Anschlag am Parlament:Der Terror ist nach London zurückgekehrt

Anschlag am Parlament: Britische Polizisten patroullieren in dem abgesperrten Areal im Zentrum von London.

Britische Polizisten patroullieren in dem abgesperrten Areal im Zentrum von London.

(Foto: AP)
  • Mindestens fünf Menschen sind am Mittwoch bei einem Anschlag am Londoner Parlament getötet worden, darunter der Attentäter.
  • Mindestens 40 Passanten wurden teils schwer verletzt. Die Polizei geht von einer terroristischen Attacke und einem Einzeltäter aus.
  • Ein Sprecher der Polizei wollte sich am Abend nicht dazu äußern, ob die Bedrohung endgültig vorüber sei.

Von Christian Zaschke, London

Solche Bilder hat London lange nicht gesehen: Eine Gruppe französischer Schüler rannte schreiend von der Westminster Bridge, manche weinend, alle fassungslos. Manche ihrer Mitschüler waren gerade von einem Attentäter mit einem Auto angefahren worden, in kalter Absicht. Passanten liefen geduckt, als seien sie in einem Kriegsgebiet. Auf der Brücke lagen Menschen, teils bewegungslos, teils sich windend vor Schmerzen.

Schüsse fielen, und dann war da überall der Klang der Sirenen. Er erfüllte ganz Westminster, das Herz der britischen Demokratie, und dieser Klang bedeutete, dass etwas Furchtbares geschehen war: Mindestens fünf Menschen sind am Mittwoch bei einem Anschlag vor dem Londoner Parlament getötet worden, darunter der Attentäter. Insgesamt 40 Menschen wurden verletzt, manche von ihnen schwer. Die Polizei geht von einer terroristischen Attacke aus.

Zuletzt war London am 7. Juli 2005 in ähnlicher Weise angegriffen worden. Damals starben bei Bombenattacken von islamistischen Fanatikern 52 Menschen, mehr als 700 wurden verletzt. Dieser Anschlag hat sich tief ins Bewusstsein der Stadt eingebrannt. Nach den jüngsten Attacken in Paris, Nizza und Berlin war es für pessimistische Londoner nur eine Frage der Zeit, bis auch die britische Hauptstadt wieder Ziel eines Anschlags sein würde.

Die schreienden Menschen, die Sirenen: Sie klangen am Mittwoch wie die Melodie des Terrors, die zurückgekehrt ist in eine Stadt, die sich lange recht sicher fühlte, obwohl die Polizei seit einigen Jahren die zweithöchste Sicherheitsstufe ausgerufen hatte.

Die britische Premierministerin Theresa May sollte am Abend vor ihrem Amtssitz in der Downing Street von einem "kranken und verkommenen Anschlag" sprechen. Die vollumfängliche Aufklärung des Vorfalles dauere noch an, sagte sie nach einem Treffen des Notfallkomitees Cobra, in dem Mitglieder der Regierung mit hochrangigen Vertretern der britischen Sicherheitsdienste zusammenkommen. May sprach davon, dass die Attacke von einem einzelnen Angreifer ausgeführt worden sei. Augenzeugen hatten berichtet, dass ein Mann am Nachmittag Passanten auf der Westminster Bridge vorsätzlich mit einem Auto angefahren hat. Er habe sie "umgemäht", erzählten sie. Auf der Brücke starben nach Angaben Mays zwei Menschen, mindestens zwanzig wurden verletzt. Laut Aussage eines Arztes im St.-Thomas-Hospital, das direkt an der Westminster Bridge liegt, haben einige Opfer "katastrophale Verletzungen" erlitten. Es sei nicht auszuschließen, dass die Zahl der Toten steige. Das Auto des Attentäters fuhr schließlich in einen Zaun am Parlamentsgelände und kam zum Stehen, der Angreifer lief in Richtung des Gebäudes.

An dem Eingang des Parlaments, den die Abgeordneten benutzen, verletzte er einen unbewaffneten Polizisten mit einem Messer so schwer, dass dieser wenig später trotz aller Wiederbelebungsversuche starb. Ein Abgeordneter war trotz der Aufforderung der Polizei, sich in Sicherheit zu bringen, zu dem Beamten geeilt, und hatte versucht, dessen Blutungen zu stillen und ihn mit Mund-zu-Mund-Beatmung am Leben zu halten.

May trifft Notfallkomitee Cobra

Die Gegend um Westminster gilt als die am besten gesicherte des Landes. Neben den uniformierten Beamten sind dort viele Polizisten in Zivil unterwegs. Zwei dieser Zivilbeamten forderten den Angreifer auf, sich zu ergeben. Als er sie ignorierte, eröffneten sie das Feuer, Zeugen hörten zwei oder drei Schüsse. Der Mann wurde in ein Krankenhaus gebracht, wo er am Abend seinen Verletzungen erlag.

Der stellvertretende Chef von Scotland Yard, Mark Rowley, sagte in der Nacht zum Donnerstag, dass man von einer islamistisch motivierten Attacke ausgehe. Die Ermittler seien überzeugt, die Identität des Täters zu kennen, wollen sie zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht öffentlich machen, um die Ermittlungen nicht zu gefährden.

Die Polizei forderte die Bevölkerung zur Wachsamkeit auf und bat, die Gegend um Westminster weiter zu meiden. Erste Notrufe waren um 14.40 Uhr Ortszeit eingegangen. Darin wurde von dem Amokfahrer auf der Westminster Bridge, der Messerattacke und von einer Frau berichtet, die in die Themse sprang, um nicht überfahren zu werden. Sie wurde mit ernsten Verletzungen geborgen.

"Morgen früh wird das Parlament zusammentreten, wie immer"

Rund um den Tatort kam am Abend alles zum Stillstand. Innerhalb von Minuten wurde das Gelände abgesperrt, selbst das Riesenrad an der Themse wurde angehalten, obwohl noch Menschen in den Gondeln waren. Londons Bürgermeister Sadiq Khan dankte den Einsatzkräften für ihr rasches Eingreifen. Die Abgeordneten, ihre Mitarbeiter und Besucher konnten das von Sicherheitskräften abgeriegelte Parlamentsgebäude bis fast 20 Uhr nicht verlassen.

Premierministerin May, die im Parlament weilte, war bereits wenige Minuten nach dem Anschlag von einer Eskorte in Sicherheit gebracht worden. Die Menschen in Großbritannien würden dem Terror jedoch niemals nachgeben, sagte sie später in ihrem abendlichen Statement. Das Leben werde wie gewohnt weitergehen und auch in Westminster wolle man schnellstmöglich zur Normalität zurückkehren: "Morgen früh wird das Parlament zusammentreten, wie immer."

Das schottische Regionalparlament, das am Mittwoch über ein neues Unabhängigkeitsreferendum abstimmen wollte, brach seine Debatte ab. Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon sagte, die Gedanken der Schotten seien bei den Opfern von Westminster.

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