Gentechnik:Embryonen sollen der Forschung dienen

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Bei der künstlichen Befruchtung enstehen meist mehr Embryos als benötigt - diese wollen Wissenschaftler nun für die Grundlagenforschung nutzen.

(Foto: imago/Science Photo Library)
  • Wissenschaftliche Experten sprechen sich dafür aus, Grundlagenforschung an menschlichen Embryonen zu gestatten.
  • Die Forscher wollen dazu überzählige Embryonen nutzen, die bei der künstlichen Befruchtung entstehen. Bislang ist das in Deutschland verboten.
  • Von den Experimenten erhoffen sich Mediziner, eines Tages genetische Erkrankungen heilen zu können.

Von Kathrin Zinkant

In einem zehn Seiten umfassenden Diskussionspapier spricht sich ein Expertenteam der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina dafür aus, Experimente an überzähligen menschlichen Embryonen auch in Deutschland zu gestatten. Zugleich plädieren die Akademie-Mitglieder dafür, das deutsche Embryonenschutzgesetz entsprechend zu ändern. Dieses verbietet derzeit jede Verwendung eines frühen menschlichen Lebens zu Forschungszwecken. Um diesen Schritt auch öffentlich zu vermitteln, sei eine neue, differenzierte Debatte um den Embryonenschutz notwendig.

Die Forscher rühren mit ihrem Papier an einem heiklen Thema, denn in Deutschland genießen selbst wenige Tage alte Embryonen umfassenden Schutz. Zahlreiche heftige Forschungsdebatten, etwa jene um die Gewinnung von Stammzellen aus Embryonen, hatten zu Verboten und Verwerfungen geführt. Warum also erneut Öl ins Feuer gießen? Als Anlass für ihren Vorstoß nennen die Experten das sogenannte Genome Editing - eine moderne Gentechnik, die punktgenaue Korrekturen im Erbgut ermöglicht. Das jüngste Werkzeug dieser Technologie, die Genschere Crispr-Cas, hat tatsächlich schon eine Revolution in den Lebenswissenschaften ausgelöst. Pflanzen, Bakterien, Tiere werden mit der Methode, auch gene editing genannt, verändert. Seit dem vergangenem Jahr laufen auch die ersten Studien an Menschen, in denen die Technik Blutzellen von Krebs oder anderen Leiden heilen soll.

"Völlig neue Behandlungsmöglichkeiten"

Diese Möglichkeiten gentechnischer Eingriffe finden im Papier zwar Erwähnung. Doch im Kern fokussieren die Autoren auf den Einsatz der neuen Technologie an menschlichen Keimzellen und Embryonen. Dieser sei ethisch nicht grundsätzlich abzulehnen. Eine genetische Verbesserung des Menschen schließt das Autorenteam zwar genauso von der Forderung aus, wie eine übereilte Anwendung des gene editing in der klinischen Praxis. Die Risiken seien zu groß. Trotzdem plädieren die Forscher dafür, die früheste menschliche Entwicklung und andere Aspekte des werdenden Lebens an humanen Embryonen zu erforschen - auch in Deutschland.

Um dies zu ermöglichen, bedarf es einer Gesetzesänderung, denn der Embryonenschutz in Deutschland ist mit Bezug auf die Wissenschaft fest im gleichnamigen Strafgesetz von 1990 verankert. "Menschliche Embryonen müssen selbstverständlich vor willkürlicher Verwendung geschützt werden", schreiben die Wissenschaftler dazu. Das Embryonenschutzgesetz in seiner jetzigen Form behindert nach Auffassung der Autoren jedoch jeden weiteren Erkenntnisgewinn. "Eine eng begrenzte Weiterentwicklung des geltenden Rechts, wie sie hier befürwortet wird, würde es ermöglichen, dass Deutschland sich. . . an völlig neuen Behandlungsmöglichkeiten genetischer Erkrankungen beteiligen kann."

