Nordrhein-Westfalen:NRW-Innenminister in der Defensive

Landtag Düsseldorf

Rasch lernen, rasch reden, rasch reagieren - doch manchmal allzu rasch: Ralf Jäger.

(Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)
  • Ralf Jäger, Innenminister von NRW, steht immer wieder in der Kritik. Kurz vor der Wahl ist das auch ein Problem für die SPD.
  • Zwar hat ihn jetzt der Untersuchungsausschuss zu den Übergriffen an Silvester in Köln in seinem Abschlussbericht geschont. In einem Sondervotum kritisieren ihn CDU und FDP jedoch für Organisationsfehler.
  • Auch im Fall des Attentäters vom Berliner Breitscheidplatz , Anis Amri, wirft ihm die Opposition schweres Versagen vor.

Von Jan Bielicki, Düsseldorf

Der Minister hat ein Rollköfferchen dabei, darin einen dicken Aktenordner, eine Handakte und eine Banane. Die Banane wird Ralf Jäger während der fast fünf Stunden noch brauchen können, in denen ihn die Abgeordneten des Untersuchungsausschusses in Nordrhein-Westfalens Landtag am Mittwochabend zum Fall Anis Amri befragen.

In seiner Akte blättert er nur einmal. Über den Lkw-Attentäter kennt der NRW-Innenminister längst alle Einzelheiten, auch ohne nachschauen zu müssen. Zwar liest er seine Eingangsworte ab, das ist bei Jäger immer ein Zeichen dafür, dass es ernst wird. Doch auch als er seinen Sprechzettel beiseite legt, redet er druckreif, präzise, gut vorbereitet. Sollte er nervös sein, zeigt er es nicht.

Die CDU erklärt Jäger zum "Sicherheitsrisiko", FDP und Piraten fordern seinen Rücktritt

Natürlich geht es im Ausschuss darum, warum "zwölf unschuldige Menschen ums Leben" kamen, woran Jäger gleich in seinen ersten Sätzen erinnert. Aber es geht auch um ihn, wieder einmal. Das war ihm wohl schon klar, als er zum ersten Mal bewusst den Namen Anis Amri wahrnahm.

Auf der Rückfahrt von einem Kurzurlaub in Österreich, den er wegen des Berliner Attentats sofort abgebrochen hatte, erfuhr er am Telefon, dass im zur Tatwaffe gewordenen Lastwagen ein Ausweispapier auf den Namen des Attentäters gefunden wurde. Und der war den NRW-Sicherheitsbehörden schon lange bekannt.

Das Urteil der Opposition jedenfalls steht fest: CDU-Landeschef Armin Laschet erklärte den sozialdemokratischen Innenminister zum "Sicherheitsrisiko", auch die beiden anderen Oppositionsparteien FDP und Piraten fordern seine Entlassung. Auch nach den Maßstäben des früheren Oppositionspolitikers Jäger, wegen seiner Angriffslust spöttisch einst nach dem Kampfflugzeug "Jäger 90" benannt, wäre wohl ein Rücktritt fällig. Aber die Maßstäbe des Regierungspolitikers Jäger sind längst andere geworden.

Auch im Ausschuss beharrt er darauf: Ja, er bedaure es "zutiefst, dass es nicht gelungen ist, Anis Amri aus dem Verkehr zu ziehen". Und nein, es sei eben nicht möglich gewesen, den Anschlag vorherzusehen, gar zu verhindern: "Sicherheitsbehörden haben keine Glaskugel." Den Mann in U-Haft stecken? Dazu reichten die Verdachtsmomente nicht. Den Tunesier abschieben? Tunis verzögerte das Verfahren. Ihn wenigstens in Abschiebehaft nehmen, wie es Bundesinnenminister Thomas de Maizière - mit Fragezeichen - für möglich hält? Für Jäger pure Rechtstheorie, die Praxis der Rechtsprechung sehe anders aus, da hätten der Kollege vom Bund und er "unterschiedliche Rechtsauffassungen".

Klare Ansprache, klare Kante

Jäger selbst ist, anders als viele seiner Innenministerkollegen, kein Jurist. Er hat nach dem Abitur Groß- und Außenhandelskaufmann gelernt, dann als Referent im Gesundheitswesen gearbeitet, ein Pädagogikstudium wegen der Belastung durch Job und politischem Engagement abgebrochen. Viel mitbekommen hat er in der Eckkneipe seiner Mutter im damals von der Stahlkrise gebeutelten Duisburger Arbeiterviertel Meiderich, wo er nach dem frühen Tod seines Vaters aushelfen musste.

