Anschlag in London:Die Freiheit bleibt

Anschlag in London: Auf dem Trafalgar Square im Herzen von London zeigen Menschen ihren Zusammenhalt und ihre Solidarität mit den Opfern.

Auf dem Trafalgar Square im Herzen von London zeigen Menschen ihren Zusammenhalt und ihre Solidarität mit den Opfern.

(Foto: AFP)

Die souveräne Reaktion der Briten auf das Attentat von London zeigt, dass die Gesellschaft im Umgang mit dem Terrorismus erwachsen geworden ist.

Kommentar von Stefan Kornelius

Nachdem der Attentäter von London vier Menschen getötet und vielen Dutzend Opfern schlimme Verletzungen zugefügt hatte, machte sich schnell das Gefühl professioneller Beherrschbarkeit, ja einer gewissen Routine im Umgang mit dem Terror breit. Jenseits der Absperrung pulsierte gar das normale Leben. Selbst im britischen Parlament wurde der übliche Betrieb wieder aufgenommen, selbstverständlich unter gebührendem Respekt, den man den Toten und Verletzten zeigen wollte.

Das ist zunächst weder zynisch noch instinktlos. Die Reaktion zeugt von der unglaublichen Wegstrecke, die eine offene Gesellschaft im Umgang mit dem Terror in den vergangenen Jahren zurückgelegt hat. Um jedem Missverständnis vorzubeugen: Das Schicksal der Opfer, das unfassbare Leid ihrer Familien, muss und wird jeden fühlenden Menschen berühren. Doch steht auch die unaufgeregte und manchmal bis ins Sarkastische reichende Betrachtung der Tat für eine Haltung, die weite Teile der westlichen Gesellschaften inzwischen prägt.

Die souveräne Reaktion auf das Attentat zeugt von neuer Reife

Dafür gibt es mehrere, nahe liegende Gründe. Zunächst einmal wirkt die innere Distanz als Schutzmechanismus angesichts der vielen Terrortaten, die jeder in den vergangenen Jahren mitverfolgen musste. Was man als Empathieverlust beklagen kann, ist aus der Logik der Attentäter heraus auch ein gewaltiger Nachteil: Wenn sich eine Gesellschaft durch eine Tat nicht mehr in große Erregung versetzen lässt, dann verliert der Terror seine wichtigste Wirkung - nämlich zu erschüttern und gar zu destabilisieren.

Die Gelassenheit ist aber auch der Tatsache geschuldet, dass der Terror sein Überraschungsmoment und seine Unberechenbarkeit verloren hat. Es ist inzwischen eine Binse, dass Anschläge (gerade mit Fahrzeugen oder Messern) zu aller Zeit jedermann treffen können. Und es gehört zweitens zur Erfahrung, dass auch ein noch so brutaler Anschlag eine Gesellschaft nicht aus der Bahn werfen kann - es sei denn, diese Gesellschaft verliert das Vertrauen in sich, sie überreagiert und ergibt sich der Radikalisierung.

Die Besonnenheit nach dem Breitscheidplatz-Attentat von Berlin und nun in London zeigt, wie bewusst sich viele Menschen dieser Wechselwirkung sind. Die digitale Kommunikation etwa ist bei Weitem weniger hysterisch und spekulativ, radikale Parteien können immer schwerer einen Funken aus einer Terrortat schlagen.

Demokratien haben also das Zeug dazu, Terror auszuhalten und ihm zu widerstehen. Diesen Nachweis haben sie übrigens auch vorher schon erbracht - etwa in der Bundesrepublik Deutschland angesichts der RAF und in Großbritannien unter dem Druck der IRA.

Eine Gewöhnung darf es nicht geben

Terrorismus wird allerdings nicht besser, nur weil er in geringer Dosierung vorkommt oder mit weniger Furcht einflößenden Methoden sein Ziel verfolgt. Außerdem gilt: Ein wirklicher monströser Anschlag mit enormen Opferzahlen wie etwa in den USA am 11. September 2001 kann nach wie vor eine Gesellschaft bis ins Mark erschüttern und unberechenbar werden lassen. Das ist exakt die Sorge, die jeden Sicherheitsexperten in diesem Wahljahr umtreiben muss. Ein Großanschlag vor der Wahl in Frankreich kann die Abstimmung maßgeblich verändern und damit das Schicksal Europas.

Auch deswegen darf es eine Gewöhnung an den Terror nicht geben. Die Bedrohung muss beendet werden - entweder, indem die Täter die Sinnlosigkeit ihrer Anschläge erkennen, was ein vermutlich nicht existierendes Maß an Rationalität voraussetzt. Oder indem Gesellschaft und Sicherheitsbehörden die letzten Terror-Biotope gänzlich unwirtlich machen.

Den sehr abgeklärten Umgang mit der Terrorbedrohung ermöglichen letztlich auch die Sicherheitsbehörden, die in den vergangenen Jahren viele Attentate vereitelt und die Szene gut kartografiert und in die Enge getrieben haben. Sie sind am Ende vielleicht machtlos bei einem Attentäter, der sich in ein Auto setzt und, wie nun in Antwerpen, durch eine Fußgängerzone rast. Sie sind aber dazu fähig, diesen Attentäter in seinem radikalen Umfeld zu erkennen, zu isolieren und vielleicht sogar strafrechtlich zu verfolgen.

Wie in Berlin, so war wohl auch der Attentäter von London einschlägig bekannt. Das zeugt von der tiefen Durchdringung der extremistischen Szene, es offenbart aber auch Defizite der Strafverfolgung und Prävention, was besonders im Fall Anis Amri umfassend belegt ist.

Die Gesellschaft ist erwachsen geworden im Umgang mit dem Terrorismus. Sie hat auch einen Preis gezahlt in einer Währung, die sich Freiheit nennt. Das Attentat von Westminster zeigt, dass sie sich diese Freiheit aber auch bewahren kann.

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