Darmstadt:"Hier gibt sich keiner auf"

SV Darmstadt 98 - 1. FSV Mainz 05

Zeitreise: Aytac Sulu (Weiß), in der vergangenen Spielzeit mit sieben Treffern, feiert gegen Mainz seine späte Torpremiere in dieser Saison.

(Foto: Hasan Bratic/dpa)

Nach dem vierten Saisonsieg glaubt 98 an eine Mini-Chance zum Klassenverbleib. Trainer Frings vergleicht die Herausforderung mit dem Aufstieg zum Mount Everest.

Von Tobias Schächter, Darmstadt

Torsten Frings ist ein Mann des offenen Wortes. So viel darf man nach zehn Wochen festhalten, in denen er als Cheftrainer von Darmstadt 98 wirkt. Ehrlich statt geschliffen kommt Frings daher, und mit 40 Jahren ist er ja noch ein junger Trainer. Wobei: Gegenüber Kollegen wie Manuel Baum, 37 (Augsburg), oder Julian Nagelsmann, 29 (Hoffenheim), wirkt Frings fast schon wieder alt. Das liegt eher nicht an seiner 80er-Jahre-Heavy-Metal-Frisur, aber vielleicht daran, dass der ehemalige Nationalspieler den Fußballinteressierten bereits seit 20 Jahren gut bekannt ist. Als Spieler lernte ihn das Publikum als furchtlosen Kämpfer kennen und die Presse als wortkargen Stoffel. Als Trainer erweist sich Frings noch immer als jener Kämpfer, der er als Spieler war, aber auf Pressekonferenzen gibt er inzwischen offen Auskunft - Frings sagt, was er denkt.

Das ist erfrischend, wenngleich nicht immer diplomatisch. Als seine Elf zuletzt beim SV Werder in Bremen verlor, erklärte er: "Ab jetzt spielen wir nur noch für uns." Dass ihm dieser Satz als Kapitulation im Abstiegskampf ausgelegt wurde, ärgerte die Kämpfernatur. Aber nichts liegt Frings ferner, als die Dinge schön zu reden.

Hamit Altintop und Sidney Sam - die Winterzugänge verhelfen den Lilien zu mehr Profil

Auch am Samstag versuchte er erst gar nicht, die Realität auszublenden. Trotz des 2:1 gegen den FSV Mainz 05 sehe die Tabelle noch immer mies aus, gab Frings zu. Angesichts von nur 15 eigenen Punkten wäre alles andere auch nicht zu vermitteln. Und überhaupt, so Frings: "Der Berg, den wir besteigen müssen, ist höher als der Mount Everest." Trotz des Sieges befindet sich die Expedition des Alpinisten Frings noch immer im Basislager, tief im Tal der Liga. Das heißt aber nicht, dass die Südhessen ihre Ambition schon aufgegeben haben: "Wir wollen jedes Spiel gewinnen", versichert Frings, er kennt aber die Kräfteverhältnisse: "Wir sind Darmstadt 98 und gewinnen nicht mal eben sieben oder acht Spiele in der Bundesliga."

Auch nach dem Anschlusstreffer der Mainzer durch Robin Quaison (45.) blieb Frings seinem Stil treu: "Ich habe an die Mannschaft appelliert, sie soll mutig bleiben - es ist sowieso alles vorbei." Das ist es rein rechnerisch natürlich noch nicht, aber der Trainer hat recht: Keinem Spieler hilft es, in jeder Sekunde daran zu denken, mal kurz den höchsten Berg der Erde besteigen zu müssen, um nur nicht abzusteigen. Doch die Lilien haben gelernt, im zweiten Jahr nach ihrer Bundesliga-Rückkehr niemals aufzugeben. Auch der Platzverweis nach gelb-roter Karte gegen Mario Vrancic (59.) brach nicht ihren Widerstand, die kraftlosen Mainzer hingegen müssen in der Tabelle nun plötzlich besorgt nach unten schauen. Dass deren Trainer Martin Schmidt die Einstellung der Gastgeber als "vorbildlich" lobte, ging dem Trainer Frings "runter wie Öl". Seine Elf sei ohnehin immer konkurrenzfähig, findet er. Wobei Frings die 1:6-Pleite gegen Köln oder auch das desolate 1:2 gegen Augsburg erfolgreich verdrängt.

Aber es stimmt: Die Lilien treten insgesamt kompakter und spielerisch reifer als in der Vorrunde unter Norbert Meier auf. Das hat viel mit den Verstärkungen des Winters zu tun. Routinier Hamit Altintop (kam von Galatasaray Istanbul) spielt im zentralen Mittelfeld so erhaben, dass er auch einem Klub wie Mainz 05 auf dieser Position guttun würde. Sidney Sam (kam aus Schalke) gewinnt mit zunehmender Spielpraxis an Klasse. Aber auch gestandene Darmstädter Helden wie Innenverteidiger Aytac Sulu, der mit seinem ersten Saisontor das 1:0 (5.) per Kopf erzielte, oder Jerome Gondorf, der den Elfmeter zu Sidney Sams 2:0 (12.) herausholte, nähern sich ihrer Bestform.

Als "Motivationshilfe" (Sulu) wirkte am Samstag die Erinnerung an den vor einem Jahr an Krebs verstorbenen Fan Jonathan "Johnny" Heimes. Es ist wirklich etwas Besonderes, wie der Verein das Gedenken an den tapferen Heimes wachhält, gegen Mainz spielten die Lilien in einem Sondertrikot mit der Aufschrift: "Du musst kämpfen". Der Trainer Frings versprach dazu passend: "Hier gibt sich keiner auf - obwohl wir wissen, dass es eine unmögliche Situation ist."

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