Der 56-Jährige kann mit Menschen, auf eine auffällig direkte Art. Klare Ansprache, klare Kante - Jäger ist nie einer gewesen, der sich vor Problemen wegduckt oder Auseinandersetzungen scheut. Er stellt sich, auch und gerade wenn er sich oder sein Haus verteidigen muss.

Das freilich geschieht derzeit öfter, als ihm lieb sein kann. Er hat ja nicht nur im Fall Amri zu kämpfen, am Freitag hat auch der Untersuchungsausschuss, der die Übergriffe der Kölner Silvesternacht beleuchtete, seinen Schlussbericht vorgelegt.

Zwar hat die rot-grüne Mehrheit alle Schuldzuweisungen in Richtung des Ministers getilgt, die CDU und FDP gerne darin untergebracht hätten. Nun heißt es dort, Fehler bei der Führung, Kooperation und Kommunikation bei Polizei und Behörden hätten die Übergriffe begünstigt. Die beiden Oppositionsfraktionen bemängeln in einem Sondervotum aber, Fehler der obersten Verantwortlichen - gemeint ist vor allem: Jäger - seien von Rot-Grün einfach ausgeblendet worden. Doch schon die Erinnerung an das auch von Jäger selbst nie bestrittene Versagen der Kölner Polizei verdichtet den Eindruck eines Ministers in der Defensive.

Die Toten beim Love-Parade-Unglück begleiten ihn noch heute

Andererseits: Krise - das kann er eben auch, das hat er ganz am Anfang seiner Amtszeit ganz schnell, auf sehr brutale Weise lernen müssen. An Tag zehn besuchte er die Polizei in seiner Heimatstadt Duisburg - ohne zu ahnen, welche Katastrophe sich dort gerade anbahnte.

Die 21 Toten beim Love-Parade-Unglück begleiten ihn noch heute, obwohl da kein Fehler war, wofür ein so frisch ins Amt gekommener Minister verantwortlich gewesen wäre. Jäger reagierte schnell, versprach Offenheit und Untersuchungen, griff den Veranstalter an und die Stadt. Die Polizei nahm er nahezu vorbehaltlos in Schutz. Es war ein Muster, das er später beibehielt: rasch reden, rasch lernen, rasch handeln.

Nur ist er bisweilen allzu rasch - was ihn schon öfter in Schwierigkeiten gebracht hat. Das Konzept der Polizei "hat funktioniert", behauptete er, nachdem rechtsextreme Hooligans in Kölns Innenstadt randaliert hatten - angesichts Dutzender von der Übermacht der Schläger verprügelter Polizisten kaum nachvollziehbar.

Am Kölner Polizeipräsidenten, den er selbst installiert hatte und der auch sonst seine Truppe nicht im Griff hatte, hielt Jäger fest. Erst nach der für viele Frauen so traumatischen Silvesternacht feuerte der Minister den Parteifreund innerhalb von acht Tagen.

Jäger kann in seiner Offenheit schroff sein. So hat er sich, auch unnötig, Gegner gemacht. Kaum war etwa Frank-Jürgen Weise an die Spitze des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge gekommen, putzte ihn Jäger bei einer Innenministerkonferenz herunter. Der ebenso machtbewusste Weise nahm das übel. Zu einem persönlichen Kontakt zwischen dem für die Flüchtlingspolitik so wichtigen Behördenleiter und dem für Flüchtlinge zuständigen Minister kam es danach nicht mehr.

"Wir müssen eine freie, offene Gesellschaft bleiben"

Die Katastrophen und Kalamitäten verdecken Erfolge, die Jäger zum nach wie vor wichtigsten Mann im Kabinett von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft machen. Unter der Ägide des auch für Kommunales zuständigen Ex-Stadtrats hat das Land die Haushalte der vielfach völlig überschuldeten Städte wieder ins Lot gebracht.

Die Polizei, unter der Vorgängerregierung arg heruntergespart, bekommt neue Stellen und Ausstattung. Jäger ließ Verstärkung in Problemstadtteile wie Duisburg-Marxloh schicken und Präventionsprogramme entwickeln, die unter Jäger-typisch schmissigen Titeln wie "Wegweiser" oder "Kurve kriegen" verhindern sollen, dass junge Salafisten oder Intensivtäter weiter abdriften.

Recht und Ordnung, da gibt sich der Sozialdemokrat der markigen Worte auch überzeugt, lassen sich von Polizei, Verfassungsschutz und Gesetzen allein nicht schützen: "Wir müssen eine freie, offene Gesellschaft bleiben." Das liest er ab.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: