Snacks im Büro:Essen gegen den Frust am Arbeitsplatz

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Kitkat, Muffins und andere Leckereien sind aus vielen Büros bereits verbannt. Die Welle der Selbstoptimierung hat auch die Snackboxen erreicht.

(Foto: Getty Images)

Süßigkeiten waren mal die besten Freunde im Büro, die Alleshelfer gegen Stress, Ärger oder Langeweile. Nun gibt es Obstkörbe und Superfood. Hilft das?

Von Sophie Burfeind

Es ist eine Beziehung, die alle kennen, über die man aber nur ungern spricht: unser Verhältnis zu Büro-Snacks. Schokoriegel und Gummibärchen sind gut bei Stress, Langeweile, Frust, Kummer, Ärger, Müdigkeit, Erfolg, eigentlich in jeder Situation. Sie sind unser bester Freund und unser größter Feind, die ewige Versuchung.

Oscar Wilde hat mal geschrieben: "Der einzige Weg, eine Versuchung loszuwerden, ist ihr nachzugeben." Er dachte dabei wahrscheinlich nicht an Snickers - aber nichts beschreibt unseren Umgang mit Büro-Snacks so gut.

3-K-Regel gilt nicht mehr

Früher galt in deutschen Unternehmen mal die goldene drei-K-Regel: Zu einer gelungenen Konferenz gehörten Kaffee, Kaltgetränke und Kekse.

Doch der Konferenz-Keks ist out. Statt Waffelröllchen gibt es auf den Tischen jetzt Obstkörbe. Schokoriegel und Weingummis wurden zu Feinden erklärt, der Griff in die Süßigkeitenbox gilt als Kontrollverlust.

In der Welt der Selbstoptimierer muss alles optimiert werden, auch der Büro-Snack. Dabei helfen nicht nur zahlreiche Firmenobst-Lieferanten in Deutschland, sondern mittlerweile auch vier Start-ups, die gesunde Snackboxen und -automaten verkaufen. Mit Dingen wie Chia-Samen-Riegeln, schokolierten Goji-Beeren, Wirsing-Chips oder getrockneten Rindfleischstreifen. All das soll uns genauso glücklich und dazu noch gesünder und leistungsfähiger machen.

Weil all das aber auch viel teurer ist als Schokoriegel und Chips, fragt man sich: Sind die gesunden Snacks wirklich so viel gesünder? Oder in erster Linie ein gutes Geschäft? Und, viel entscheidender: Können auch getrocknete Rindfleischstreifen so gute Freunde sein?

Der Verkauf von Chia-Samen hat sich in einem Jahr fast verdoppelt

Natürlich sollen Mars und Kitkat nicht verharmlost werden: Mehr als die Hälfte der Deutschen ist zu dick, fast ein Viertel sogar adipös, also fettleibig. Und natürlich sind sehr zucker- und fetthaltige Lebensmittel wie Chips, Kekse und Schokolade Teil dieses Problems - auch wenn es keinen empirischen Zusammenhang gibt zwischen Büro-Snacken und Übergewicht.

Gerade im Büro aber, so argumentieren die Befürworter der Obstkörbe, ist man den Süßigkeiten besonders ausgeliefert. Weil es oft nichts anderes gibt. In Snackautomaten finden sich schließlich keine Selleriestangen to go, und der Mensch isst nun mal das, was da ist. In Produkten ausgedrückt, heißt das: Männer Bifi oder Mars, Frauen Kitkat oder Gummibärchen. (Und Schotten frittierte Marsriegel, das ist eine schottische Spezialität.)

Philipp Festge, 35, ist einer von denen, die uns zu gesunden Büro-Snackern machen wollen. "Wir wollen den Menschen die Möglichkeit geben, sich auch da gesund zu ernähren, wo es schwierig ist." Vor sieben Jahren gründete er mit seinem Bruder das Start-up "BiteBox" - es verkauft Snackboxen mit "Office Survival Food": Nüsse, getrocknetes Obst, Honigwaffeln oder Kaffeebohnen mit Schokolade. "80 Prozent gesund und 20 Prozent Schlemmen", sagt Festge. Das Geschäftsmodell des Wiener Start-ups "Treats" ist so ähnlich: Das Unternehmen stellt gesunde "Snack-Points" in Unternehmen auf. Weil sie einen niedrigen glykämischen Index haben, sollen diese Snacks länger satt und weniger Heißhunger machen.

