Die Stadt braucht Wohnraum:"War ja zu erwarten"

Bauern und Anwohner in Feldmoching und Ludwigsfeld reagieren gefasst auf die Nachricht von den großen Plänen für ihre Nachbarschaft. Scharfe Kritik kommt vom Vogelschutzbund

Von Simon Schramm

In diesem Jahr wird Stefan Strobel die Aufgabe anvertraut, ein traditionsreiches Geschäft weiterzuführen. "Unsere Gärtnerei ist seit 60 Jahren in Ludwigsfeld ansässig", sagt Strobel. "Mein Opa hat den Betrieb gegründet." Bald soll der 28-jährige Gärtner Geschäftsleiter des Familienunternehmens werden. Die Strobels bauen zum Beispiel Zierpflanzen und Schnittblumen an, auf etwa sieben Hektar Fläche. Eigentlich wollte Strobel die Gärtnerei erweitern. "Müssen wir mal abwarten, ob das passiert." Denn mittlerweile ist offen, was mit den landwirtschaftlichen Flächen in Ludwigsfeld geschieht.

Seit Oberbürgermeister Dieter Reiter öffentlich bekanntgegeben hat, mittels des baurechtlichen Instruments der "Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme" (SEM) riesige Flächen im Stadtbezirk Feldmoching-Hasenbergl als potenzielles Bauland zu reservieren, ist dort vieles unsicher. "Überrumpelt ist man nicht davon", sagt Gärtner Strobel. "Jeder weiß, dass es in München zu wenig Wohnungen gibt. Aber man hat Angst, dass ein Urgewerbe aus der Gegend eingeschränkt wird." Strobel fragt sich zum Beispiel, ob eine größere Wohnbebauung und eine Gärtnerei als direkte Nachbarn vereinbar sind.

Gefasst reagieren derzeit viele im Münchner Norden auf die neuen Pläne der Stadt, Aussagen wie "war ja zu erwarten" hört man öfters. Überhaupt nicht begeistert von dem Vorhaben ist dagegen der Landesbund für Vogelschutz (LBV). "Es ist ein gigantomanischer Umgriff. Das ist inakzeptabel", sagt LBV-Geschäftsführer Heinz Sedlmeier. Für viele gefährdete Arten wie den Kiebitz, die Feldlerche oder die Rauchschwalbe seien einige betroffene Flächen Lebensraum. Sedlmeier meint, dass selbst durch kleinteilige Bebauung zum Beispiel der natürliche Austausch der Tiere zwischen Fasanerie- und Feldmochinger See gestört werden könnte. "Arten der Kulturlandschaft werden aus München verschwinden. Das sieht man bei der Planung von Freiham und dem Entwicklungsgebiet Nordost, dass nichts übrig bleibt." Der Feldmochinger See und anschließende Flächen sind Landschaftsschutzgebiet. Um dort zu bauen, müsse die Stadt bei der Regierung von Oberbayern eine Aufhebung dieses Status beantragen, sagt der Naturschützer.

Bei den Feldmochinger Bauern rumort es dagegen noch nicht. Pauschal könne man nicht sagen, dass die Landwirtschaft aus dem Viertel vertrieben werde, sagt der Ortsobmann der Feldmochinger Bauern, Georg Angermeir; viele Bauern bewirtschaften auch Felder außerhalb des betroffenen Gebiets. Für einzelne könnte es aber einen Einschnitt bedeuten. Die müssten sich dann neue Flächen suchen, zum Beispiel im Dachauer Umland, sagt Angermeir - und dort womöglich mit höheren Pacht-Preisen rechnen, weil Ackerflächen im Norden eben nun rarer würden. Die neue Bebauung würde eher den täglichen Betrieb beeinflussen, etwa wenn sich Landwirte und Bewohner im Verkehr in die Quere kämen. Angermeir vermutet, dass ein großer Teil der landwirtschaftlichen Fläche im Umgriff privaten Eigentümern gehört, die mit Landwirtschaft nichts zu tun haben - mancher von diesen habe auf solche Wohnbaupläne schon gewartet.

Der Vorsitzende des örtlichen Bezirksausschusses, Markus Auerbach (SPD), glaubt, dass sich der Stadtteil grundlegend ändern wird. "Das wird nicht jedem gefallen." Darum solle die Stadt zur Transparenz die bisherigen Voruntersuchungen offenlegen. "Das kommt sehr plötzlich. War aber abzusehen, dass die Begehrlichkeiten kommen. Es darf keine Schlafhaussiedlung werden. Es ist eine Chance: Die Dinge koordiniert angehen und aus einem Guss denken." Dabei müsse weit mehr als die übliche Infrastruktur entstehen, fordert Auerbach. "Man muss sich vom Monopol der Innenstadt verabschieden." Ihm schwebt zum Beispiel etwa ein neues, übergreifendes Zentrum für Kultur vor. Dass auch Flächen nahe der Autobahn zu dem neuen Siedlungsgebiet gehören sollen, verwundert Auerbach: Für diese sei schon festgestellt worden, dass man aus gesundheitlichen Gründen nicht näher bauen dürfe.

Auch Flächen nahe der Siedlung Ludwigsfeld sollen zu dem neuen Wohnquartier gehören. "Das zu bebauen, ist nicht unbedingt schlecht", sagt die Bewohnerin Oresia Poletko. Das Mini-Viertel leidet seit Jahren an der mangelnden Infrastruktur, es fehlen etwa Nahversorger, Apotheken oder Banken. Ausstattung, die bei der Bebauung entstehen könnte. Aber: Mit der Aufwertung der Siedlung könnten auch die Mieten steigen, fürchtet Poletko. Werner Paulus, Vorstand der "Interessengemeinschaft Fasanerie aktiv", sieht es als "die größte Herausforderung, das Gebiet zu erschließen". Der Münchner Norden hat mit etlichen Verkehrsproblemen zu kämpfen. Paulus hat die Hoffnung, dass diese nun schneller angegangen werden. Die ruhige Atmosphäre im Viertel und Naherholungsflächen werden wohl verloren gehen - beides bisher Standortvorteile. "Das Ausmaß ist schon erschreckend", sagt Paulus. Seine Forderung: "Es muss Grünfläche bleiben. Vielleicht entsteht ein neuer Stadtpark."

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