Pressefreiheit:Mit Blaulicht überrollt

Das neue Vorratsdatenspeicherungsgesetz ist ein Aufklärungsverhinderungsgesetz gegen den Journalismus.

Heribert Prantl

Seitdem ein Sicherheitsgesetz nach dem anderen erlassen wird, ist das Sichere nicht mehr so sicher, wie man glaubt: Die rechtsstaatlichen Sicherheiten werden seit dem 11. September 2001 kleiner, die Grundrechte auch, das Grundrecht der Pressefreiheit inclusive. Das Gesetz zur Speicherung aller Kommunikationsdaten auf Vorrat, das an diesem Freitag im Bundestag verabschiedet werden soll, ist nicht einfach ein weiterer Schritt in diese Richtung, es ist ein ganzer Satz, es ist ein Weitsprung.

Pressefreiheit: Protest regt sich gegen das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung.

Protest regt sich gegen das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung.

(Foto: Foto: dpa)

Von diesem Gesetz geht eine Gefahr für die Pressefreiheit aus wie zuletzt im Jahr 1962 von der Durchsuchung des Magazins Spiegel, der Verhaftung von Rudolf Augstein und seiner leitenden Redakteure. Damals war es Verteidigungsminister Franz Josef Strauß, der sich die Freiheit nahm, die Freiheit der Presse durch die Staatsgewalt einzuschränken; heute ist es der Gesetzgeber.

Die Gefahr damals war offenkundig, die Bedrohung war manifest; heute ist das anders, die Gefahr ist subtiler, aber viel umfassender: Das neue Telekommunikationsüberwachungsrecht und die Regeln zur Vorratsdatenspeicherung stellen per Gesetz die Mittel zur Verfügung, mit denen das Berufsgeheimnis aufgebrochen und der Informantenschutz ausgehebelt werden kann.

Staatliche Zugriffsrechte

Gespeichert werden Rufnummer, Uhrzeit, Datum der Verbindung; gespeichert wird bei Handys der Standort von Anrufer und Angerufenem zu Beginn des Gesprächs; gespeichert werden die E-Mail- und IP-Adressen von Sendern und Empfängern, gespeichert werden die Verbindungsdaten bei Internet-Nutzung - sechs Monate lang. Die Anweisung an die Telekommunikationsdienstleister, die Daten zu speichern, findet sich im Telekommunikationsgesetz, die staatlichen Zugriffsrechte auf die Daten (ebenso wie die auf den Inhalt der Gespräche, hier aber mit speziellen, höheren Voraussetzungen) in der Strafprozessordnung.

Bisher konnte der Staat nur auf die Daten zugreifen, die bei den Telekommunikationsanbietern ohnehin vorhanden waren. Künftig muss jeder Bürger und jeder potentielle Informant damit rechnen, dass sein Kommunikationsverhalten allein zu staatlichen Zwecken dokumentiert wird. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) verweist darauf, dass es zum Zugriff auf die Daten eines richterlichen Beschlusses bedürfe; Geheimdienste brauchen freilich einen solchen Beschluss nicht.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar warnt, dass die ursprünglich vorgesehene Zweckbindung des Datenzugriffs an die Verfolgung schwerer Straftaten "immer poröser wird": Wann immer irgendeine Straftat "mittels Telekommunikation begangen" wurde, kann auf die Daten zugegriffen werden - also praktisch immer; Telefon oder Internet sind immer im Spiel.

Schon vor drei Jahren hat der Arbeitskreis Medien der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder die Vorratsdatenspeicherung kritisiert: Sie sei geeignet, "das Vertrauen des Einzelnen in die Nutzung moderner Kommunikationsmittel nachhaltig zu beeinträchtigen".

Keine Unbefangenheit der Nutzung

Das Bundesverfassungsgericht hat diese Gefahr 2003 so beschrieben: "Es gefährdet die Unbefangenheit der Nutzung der Telekommunikation und in der Folge die Qualität der Kommunikation einer Gesellschaft, wenn die Streubreite der Ermittlungsmaßnahmen dazu beiträgt, dass Risiken des Missbrauchs und ein Gefühl des Überwachtwerdens entstehen."

Im Jahr 1997 sah das die Regierung Helmut Kohl noch genauso: Schon Mitte der neunziger Jahre hatten sich nämlich die Kriminalisten nicht mehr damit zufriedengeben wollen, dass Behörden nur im Einzelfall auf vorhandene Verbindungsdaten zugreifen durften. Sie forderten damals, diese Daten umfassend und vorsorglich für Zwecke der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr zu speichern. Einen entsprechenden Vorstoß des Bundesrats lehnte aber die Regierung Kohl ab, weil eine so pauschale Vorratsspeicherung nicht mit der Verfassung vereinbar sei.

Erst die geänderte Stimmungslage nach den terroristischen Anschlägen von 2001 in den USA und von 2004 in Madrid ließ die Ablehnungsfront bröckeln. Die Madrider Terroristen hatten nämlich Mobiltelefone zur Fernzündung von Bomben eingesetzt. Dass sie aufgrund der ohnehin vorhandenen Telekommunikationsdaten, also ohne Vorratsdatenspeicherung, gefasst werden konnte, wurde in der Diskussion kaum zur Kenntnis genommen.

Mit Blaulicht überrollt

Vorratsdatenspeicherung: Was alle trifft, trifft den Journalismus in besonderer Weise. Der Schutz der Pressefreiheit reicht, so steht es im Spiegel-Urteil des Verfassungsgerichts aus dem Jahr 1966, "von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachrichten und Meinungen."

