Glyphosat:Streng geheime Feldarbeit

  • Es ist weitgehend unbekannt, welche Mengen an Pestiziden auf deutschen Äckern landen.
  • Die Landwirte müssen diese Daten zwar erheben, aber nicht weitergeben, bemängelt das Umweltbundesamt.
  • Die Geheimniskrämerei erschwert es, den Einsatz von Pestiziden wie Glyphosat zu senken.
  • Mehr als 1400 Gifte kommen in der Landwirtschaft zum Einsatz. Viele davon ließen sich einsparen.

Von Kathrin Zinkant

Welche Rolle der soziale Mediendienst Twitter dieser Tage im politischen Geschäft spielt, lässt sich nicht nur am Beispiel des US-Präsidenten Donald Trump beobachten. Als französische Wissenschaftler jüngst eine Studie veröffentlichten, derzufolge ein grobes Drittel aller Pflanzenschutzmittel im eigenen Lande verzichtbar seien, setzte der Grünen-Politiker Harald Ebner einen Tweet ab. "Ohne #Glyphosat gehen die Lichter aus? Nein!", schrieb Ebner.

Und wieder war eine Nachricht ohne Nachricht geboren. Denn den Franzosen war es allein um die Frage gegangen, ob sich die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln grundsätzlich reduzieren lässt. Und nicht, ob ein Einzelnes davon verzichtbar wäre. Das Wort Glyphosat taucht in der zugrunde liegenden Studie nicht ein einziges Mal auf. Tatsächlich hat das französische Papier die auch für Deutschland wichtige Frage aufgeworfen: Wie viel Pestizid ist auf Äckern wirklich nötig? Wäre auch in Deutschland ein Drittel der Pflanzenschutzmittel verzichtbar? Lässt sich derlei überhaupt beantworten?

Mehr als 1400 Gifte sind im Einsatz

Während die öffentliche Debatte weiter fast ausschließlich um das Breitbandherbizid Glyphosat kreist, haben es die Bauern in Deutschland nicht nur mit dem verhassten Unkrautvernichter zu tun. Gespritzt, begast und imprägniert werden Pflanzen mit mehr als 1400 chemischen Zubereitungen. Und das in praktisch jeder Phase ihrer Existenz: Von Saatkorn, Zwiebel und Knolle, die zum Schutz vor Schimmelpilzen, Bakterien und gefräßigen Insekten chemisch gebeizt werden, über die Pflanzen, die teils einer ganzen Abfolge von Behandlungen mit Fungiziden oder Insektiziden - sogenannten Spritzreihen - ausgesetzt werden, bis zur geernteten und eingelagerten Ackerfrucht, die der Bauer dann mit wieder anderen Mitteln vor Fäulnis, Pilzbefall und anderen Gefahren zu schützen versucht. Dazu kommt dann die Behandlung der Felder durch die einschlägigen Herbizide.

Wie viel Gift tatsächlich zum Einsatz kommt, lässt sich bislang lediglich aus den sogenannten Absatzzahlen ableiten. Sie werden von den Herstellern bereitgestellt und sagen lediglich aus, womit sich die Bauern eindecken. Wie viel von den verkauften Mitteln in welcher Dosierung und zu welcher Gelegenheit eingesetzt wird, ist eine andere Frage. Und keine unwichtige, wie Pestizidexperte Jörn Wogram vom Umweltbundesamt (UBA) in Dessau betont. Die Behörde des Umweltministeriums entscheidet mit über die Zulassung von Agrarchemikalien. "Wenn wir das Risiko bewerten wollen, das von einem Pflanzenschutzmittel ausgeht, dann müssen wir wissen, in welcher Kombination der Wirkstoff oder das Präparat auf den Acker kommt", sagt Wogram. So könnten zwei Pestizide einzeln betrachtet ein akzeptables Risiko darstellen, gemeinsam auf dem Feld aber unerwartete Wirkungen entfalten, die weit über die rechnerisch addierten Risiken hinausgehen. Solche Effekte überhaupt zu erkennen, dazu bräuchte es umfassende Daten über die eingesetzten Mengen.

