Umweltpolitik:Verzichten können andere

Umweltpolitik: 17,14 Euro sollen ausreichend sein für 30 Tage, findet der Gesetzgeber.

17,14 Euro sollen ausreichend sein für 30 Tage, findet der Gesetzgeber.

(Foto: Jens Büttner/dpa)

2016 setzte die Regierung mit dem "Nationalen Programm für nachhaltigen Konsum" ein Zeichen. Doch große Veränderungen wird es gar nicht geben.

Von Michael Bauchmüller und Kristiana Ludwig, Berlin

Im Film ist "R2D2" ein kleiner, aber extrem pfiffiger Roboter. Wenn die Helden bei Star Wars in der Klemme stecken, ist nicht selten er die Rettung. In der Wirklichkeit dagegen soll R2D2 helfen, den Planeten zu retten. Denn so heißt auch das deutsche Forschungsprojekt "Zwischen Rebound-Risiken und Suffizienz-Chancen", komplizierter Untertitel "Herausforderungen der Entkopplung von Umweltverbrauch und Wirtschaftswachstum am Beispiel der Digitalisierung von Dienstleistungen".

Es ist nur eines von 44 Vorhaben der Bundesregierung, die hierzulande den "nachhaltigen Konsum" vorantreiben sollen. Mal geht es um "psychologisches und kommunales Empowerment", mal um das "Forum nachhaltiges Palmöl", hier entstehen "nachhaltige Reiseprodukte", dort Informationsportale. Fein säuberlich aufgelistet findet sich das alles in einer vor Kurzem beantworteten Anfrage der Grünen; die Liste füllt drei Seiten, das Programm dahinter ganze 53. Große Fragen der Nachhaltigkeit dagegen, des Wirtschaftens auf einem begrenzten Planeten mit wachsender Bevölkerung, die sucht man vergeblich.

Gut leben ließe sich auch mit weniger Konsumgütern, womöglich sogar besser

Verabschiedet wurde das "Nationale Programm für nachhaltigen Konsum" im vorigen Jahr von der Bundesregierung. Als erstes Land der Welt setzte Deutschland seinerzeit das Ziel Nummer 12 der Agenda 2030 um, auf die sich die Staatengemeinschaft eingeschworen hatte: "nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster". Nächste Woche soll mit viel Bohei ein "Nationales Kompetenzzentrum Nachhaltiger Konsum" eröffnet werden. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks hat sich angekündigt, Agrarminister Christian Schmidt (CSU), aus dem Verbraucherschutzministerium Staatssekretär Gerd Billen. Doch nun entbrennt ein Streit über das Programm.

Vor Kurzem haben sich zwei Dutzend Wissenschaftler zu Wort gemeldet, in einem offenen Brief an die Minister und den Staatssekretär. Zwar enthalte das Regierungsprogramm viele wichtige Fragen. Auffällig sei aber die große Zurückhaltung, wenn es um Fragen des Verzichts gehe. "Letztlich ist der Grundtenor des Programms: Art und Ausmaß der Konsumnachfrage sind in Ordnung, es kommt nur auf deren möglichst umwelt- und sozialverträgliche Befriedigung an". Viel deutlicher müsse die "Notwendigkeit eines veränderten Konsumverhaltens" werden.

Wissenschaftler kleiden dergleichen in den Begriff der "Suffizienz": Gut leben ließe sich schließlich für viele Bundesbürger auch mit weniger Konsumgütern, womöglich sogar besser - weniger ist mehr. Nur gilt dieses Motto in der Regierung als heikel. "Niemand in der Politik profiliert sich gerne über Verzicht", sagt Julia Hertin vom Sachverständigenrat für Umweltfragen. Dabei sei es unmöglich, Konsum unbegrenzt zu steigern, gleichzeitig aber die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten. "Unser Reichtum hat eine Hebelwirkung", sagt Hertin. Doch das einzige Projekt, das sich mit Suffizienz zumindest in einem Teilbereich befasst, ist R2D2.

Verzicht übte die Bundesregierung nach Auffassung vieler Experten allein bei neuen Ideen. "Das klingt alles stark nach Recycling", sagt Kathrin Krause, die sich beim Bundesverband der Verbraucherzentralen mit nachhaltigem Konsum beschäftigt. "Kaum eine der Ideen ist neu - bis auf das Kompetenzzentrum." Das trägt zwar einen schönen Namen, hat aber weder Personal noch einen Telefonanschluss. Einstweilen soll das Umweltbundesamt als Sitz des "Zentrums" fungieren. Der Rest ist virtuell: Hier spart der Staat an Ressourcen.

An anderer Stelle tut er sich damit schwerer. Behörden im Bund, in den Bundesländern und Kommunen kaufen pro Jahr für 260 Milliarden Euro Waren und Dienstleistungen ein. Bereits vor neun Jahren rechnete die Unternehmensberatung McKinsey für das Umweltministerium aus, dass der Staat seine Treibhausgasemissionen um 30 Prozent reduzieren könnte, wenn er etwa bei Omnibussen oder Verwaltungsgebäuden auf umweltfreundliche Produkte setzen würde. Es fehle vor allem ein "abgestimmtes Gesamtprogramm", heißt es in der Analyse.

2016 reformierte die Regierung tatsächlich das Vergaberecht - also das Gesetz, in dem die Vorgaben für öffentliche Aufträge stehen. Doch eine Gesamtstrategie für nachhaltigen Staatskonsum entstand dabei nicht. Den Behörden wurde lediglich erlaubt, ihre Aufträge auch an soziale oder umweltbezogene Standards zu koppeln. Ein freiwilliger Schritt, auf den jede Kommune, die unter Spardruck steht, auch verzichten kann. "Impulse werden da nicht gerade gesetzt", sagt Yvonne Zwick, die sich mit dem Thema beim Rat für Nachhaltige Entwicklung befasst. "Die öffentliche Beschaffung bleibt weit hinter ihren Möglichkeiten, ein gutes Beispiel zu geben."

Ähnlich bei den Vorgaben für die Wirtschaft: Hier soll ein Gesetz für unternehmerische Gesellschaftsverantwortung die Firmen zu mehr Nachhaltigkeit verpflichten. Sie sollen offenlegen, wenn in ihrer Produktion Umweltprobleme oder soziale Schwierigkeiten auftauchen. Doch gerade einmal 540 Unternehmen müssen derlei Berichte abliefern, fand die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung heraus. Lebensmittelketten wie Aldi oder Lidl fallen nicht darunter, dafür aber mehr als 130 Sparkassen.

"Wenn es darauf ankommt", sagt die Grünen-Politikerin Nicole Maisch, "werden möglichst viele Unternehmen von der Regulierung ausgenommen." Ein Jahr nach Veröffentlichung des Nationalen Programms weigere sich die Bundesregierung, "konkrete Ziele, Zeitvorgaben und bereitstehende Mittel für die Förderung nachhaltigen Konsums zu benennen."

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