Und zuletzt im Cicero-Urteil von 2007 hat das höchste deutsche Gericht noch einmal bestätigt: "Die Gewährleistungsbereiche der Presse- und Rundfunkfreiheit schließen diejenigen Voraussetzungen und Hilfstätigkeiten mit ein, ohne welche die Medien ihre Funktion nicht in angemessener Weise erfüllen können. Geschützt sind namentlich die Geheimhaltung aller Informationsquellen und das Vertrauensverhältnis zwischen Presse beziehungsweise Rundfunk und seinen Informanten.

Staatlichen Stellen ist es darüber hinaus grundsätzlich verwehrt, sich Einblicke in Vorgänge zu verschaffen, die zur Entstehung von Nachrichten oder Beiträgen führen, die in der Presse gedruckt oder im Rundfunk gesendet werden."

Einschüchterung der Presse

Das heißt: Die Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation mit Journalisten und das Recht zur Geheimhaltung der Informationsquellen sind für die Medienfreiheit grundlegend. Gleichwohl wird künftig aber jede elektronische Kontaktaufnahme von oder zu einem Pressevertreter für einen längeren Zeitraum rückverfolgbar. Man muss kein Datenschützer und kein Presseverbandsfunktionär sein, um zu erkennen, was das bedeutet: Einschüchterung.

Das alles scheint den Gesetzgeber nicht besonders zu kümmern; besondere Vorkehrungen zum Schutz der Pressefreiheit sind nicht vorgesehen. Den Gesetzgeber kümmert es auch nicht, dass Irland und die Slowakei beim Europäischen Gerichtshof Nichtigkeitsklage erhoben haben gegen die EU-Richtlinie, auf der die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung fußen; ein Antrag im Bundestag, sich dieser Klage anzuschließen, wurde 2006 mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD abgelehnt; ebenso ein Antrag, doch wenigstens das Ergebnis dieser Klage abzuwarten.

Hartmut Kilger, der Präsident des Deutschen Anwaltvereins, hat das soeben dem Gesetzgeber noch einmal angeraten. Und die Europäischen Datenschutzbeauftragten haben angezweifelt, ob die EU-Richtlinie mit dem Recht auf Achtung des Privatlebens nach Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar ist. Auf diesen Artikel 8 EMRK stützt sich auch Artikel 8 der Grundrechte-Charta der Europäischen Union, der den Schutz personenbezogener Daten regelt.

"Klima der Überwachung"

Diese Grundrechte basieren auf der Erkenntnis, dass jede Demokratie auf die unbefangene Mitwirkung ihrer Bürger angewiesen ist, dass sie von deren Meinungsfreude und deren Engagement lebt - und deshalb Furchtlosigkeit voraussetzt. Jutta Limbach, die frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, hat das einmal so formuliert: Dort, wo "ein Klima der Überwachung und Bespitzelung herrscht, kann ein freier und offener demokratischer Prozess nicht stattfinden".

Wer als Journalist mit der Pressefreiheit argumentiert, der steht im Verdacht, nur pro domo zu schreiben. Aber es geht hier nicht um bequemere Berufsausübung; es geht um die Grundlagen des Journalismus, um seine demokratische Funktion. Alle großen politischen Skandale der Bundesrepublik, auch und vor allem die mit strafrechtlichem Einschlag, sind von der Presse aufgedeckt worden, nicht von der Staatsanwaltschaft. Man kann sich fragen, welche dieser Skandale ruchbar geworden wären, wenn die Informanten schon damals die Speicherung ihrer Daten und den staatlichen Zugriff darauf hätten befürchten müssen.

Das neue Vorratsdatenspeicherungsgesetz ist ein Aufklärungsverhinderungsgesetz gegen den Journalismus. Die Pressefreiheit muss beiseite springen oder sie wird überrollt, wenn der Staat mit Blaulicht daherkommt. Das ist nicht nur so beim staatlichen Zugriff auf die Telekommunikationsdaten. Das setzt sich fort im Abhören der Telefonate; Lauschaktionen gegen Journalisten sollen möglich sein, wenn dabei die "Verhältnismäßigkeit" gewahrt bleibt. Wer zweifelt daran, dass die Sicherheitsbehörden im Zweifel nie an der Verhältnismäßigkeit zweifeln?

Die neuen Gesetze entwerten die Pressefreiheit. Natürlich leben Journalisten hierzulande gleichwohl nicht gefährlich. In vielen Staaten ist das anders: In Iran oder in China etwa ist die Pressefreiheit nur zwei mal drei Meter groß und hat den Grundriss einer Gefängniszelle. In solchen Ländern wissen aber die Menschen, was die Pressefreiheit wert ist. Sie wissen es, wie es die ersten deutschen Demokraten gewusst haben, auf dem Hambacher Fest von 1832 und in der Revolution von 1848, als alle politischen Sehnsüchte in diesem Wort "Pressefreiheit" mündeten. Der deutsche Gesetzgeber weiß es offenbar nicht mehr.

6000 Bürger haben dem "Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung" bereits Vollmacht erteilt, in ihrem Namen Verfassungsbeschwerde zu erheben. Die Begründung der Verfassungsbeschwerde, verfasst vom Bielefelder Professor Christoph Gusy, ist schon im Internet nachzulesen.

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