"Wie ich euch sehe": Paarberater:"Die perfekte Beziehung ist eine Illusion"

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Manchmal hilft Sprechen auch nicht weiter, findet der Paarberater Markus W. (Foto: Illustration Jessy Asmus)

Psychologe Markus W. arbeitet mit Paaren. In einer neuen Folge von "Wie ich euch sehe" erklärt er, warum man oft über Banalitäten streitet und Gespräche manchmal der falsche Weg sind.

Von Anna Fischhaber

In unserer Serie "Wie ich euch sehe" kommen Menschen zu Wort, mit denen wir im Alltag zu tun haben, über die wir uns jedoch kaum Gedanken machen: ein Richter, eine Verkäuferin, ein Veganer. Sie erzählen, wie es ihnen ergeht, wenn sie es mit uns zu tun bekommen - als Kunden, Patienten, Mitmenschen. Diesmal berichtet Psychologe Markus W. (Name von der Redaktion geändert) von seiner Arbeit mit Paaren, die sich über die nicht ausgeräumte Spülmaschine streiten anstatt tanzen zu gehen.

Eigentlich ruft fast immer ihr Frauen an. Das klingt nach Klischee, ist aber bei fast allen meinen Klienten so: Sie will etwas in der Beziehung verändern, er tut sich schwer. Viele Klientinnen haben große Erwartungen an mich, glauben, dass ich wahre Wunder vollbringen könnte. Das kann ich natürlich nicht. Die Männer hingegen sind anfangs oft skeptisch, sie denken, ich würde sie im Auftrag der Frau kritisieren. Aber meine Rolle ist keine moralische, ich verurteile niemanden.

Am Anfang einer Paarberatung versuche ich, die Stimmung zu lockern. Ich frage gerne, was gut läuft. Klartext muss ich natürlich trotzdem manchmal reden. Vor allem, wenn ihr euch gegenseitig nur Vorwürfe macht: "Du hast letztes Mal gesagt", "Du denkst doch das und das" - so redet ihr oft miteinander, wenn ihr bei mir seid. Doch das führt zu nichts, deshalb muss ich manchmal einfach dazwischenfahren.

"Wie ich euch sehe": Richter
:"Ich versuche, wirklich gerecht zu sein"

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Von Anna Fischhaber

Meine Klienten streiten fast immer über Banalitäten: wer die Spülmaschine ausräumt oder den Sohn vom Fußball abholt. Es geht um Alltagssituationen, weniger um Grundlegendes. Wenn ihr zu mir kommt, sind in der Regel alle Versuche, diese Banalitäten zu klären, gescheitert. Ihr wisst nicht mehr, wie ihr eure Konflikte angehen sollt. Das Ergebnis ist oft eine unerträgliche Funkstille. Vordergründig geht es um Kommunikation, aber natürlich spielen auch andere Themen eine Rolle: Nähe, Distanz, unterschiedliche Bedürfnisse und Wünsche, Sexualität. Ich arbeite in einer Beratungsstelle und arbeite vor allem mit Paaren mit Kindern. Oft haben sie gerade ein Baby bekommen. Ein Kind verändert das Gleichgewicht in einer Beziehung, manche kommen damit nicht zurecht.

Viele Paare versuchen, ihre Konflikte allein über Gespräche zu lösen. Mitunter führt das allerdings dazu, dass sie sich dabei immer mehr ineinander verhaken und ihre Probleme nur wiederholen. Ich rate deshalb gerne dazu, einmal die Ebene zu wechseln und nicht nur verbal zu kommunizieren, sondern beispielsweise über Blicke oder Berührungen. Machen Sie einen Tanzkurs anstatt schon wieder über den Haushalt zu streiten! Alles, was alte Muster durchbricht, ist erst einmal gut. Zumal sich manche Konflikte nur lösen lassen, wenn ihr akzeptiert, dass ihr unterschiedlich seid.