Ob und wie die Landwirte mit den Chemikalien umgehen, bleibt für Fachleute wie Wogram jedoch im Dunkeln. Zwar schreibt die EU seit 2009 allen Mitgliedstaaten vor, nicht nur Absatz-, sondern auch detaillierte Anwendungsdaten zu erheben, auszuwerten und nach nationalem Recht Dritten zur Verfügung zu stellen. Doch in Deutschland haben sich Behörden und Bauern darauf geeinigt, die Daten nur auf freiwilliger Basis zu erheben - und sie letztlich auch in der Obhut der Landwirte zu belassen. Nur das Julius-Kühn-Institut erhält die Zahlen, um der EU-Vorgabe gerecht werden zu können. Die knappen Auswertungen dieser Daten sind dann im Internet einzusehen. Was außerhalb der veröffentlichungspflichtigen Statistik mit dem Material passiert, entscheiden aber die Bauern, denen die Informationen gehören. Eine reine Frage des Datenschutzes, heißt es dazu beim Deutschen Bauernverband.

Nicht einmal andere Behörden dürfen die Daten einsehen

Das Umweltbundesamt hat nach eigener Aussage deshalb keinen Zugriff auf diese wichtigen Informationen. Wogram hält das für so unerhört wie schon die Freiwilligkeit der Erhebungen. "Wenn jeder Bauer ein Spritztagebuch führen und diese Daten zur Verfügung stellen würde, könnten wir damit Forschung betreiben und sehr viele Risiken durch den Einsatz von Pestiziden vermeiden", sagt der Fachmann. Denn welche Maßnahmen grundsätzlich helfen könnten, Artenvielfalt, Gewässer und schließlich auch die Verbraucher vor Pestiziden zu schützen, ist zwar bekannt: Grünstreifen an Flüssen, Blühflächen auf den Äckern, bodenschonende Fruchtfolgen und Anbau robuster Sorten, zum Beispiel. Aber in der Medizin kann ein Arzt auch kein Rezept ausstellen, ohne den einzelnen Patienten vorher untersucht zu haben.

Was dabei herauskommt, wenn an einzelnen Standorten gezielt auf einen Teil der Pestizide verzichtet wird, zeigt immerhin eine eigene Untersuchung des Julius-Kühn-Instituts für den Anbau von Wintergetreide auf einem Versuchsfeld in Dahnsdorf. Während ein vollständiger Verzicht auf Pestizide die Erträge um mehr als ein Drittel einbrechen ließ, war eine Reduktion um ein Viertel ohne größere Probleme möglich. Jürgen Schwarz, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut und Erstautor der Studie, gibt allerdings zu bedenken, dass sich die Bedingungen auf einem Forschungsacker vom normalen landwirtschaftlichen Betrieb unterscheiden. "Wir konnten auf den Tag genau eingreifen, wenn es ein Problem gab", sagt Schwarz. In der Realität sei das schlecht möglich.

Dass der Einsatz von Pestiziden dennoch reformiert werden muss, glaubt auch der Agrarwissenschaftler Horst-Henning Steinmann vom Zentrum für Biodiversität und Nachhaltige Landnutzung an der Universität Göttingen. Steinmann hat sich bereits in der Glyphosat-Debatte dafür ausgesprochen, im Falle einer weiteren Zulassung des Herbizids dessen Gebrauch zu verringern. "Bei vielen Pestiziden zeigt sich, dass der massive Gebrauch die Wirkung schwächt", sagt Steinmann. Unkraut und Schädlinge ließen sich ohnehin nicht zu hundert Prozent beseitigen. Zugleich müsse man differenzieren. "Es gibt ganz klar auch Betriebe, für die der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln notwendig und profitabel ist", sagt Steinmann.

Experten in und außerhalb der Behörden sind sich demnach einig: Im Kampf gegen die Natur allein auf Chemie zu setzen, das hat in keinem Bereich der Landwirtschaft Zukunft. Es wird aber auch nicht reichen, pauschal einen Teil der Pestizide einzusparen - oder eines zu verbieten. "Eine Abkehr vom jetzigen Niveau ist nur durch eine Umstellung der Anbauverfahren möglich", sagt Horst-Henning Steinmann. "Wir müssen uns auch mal neue Wege im Pflanzenschutz zutrauen."

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