Künstliche Intelligenz:Eine Maschine gegen die Depression

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Der Chatbot Tess des Unternehmens X2AI wurde unter dem Namen Karim auch in syrischen Flüchtlingscamps zur Therapie eingesetzt. (Foto: x2.ai)
  • Michiel Rauws hat eine App entwickelt, in der ein Chat-Bot zum Psychotherapeuthen wird.
  • Die App soll Therapie für alle zugänglich und bezahlbar machen, zum Beispiel in Flüchtlingslagern.
  • Experten sehen Potenzial für künstliche Intelligenz in der Psychologie. Wie gut sie tatsächlich kann, ist aber noch nicht erforscht.

Von Kathrin Werner

Michiel Rauws ist selbst Patient. Für seine drei chronischen Krankheiten, unter ihnen Epilepsie, ist es wichtig, dass er sein Stress- und Frust-Level unter Kontrolle behält. Lange ging der 26-Jährige deshalb zum Psychotherapeuten und merkte: Sowohl die Fragen als auch die Ratschläge wiederholten sich, liefen nach einem immer gleichen Schema ab. Er begann, befreundeten Patienten Tipps gemäß dem Schema zu geben. Der nächste Schritt lag für Rauws nahe: Der Programmierer schrieb eine Anwendung für Computer und Smartphones.

Inzwischen lebt der Niederländer im Silicon Valley und hat die Firma X2AI gegründet. Sie entwickelte ein Seelsorger-Programm namens Karim, eingesetzt wird die digitale Psychotherapie etwa in einem Flüchtlingscamp in Libanon. Viele der Menschen dort sind traumatisiert, kaum jemand bekommt Hilfe. Karim hilft ihnen über das Smartphone. Er ist kein Roboter, der vor den Flüchtlingen sitzt, sondern ein Chatbot: Ein Computerprogramm, mit dem sie sich per SMS oder über den Internetbrowser austauschen.

Krankenhäuser in den USA und den Niederlanden arbeiten schon mit Karim

Karim und sein Schwesterroboter Tess verstehen mehrere Sprachen und erkennen sogar Sarkasmus. Sie antworten nach Mustern, die ihnen Psychologen beigebracht haben und entwickeln sie weiter, wenn sie merken, welche Fragen Patienten helfen. "Wir betonen immer, dass er kein Mensch, sondern eine Maschine ist", sagt Rauws. Eigentlich sei Karim so programmiert, dass er erst mit Small Talk Vertrauen aufzubauen versucht. Doch daran hätten die Leute kein Interesse: "Sie sagen sofort: Karim, ich brauche Hilfe."

Rauws' Start-up hat die Therapie-Maschine schon an Krankenhäuser in den USA und den Niederlanden verkauft, bislang aber nicht direkt an Patienten. Acht Prozent der Amerikaner leiden an Depressionen, fast die Hälfte von ihnen holt sich keine professionelle Hilfe. Termine beim Psychologen sind teuer und vor allem in ländlichen Gegenden kaum zu finden. "Wir machen Therapie für alle zugänglich und bezahlbar", sagt Rauws.

Start-ups entwickeln künstliche Intelligenz für die Psyche

Bei Depressionen könne sie besonders hilfreich sein, sagt der Gründer. "Menschen mit Depressionen haben oft Schwierigkeiten, mit anderen Menschen über ihre Probleme zu sprechen." Der Roboter urteilt nicht, vergisst nichts, hat nie schlechte Laune und keine Sprechstunden zu ungünstigen Uhrzeiten. "Wenn wir einer großen Zahl Menschen helfen können, haben Psychologen mehr Zeit für die Patienten, die sie tatsächlich wollen und brauchen", so Rauws.

Diverse Start-ups und Universitäten arbeiten an künstlicher Intelligenz für die Psyche. Die Firma Cogito etwa hat eine App entwickelt, die depressive Tendenzen aus dem Klang der Stimme heraushören soll. Sogar Facebook lässt seit Kurzem künstliche Intelligenz prüfen, ob Nutzer Dinge schreiben, die auf Suizidgedanken hindeuten. Zu Erfolgen und Risiken der digitalen Therapeuten fehlen noch verlässliche Studien, auch Gesetze zu Datenschutz und Haftung gibt es kaum.

Rauws versucht, mit Behörden und Versicherern Standards zu entwickeln. Und die Forscher sind optimistisch: "Die längste Zeit meiner Karriere haben Menschen überschätzt, was künstliche Intelligenz für uns tun kann", sagt Joanna Bryson, Psychologin und Informatik-Professorin an der University of Bath. "In diesem Bereich unterschätzen sie es."

© SZ vom 23.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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