"Eine Partnerschaft ist keine Milchkuh"

Was mich nervt? Wenn ihr kommt und denkt, nur der andere müsste sich ändern. Das macht es unmöglich, dass etwas Neues passiert. Wer zu mir kommt, muss bereit sein, etwas beizutragen. Ich merke jedoch, dass das immer schwieriger wird. Wir werden immer individualistischer und egoistischer. Manche Klienten wägen kühl ab, wie viel an Bedürfnisbefriedigung in ihrer Beziehung noch möglich ist. Sie fragen: Was bringt mir das? Was springt für mich heraus? Was habe ich davon? Aber eine Partnerschaft ist keine Milchkuh, die einen füttert. Partnerschaft heißt auch Fürsorge und Verantwortung für den anderen.

Wenn ihr zu mir kommt, solltet ihr euch im Klaren sein, dass es nicht immer ein Happy End gibt. So eine Beratung ist mit hohem Aufwand verbunden, zeitlich und emotional. Manchmal führt sie zu mehr Nähe, mehr Zufriedenheit, mehr Verständnis füreinander. Manchmal führt sie aber auch dazu, dass sich die Paare trennen. Das ist ein reales Risiko. Es kann aber für beide auch eine Chance sein.

Zur Trennung raten würde ich nie, die Verantwortung liegt bei euch. Trotzdem wundere ich mich natürlich manchmal, wie Menschen es geschafft haben, so lange zusammenzubleiben. Vor allem, wenn schon am Anfang klar war, dass kaum Gemeinsamkeiten vorhanden sind. Wie anstrengend muss euer Leben sein, frage ich mich dann, und mache das auch in der Stunde zum Thema. Meist merken die Paare dann selbst, dass es besser ist, die Beziehung zu beenden.

Manchmal ist eine Trennung auch für mich schwierig. Wenn ich die Klienten sympathisch finde und wir hart miteinander gearbeitet haben. Wenn ich ihnen wünsche, dass sie einen Weg miteinander finden - und sie schaffen es nicht. Nach mehreren Stunden kommen sie dann bedrückt zu mir und offenbaren, dass sie sich trennen wollen. Manchmal bin ich davon so überwältigt, dass mir die Worte fehlen.

"Ich glaube nicht an die ewige Liebe"

Sicher glaubt ihr, ich hätte die ideale Partnerschaft. Aber was ist das überhaupt? Die perfekte Beziehung ist eine Illusion. Konflikte gehören zu jeder Partnerschaft. Als Psychologe verstehe ich manche Dinge vielleicht anders oder besser, aber ich kann die eigenen Stolperfallen auch nicht einfach aus dem Weg räumen. Das ist ähnlich wie bei einem Arzt. Wenn er Symptome bei sich bemerkt, kann er überlegen, was es sein könnte, aber er ist eben auch ein Stück weit blind für seine eigenen Krankheiten und sollte sich deshalb besser von einem Kollegen behandeln lassen.

Ich persönlich glaube nicht an die ewige Liebe. Ich denke, es gibt immer wieder Phasen im Leben, in denen man offen ist für intensive Gefühle einem anderen Menschen gegenüber. Aber dann kommt schnell der Alltag und ihr müsst anerkennen, dass euer Partner anders ist als ihr selbst. Damit die Beziehung funktioniert, muss man sich einerseits anpassen und anderseits, Regeln für das Zusammenleben miteinander aushandeln. Dabei hilft es, offen zu bleiben für die Wünsche und Bedürfnisse des anderen, mit dem anderen mitzuschwingen.

Ich bin froh über die romantischen Momente in meinem Leben. Aber eine gute Beziehung ist viel mehr als Romantik und Verliebtsein.

Wie nehmen Sie die Menschen wahr, mit denen Sie sich aufgrund Ihrer persönlichen Lebenssituation oder Ihres Berufes tagtäglich auseinandersetzen? Was wollten Sie in der Hinsicht schon immer einmal loswerden? Senden Sie ein paar Sätze mit einer kurzen Beschreibung per E-Mail an: leben@sueddeutsche.de. Wir melden uns bei Ihnen.

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