Eine solche Novelle soll nach Ansicht der Experten zumindest die Kooperation mit ausländischen Forschergruppen ermöglichen, die mit menschlichen Embryonen arbeiten. "Derzeit macht sich jeder Wissenschaftler in Deutschland strafbar, der mit Forschern zusammenarbeitet, die menschliche Embryonen verbrauchen", erklärt Jochen Taupitz von der Universität in Mannheim, der als Rechtsexperte am Papier mitgearbeitet hat. "Das gilt selbst dann, wenn die Forschung im entsprechenden Land völlig legal ist." Eine entsprechende Änderung des geltenden Rechts sei allerdings die "Minimallösung", wie Taupitz erklärt. Gewünscht sei, wissenschaftliche Freiräume zu schaffen, die in anderen Ländern wie Großbritannien bereits bestünden. Tatsächlich ist die verbrauchende Forschung an bis zu 14 Tage alten, überzähligen Embryonen mittlerweile nicht nur im Vereinigten Königreich, sondern auch in Schweden und Frankreich erlaubt.

Kritik von Ethikern

Überzählige Embryonen aus künstlichen Befruchtungen gibt es auch in Deutschland. Nach Vorstellung der Wissenschaftler könnten sie mit dem Einverständnis der Eltern der Wissenschaft zur Verfügung gestellt werden. Dazu zählten auch Embryonen mit ungünstigen Erbgutveränderungen oder Defekten. "Nehmen Sie die Präimplantationsdiagnostik, die es erlaubt, genetisch belastete Embryonen nach der künstlichen Befruchtung auszusortieren", sagt Taupitz. Diese Embryonen hätten aufgrund ihres Defektes keine Chance, jemals in eine Frau übertragen und geboren zu werden. "Es gibt keinen vernünftigen Grund, sie nicht für den Erkenntnisgewinn zu nutzen".

Ethiker reagierten auf den Vorstoß am Mittwoch mit deutlicher Kritik. Steffen Augsberg, der an der Universität Gießen Öffentliches Recht lehrt und Mitglied im Deutschen Ethikrat ist, hält das Papier der Leopoldina für ärgerlich. "Hier wird mit Blick auf ein ungemein praxisrelevantes, rechtlich und ethisch hochkomplexes Thema eine Eindeutigkeit suggeriert, die es nicht gibt", sagt der Jurist. Augsberg zufolge mögen zwar gute fachliche Gründe dafür existieren, die Möglichkeiten für die Wissenschaft auszuweiten. "Verfassungsrechtlich betrachtet ist das aber überaus problematisch, und aus politischer Perspektive ist die Forschung an überzähligen Embryonen keinesfalls alternativlos".

Wollen die Wissenschaftler ein ganz neues Gesetz?

Der Moraltheologe Franz-Josef Bormann von der Universität in Tübingen bescheinigte dem Diskussionspapier "hemmungslose Einseitigkeit". Die Öffentlichkeit würde mit der Feststellung in die Irre geführt, dass es ohnehin überzählige Embryonen aus künstlichen Befruchtungen gebe, die keiner mehr brauche und die daher ohne weiteres für fremdnützige Forschungsvorhaben verzweckt werden könnten. "Die Situation dieser Embryonen ist bereits prekär", sagt Bormann, der ebenfalls Mitglied im Deutschen Ethikrat ist. Das Gremium hatte sich zuletzt mit der Frage befasst, ob überzählige Embryonen adoptiert werden können. "Eine Verwendung für die Forschung konterkariert diese Diskussion um die Embryonenspende". Bormann vermutet, dass die Wissenschaftler den deutschen Embryonenschutz zu Fall bringen und ein neues Fortpflanzungsmedizingesetz implementieren wollen.

Über ein solches Gesetz wird seit Jahren diskutiert. Taupitz, der ein neues Fortpflanzungsmedizingesetz schon lange befürwortet, betonte jedoch am Mittwoch, dass es in dem aktuellen Papier lediglich um eine Teil-Änderung des bestehenden Gesetzes geht.

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