Studie:Viele geflüchtete Frauen sind traumatisiert

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Die Forscher befragten geflohene Frauen zu ihrer Flucht, ihrer Situation in Deutschland und ihren Wünschen. (Foto: Sophia Kembowski/dpa)
  • Für traumatisierte geflüchtete Frauen gibt es zu wenig psychologische und therapeutische Hilfe.
  • Das belegt nun erstmals eine Studie der Berliner Charité.

Von Sebastian Fischer, Berlin

Wenn die Psychiaterin Meryam Schouler-Ocak einen beispielhaften Fall schildern soll, dann erzählt sie die Geschichte einer depressiven Syrerin. Die Frau, sagt sie, habe ihre Familie auf der Flucht verloren, sei in Berlin allein gewesen, habe in Angst gelebt und brauchte dringend eine Therapie. Doch wäre nicht zufällig ein Arzt auf sie aufmerksam geworden, hätten sich keine Sozialarbeiter engagiert, sie wäre nie behandelt worden.

Das Problem ist für Flüchtlingshelfer längst offensichtlich: Viele geflüchtete Frauen sind traumatisiert, und oft fehlt ihnen medizinische Unterstützung. Diese Erkenntnis, die bislang auf Einzelfallerfahrungen oder Schätzungen beruhte, haben geflüchtete Frauen nun erstmals selbst formuliert. Aus einer repräsentativen Befragung der Berliner Charité unter der Leitung von Schouler-Ocak geht hervor, dass mehr als jede zehnte geflüchtete Frau Selbstmordgedanken hat. Weniger als jede Zehnte hat die Möglichkeit, mit einem Psychologen oder Therapeuten zu sprechen.

Aydan Özoğuz (SPD), die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, kritisiert, dass über besondere Hilfen für geflüchtete Frauen, die ein Drittel der Flüchtlinge in Deutschland ausmachen, viel zu wenig gesprochen werde. Auch sei zu wenig erforscht, wie ihnen geholfen werden kann. Özoğuz hat die Studie bei der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité in Auftrag gegeben. Die Forscher befragten geflohene Frauen zu ihrer Flucht, ihrer Situation in Deutschland und ihren Wünschen. Die Ergebnisse, die an diesem Dienstag vorgestellt werden, liegen der SZ vor.

Finanzierung von Psychotherapie wird nicht immer genehmigt

650 Frauen aus Syrien, Iran, dem Irak, Afghanistan, Somalia, Eritrea und Äthiopien wurden in Aufnahmeeinrichtungen in verschiedenen Regionen Deutschlands befragt, knapp die Hälfte ist zwischen 17 und 29 Jahre alt. Und ebenso fast die Hälfte aller Frauen berichtete davon, in der Heimat oder auf der Flucht dem Tod nahe gewesen zu sein.

Besonders Frauen aus Eritrea nannten das Erleben sexualisierter Gewalt als Fluchtgrund. 40 Prozent beschrieben das Gefühl "stark ausgeprägter Traurigkeit", und viele Frauen quälen gar Suizidgedanken: fünf Prozent "stark ausgeprägt" sowie jeweils vier Prozent "ziemlich ausgeprägt" und "selten". Unerwartet hohe Zahlen, sagt Schouler-Ocak.

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Die größten Probleme der Frauen sind außer fehlender Deutschkenntnisse strukturell bedingt, ihnen fehlt Geld, die bürokratischen Hürden sind hoch. Diese erschweren und verzögern auch den Zugang zum Gesundheitssystem: 36 Prozent der Frauen sagten, sie erhielten keine Unterstützung bei medizinischen Beschwerden.

Nur acht Prozent sagten, sie könnten mit Psychologen oder Therapeuten sprechen; sechs Prozent beschrieben einen entsprechenden Bedarf, der nicht erfüllt werde. Die Finanzierung von Psychotherapie wird Asylbewerbern nicht immer genehmigt. Dolmetscherkosten etwa würden nicht erstattet, oft übersetzen Angehörige.

26 Prozent der Frauen erfahren Diskriminierung in ihrer Unterkunft

Dabei sind qualifizierte Dolmetscher gerade für Frauen wichtig, die über schambesetzte Themen wie sexuelle Gewalt sprechen müssen, sagen Mediziner. Es brauche "Schutzräume", um damit umzugehen. Aus der Befragung geht hervor, dass 26 Prozent der Frauen Diskriminierung in ihrer Unterkunft erfahren.

Zu den Problemen gehört jedoch auch, dass die Frauen oft nicht wissen, dass ihnen geholfen werden kann; dass es wegen der Sprachbarrieren schwierig ist, sie über Angebote zu informieren - oder sie keine Hilfe annehmen wollen. 15 Prozent sagten, sie würden bei körperlichen Beschwerden einen Arzt aufsuchen, nur vier Prozent würden dies bei seelischen Leiden tun.

Die Konsequenzen fehlender Betreuung können dramatisch sein, sagt die Psychologin Jenny Baron von der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer. Nicht nur, dass es mehr Notfallpatientinnen gebe. Frauen, die ihre belastende Geschichte keinem Spezialisten anvertrauen können, hätten auch Schwierigkeiten, diese im Asylverfahren zu erzählen - und würden am Ende oft falsch beurteilt.

Es gibt bundesweit Projekte, die geflüchtete Frauen über ihre Rechte informieren. Ein Viertel ihres Budgets, mehr als fünf Millionen Euro, gibt die Integrationsbeauftragte Özoğuz für Hilfsprojekte zugunsten geflüchteter Frauen aus. Doch es blieben viele Probleme, sagt Baron, "und es ist wichtig, dass nun mit Zahlen belegt wird, wo sie sind."

© SZ vom 21.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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