FC Bayern:Der Ancelotti unter den Mittelfeldspielern

  • Xabi Alonso, 35, vom FC Bayern beendet im Sommer seine Karriere.
  • Die Bayern verlieren nach Philipp Lahm einen weiteren Spielversteher.
  • Alonso hat sich in seinen drei Münchner Jahren mehr um die Mannschaft verdient gemacht hat, als man das bei seiner Verpflichtung erwarten konnte.

Von Christof Kneer

Xabi Alonso war 23 Jahre alt, als er seinen ersten großen Titel gewann. Er spielte schon damals auf der Position, auf der er bis heute spielt, er teilte sich das zentrale Mittelfeld mit dem großen Steven Gerrard. Außerdem spielten Sami Hyypiä und Didi Hamann in seiner Mannschaft, im Sturm stand Milan Baros. Beim Gegner spielten auch ein paar, die man schon mal gehört hat, Maldini, Nesta, Pirlo, Seedorf, Schewtschenko.

Xabi Alonsos Mannschaft, der FC Liverpool, lag schon 0:3 zurück in diesem Champions-League-Finale im Mai 2005, aber dann stand es plötzlich 3:3, auch dank eines Elfmeters, den der junge Alonso im Nachschuss verwandelte. Am Ende siegte der FC Liverpool mit 6:5 im Elfmeterschießen, es war eine Partie, der schon eine Sekunde nach dem Abpfiff klar war, dass sie es einmal in die Hall of Games schaffen würde. Der Coach des unterlegenen AC Mailand hat damals eine der verletzendsten Niederlage seiner Trainerkarriere erlitten, aber wer ihn heute so sieht, darf behaupten, dass Carlo Ancelotti sich ganz gut erholt hat von diesem Abend.

Als Ancelotti elfeinhalb Jahre später zustimmte, Trainer des FC Bayern München zu werden, hat er aus seinem Sabbatical in Kanada heraus gleich mal eine erste Personalie in Auftrag gegeben: Mit Xabi Alonso, dem Peiniger von einst, solle der FC Bayern den Vertrag dringend um ein Jahr verlängern. Er brauche ihn.

Ein Ausweis besonders modernen Trainerdenkens war das möglicherweise nicht, aber ist das nicht sensationell egal, wenn es um Xabi Alonso geht? Nein, sein Spiel ist nicht modern, manchmal fliegen seine Bälle stundenlang, bevor sie beim Adressaten auf der anderen Spielfeldseite ankommen, und natürlich widerspricht das dem Tempo!Tempo!Tempo!-Diktat des sogenannten modernen Spiels. Aber altmodisch sind Alonso und sein Spiel trotzdem nicht. Sie sind überzeitlich, ewig gültig quasi.

"Leb wohl, wunderschönes Spiel"

Wer noch mal live im Stadion einen Fußballer erleben möchte, der das Spiel bis in seine tiefsten Tiefen verstanden hat, der hat bis Saisonende noch knapp drei Monate Zeit dafür. So lange will Xabi Alonso noch spielen, dann ist es vorbei.

"Ich habe es gelebt, ich habe es geliebt. Leb wohl, wunderschönes Spiel", erklärte Xabi Alonso, 35, am Donnerstag mit sehr würdiger Wehmut. Er habe "immer lieber früher als zu spät aufhören" wollen, "es war keine einfache Entscheidung, aber ich glaube, es ist der richtige Moment". Er wolle seine Karriere "auf höchstem Niveau beenden, und Bayern ist das höchste Niveau".

Der Xabi Alonso der Spätphase ist eine Art Ancelotti unter den Mittelfeldspielern, nur selbstverständlich ohne Kaugummi. Ancelotti und Alonso senken auf sehr gesunde Weise den Ruhepuls der Bayern-Mannschaft, sie geben den anderen durch ihre schiere Existenz ein gutes Gefühl.

Natürlich hat man Alonso die vielen Jahre, die er in der freien Wildbahn dieses Spiels verbracht hat, zuletzt angesehen; natürlich hat man die Knochen mitunter ein bisschen quietschen gehört, wenn der Gegner schnell umschaltete, wie das im modernen Fußballdeutsch heißt. Alonso ist dann nicht immer gut in die Zweikämpfe gekommen, wie das ebenfalls im modernen Fußballdeutsch heißt. Aber das waren die oberflächlichen Momente, jene, die man sehen konnte. Was man nur spüren konnte: wie Alonso, dem Tempodefizit zum Trotz, das Spiel geordnet und gepflegt hat, gemeinsam mit Philipp Lahm, dem zweiten großen Spielversteher in dieser Mannschaft.

Eigentlich war Alonso ein reaktiver Transfer

Kann sein, dass sie alle zusammen noch mal die Champions League gewinnen. Ob die Bayern aber wirklich schon begreifen, was ihnen fehlen wird, wenn beide im Sommer einfach aufhören?

Xabi Alonso war zu kurz in München, um eine Ära zu prägen, dennoch wird er im großen Bayern-Almanach mal nicht auf den hinteren Seiten stehen. Erstens, weil er Xabi Alonso ist, ein Weltstar mit Sean-Connery-Ausstrahlung, den jeder Verein gern herzeigt; aber - zweitens - eben auch, weil er sich in seinen drei Münchner Jahren mehr um die Mannschaft verdient gemacht hat, als man das bei seiner Verpflichtung erwarten konnte. Gleich in seinen ersten Monaten wurde er lebenswichtig für den Verein: Mit der Gelassenheit eines Spielers, der alles mindestens dreimal erlebt hat, half er den Bayern über das mysteriöse WM-Loch hinweg, in dem man schon ganze Mannschaften hat verschwinden sehen.

Die deutschen Bayern-Spieler waren tatsächlich ein bisschen müde und ein bisschen abgelenkt nach ihrem großen Triumph in Brasilien, aber Xabi Alonso hat sie beschützt, mit seiner Aura, seinem Rhythmusgefühl und seinen weiten, präzisen Pässen. Und anders als der späte Mark van Bommel hat er meist der Versuchung widerstanden, das Spiel auf sein persönliches Tempo herunterzudimmen; er hat sich tapfer in die Zweikämpfe geworfen, jedenfalls in jene, die er noch erreicht hat.

Xabi Alonso war ursprünglich nur "ein reaktiver Transfer", wie Bayerns Kaderplaner Michael Reschke mal gesagt hat, vollzogen drei Tage vor Transferschluss im August 2014, beeinflusst von Javi Martínez' schwerer Verletzung. Heute kann man sagen, dass es ein goldener Reflex war. Reschke kannte aus seinen Leverkusener Jahren Sami Hyypiä gut, und der kannte Xabi Alonso gut, und so stand Xabi Alonso also plötzlich in München und wurde in dieser Stadt das, was dem Stadtheiligen, dem Monaco Franze, nie vergönnt war: ein ernsthafter älterer Herr.

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