Wie viel sie verdienen, sagen die Start-ups (noch) nicht, es gibt auch keine Umsatzzahlen für gesunde Snacks. Aber es gibt Zahlen für Superfood: Mit Chia-Samen zum Beispiel verdiente der Lebensmitteleinzelhandel 2016 mehr als 23 Millionen Euro, fast doppelt so viel wie im Vorjahr; auch Obst gehört laut dem Marktforschungsinstitut Nielsen mittlerweile zu den beliebtesten Snacks. Das Geschäft mit der Gesundheit und dem guten Gewissen läuft also bestens. Aber machen uns Superfood-Snacks auch gesünder?

Zwischenmahlzeiten machen fett!

Michael Kastner sagt: Nein. Der 71-Jährige ist Arbeitspsychologe und Arzt, 30 Jahre lang hat er für gesünderes Essen in Unternehmen gekämpft, vielleicht formuliert er deswegen so radikal: Zwischenmahlzeiten machen fett! Kekse sind die Pest! Wenn schon ein Snack, dann Obst oder Gemüse! Gegen die Lust auf Süßes: Bitterstoffe. "Friss die Hälfte und beweg dich doppelt so viel", sagt Kastner, und: "Es steigert die Leistungsfähigkeit, wenn man sich generell richtig ernährt." Aber die Ernährung sei dabei nur ein Faktor von vielen - neben der Gefühlslage der Mitarbeiter etwa.

Lebensmittel als Wunderwaffe? Auch Christoph Klotter, Ernährungswissenschaftler der Hochschule Fulda, hat da seine Zweifel. Pause machen, essen gehen und dann nichts mehr essen, empfiehlt er. "Das einsame Essen macht auch psychisch nicht satt." Das sei nur in einem sozialen Gefüge möglich, also mit anderen. Davon abgesehen vergisst man auch schnell, wie viele Gummibärchen man vor dem Rechner schon gesnackt hat. Dieses Problem gilt übrigens für alle Lebensbereiche: Der Mensch snackt generell so viel wie noch nie. Zeit für feste Mahlzeiten nehmen sich viele nur noch am Wochenende, unter der Woche wird schnell etwas zum Mitnehmen gekauft und dann unterwegs oder am Arbeitsplatz gegessen.

Und dann liegt da ein Snickers

Einen positiven Effekt haben die gesunden Snacks und Obstkörbe im Büro aber natürlich schon, sagt Klotter. "Es führt dazu, dass ich als Mitarbeiter bewusster auf das achte, was ich konsumiere, also stärker für mich sorge." Außerdem verbesserten die Unternehmen ihr Image - mit einem Obstkorb oder einem Superfood-Automaten signalisieren sie: "Wir kümmern uns um euch." Für die Firmen lohnt sich das auch finanziell: Pro Arbeitnehmer können jährlich bis zu 500 Euro für Firmenobst von der Steuer abgesetzt werden.

Aber was ist mit denen, die die klassischen, ungesunden Snackboxen verkaufen? Jetzt, wo alle gesund leben wollen?

Dafür, dass seine Snacks bald aussterben sollen, ist Werner Meissner ziemlich gut gelaunt. Der 61-Jährige leitet seit 1998 die Firma "Snack-Bär". Er beliefert 6000 Firmen mit Boxen voll mit Snickers, Twix, Bifi, Chips oder Balisto. Wer sich etwas nimmt, wirft Geld in die Kiste. "Klar, merken wir, dass der Anspruch der Kunden sich verändert hat. Sie wollen öfter etwas Gesundes und deswegen tun wir auch Nüsse, getrocknete Früchte oder Müsliriegel in die Kiste. Aber raten Sie mal, was dann nicht gegessen wird." Es sei ja so, sagt Meissner: "Morgens essen Sie Joghurt mit frischen Früchten, mittags einen Salat mit Putenbruststreifen und abends Hüttenkäse mit Avocado. Und dann liegt nachmittags ein Snickers vor Ihnen. Das tut dann richtig gut!"

Was einem klar sein muss: Für die Kalorien eines Snickers kann man auch zwei Kilo Wirsing-Chips snacken.

Es gibt aber auch Menschen, die der Meinung sind, dass gerade die "bösen" Snacks sie leistungsfähiger machen. Holger Vogelsang beispielsweise, der mit seiner Firma "SBS Vogelsang" der zweite große Anbieter klassischer Snackboxen in Deutschland ist, verkauft seit einigen Jahren immer mehr Schokolade, vor allem Bio- und Fairtrade-Produkte. Warum? Er vermutet, weil in jüngerer Zeit öfter berichtet wurde, dass Schokolade schlau machen könnte.

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