnahmen aus dem Verkauf überschüssiger Zertifikate ein, die sie zuvor kostenlos erhalten hatten, während Stromkonzerne mit Verweis auf den Emissionshandel ihre Tarife erhöhten. Viele haben von dem Klimaschutz-Instrument profitiert, nur das Klima nicht.

Daran werden auch die Reparaturen erst mal nichts ändern, die Mitgliedstaaten, EU-Parlament und Kommission nun aushandeln wollen. Auch wenn es gelingt, dem Markt nennenswerte Überschüsse zu entziehen: Richtig wirken wird das frühestens in der zweiten Hälfte des nächsten Jahrzehnts. So bleibt auch diese Reform Stückwerk, ein einstweilen ungedeckter Scheck auf die Zukunft. Und noch weiß niemand, welchen Lobbydruck die Industrie entfaltet, sollte der CO₂-Preis irgendwann signifikant steigen.

All das belegt nur eins: Die Kräfte des Marktes allein werden die Europäer nicht in jene saubere Zukunft führen, zu der sie sich im Klimavertrag von Paris verpflichtet haben. Sie wirken zu spät, dann aber womöglich zu abrupt. Es wird deshalb Zeit, dass die Europäer einen Mindestpreis für Kohlendioxid verankern. Solange das Spiel von Angebot und Nachfrage den Klimaschäden keinen angemessenen Preis beimisst, muss er den Ausstoß von Treibhausgasen verteuern. Wie das geht, macht Großbritannien schon vor. Obendrein gäbe ein Mindestpreis Unternehmen die Sicherheit, dass sich Investitionen in saubere Alternativen lohnen. Und sobald die Knappheit an Zertifikaten die Preise über das Niveau des Mindestpreises steigen lässt, verlöre dieser wieder an Bedeutung. Vor allem aber müssten nicht weitere Jahre verstreichen, in denen Europas Unternehmen vom Klimaschutz nur groß reden, ohne ihn zu praktizieren.

Ein vernünftig aufgezogener Emissionshandel ist und bleibt ein geniales Konzept. Er lenkt Mittel dahin, wo sich mit dem geringsten Aufwand der größte Effekt fürs Klima erzielen lässt. Er ist sogar globalisierungstauglich: So ein Handelssystem muss nicht auf die Europäer begrenzt bleiben, auch andere könnten teilnehmen. Emissionsrechte zum Schnäppchenpreis aber führen das Konzept ad absurdum. Längst geht es nicht mehr nur um Reparaturen am europäischen Handelssystem. Sondern um seine Rettung.

© SZ vom 02.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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