Sozialreferat:Ein Hilfsangebot, das Senioren hilflos macht

  • Sozialwohnungen in München werden nur noch über das Online-Portal Sowon vergeben - alle Bedürftigen haben Nutzernamen und Kennwort bekommen.
  • Doch viele Senioren können damit nichts anfangen, denn sie haben keinen Computer und kennen sich im Internet nicht aus.
  • Nun sollen sich die "Alten- und Servicezentren" der Awo darum kümmern, dass die Wohnungssuchenden über die Plattform an Angebote kommen.

Von Matthias Bolsinger, Erik Häußler, Sarah Pache und Fabian Swidrak

Will Hedwig Fink ihre Wohnung durchqueren, braucht sie dafür nicht mehr als fünf Schritte. Duschen kann die 71-Jährige nur, wenn sie vorher die Putzmittel aus der Nasszelle räumt. Die Küche: ein Regal, zwei Camping-Kochplatten. Farbe bröckelt von der Wand, die Lampen funktionieren nur manchmal. Fink lebt auf 13 Quadratmetern. Und auf 13 Quadratmetern will sie nicht für immer bleiben. Fink will raus hier.

In München eine neue Wohnung zu finden und bezahlen zu können, ist nicht einfach. Mit 817 Euro Witwenrente im Monat schon gleich gar nicht. Fink hat sich vor einem Jahr bei der Stadt um eine Sozialwohnung beworben, bei ihr gilt die höchste Dringlichkeitsstufe. Doch seit einem halben Jahr hat Fink ein Problem: Es heißt Sowon. Das ist ein Internetportal der Stadt, nur noch über dieses werden seit Oktober Münchens Sozialwohnungen vergeben. Sowon, kurz für "Soziales Wohnen online", hat die Suche nach einer freien Wohnung für viele erleichtert. Nicht aber für ältere Menschen wie Hedwig Fink.

Zum Start von Sowon erhielt Fink ein Schreiben vom Wohnungsamt, darin Benutzername und Passwort für ihren Online-Zugang. Alles sollte einfacher werden, unbürokratischer, schneller. Keine Wartezeiten mehr auf dem Amt. Wohnungssuche, bequem von zu Hause aus im Internet. Sowon ist eine Art Immobilienscout für Bedürftige. Sie können sehen, welche Wohnungen frei sind, sortiert auch nach Stadtteil, Etage oder Anzahl der Zimmer, und sich bewerben. Das Wohnungsamt wählt die fünf Bewerber aus, die eine Wohnung am dringendsten benötigen. Die endgültige Entscheidung trifft der Vermieter, meist sind das die städtischen Wohnungsbaugesellschaften GWG und Gewofag.

Das Sozialreferat lässt wissen, man habe bei der Konzeption von Sowon großen Wert auf eine einfache Bedienung gelegt. "Wer hat in meinem Alter schon Internet?", fragt dagegen Hedwig Fink. "Und wer versteht das?" Einen Computer hat sie nicht. Aber selbst wenn sie sich einen leisten könnte, würde die Online-Bewerbung sie überfordern. Sozialverbände bestätigen: So geht es vielen Älteren, die ohne PC und Internet leben.

Von den über 60-jährigen Münchnern mit Anspruch auf eine Sozialwohnung haben sich laut Sozialreferat 40 Prozent noch nicht bei Sowon angemeldet. Bei Problemen mit der Online-Plattform sollen stadtweit 60 sogenannte Service-Terminals in Behörden und Bürgerbüros helfen. Doch auch dort findet man in der Regel keine professionelle Hilfe, sondern nur Computer. Lediglich im Wohnungsamt verspricht die Stadt persönliche Unterstützung für die Nutzung von Sowon.

Von einer "Hürde für alte und bedürftige Menschen", spricht Margarete Lohbihler-Bender, Referentin für die offene Seniorenbetreuung bei der Arbeiterwohlfahrt (Awo), "weil sie häufig kaum Angehörige und keinen Zugang zu einem Computer haben und sich aufgrund ihrer Gebrechen auch sonst schwer Hilfe organisieren können". Die Awo betreibt das für Fink zuständige Alten- und Servicezentrum (ASZ) in Milbertshofen. Es gibt 32 solche Einrichtungen in München, sie sollen Senioren bei alltäglichen Schwierigkeiten helfen. Finanziert werden sie durch die Stadt.

Senioren haben es schwer auf dem Mietmarkt

Dem Sozialreferat sind die Probleme mit Sowon bekannt, lösen aber sollen sie die ASZ. Mit ihnen strebe man eine "enge Kooperation" an, teilt eine Referatssprecherin mit. Doch die Zentren befürchten, mit den Sowon-Problemen der Senioren überfordert zu werden. "Mit dem Verweis an die ASZ macht es sich das Amt für Wohnen und Migration zu leicht", sagt Lohbihler-Bender. "Dieser Vorstoß war keine kooperative Absprache mit uns, sondern vielmehr Wunsch der Behörde."

Senioren haben es ohnehin schwer auf dem Mietmarkt. Kein Vermieter reiße sich um sie, sagt Tina Angerer vom Mieterverein. Laut Mietspiegel sind die Mieten in der Stadt seit 2013 um 10,9 Prozent gestiegen - das trifft die Älteren besonders hart, ihre Renten steigen nicht so wie die Einkommen mancher Arbeitnehmer. "Senioren gehören zur gefährdetsten Gruppe auf dem Münchner Mietmarkt", sagt Angerer.

Hedwig Fink bezahlt im Moment etwa 450 Euro für Miete und Nebenkosten ihrer Wohnung in der Nähe des Nordfriedhofs. Sie braucht ein MVV-Ticket und Medikamente gegen Diabetes. 200 Euro bleiben ihr nach Abzug aller Fixkosten monatlich zum Leben. Die staatliche Grundsicherung will sie nicht. "Es ist mir unangenehm, Hilfe anzunehmen", sagt die 71-Jährige. Zugleich schämt sie sich für ihre Armut. Ihren richtigen Namen will sie deshalb nicht in der Zeitung lesen.

450 Euro im Monat, dafür könnte Fink sich eine dreimal so große Sozialwohnung leisten. Aber auf der Warteliste stehen derzeit 11 500 Münchner Haushalte, fast jeder zehnte Betroffene ist älter als 65. Tausende Wohnungen bieten GWG und Gewofag an, doch die Nachfrage ist weit höher. Voriges Jahr kamen in München auf 3200 freie Sozialwohnungen 24 000 Anträge. Oft bewerben sich neben Fink mehr als 100 Interessenten auf eine Wohnung.

Bislang hatte Fink kein Glück, die Zusagen bekamen stets andere. Alle zwei bis drei Wochen kommt sie in das ASZ. Dort muss sich eine Mitarbeiterin für Fink bei Sowon anmelden, um mit ihr neue Wohnungsangebote anzusehen und Bewerbungen zu verschicken. Fink schaut, die Mitarbeiterin klickt. Auch sie will nicht beim Namen genannt werden, sagt aber: Ein Viertel ihrer Arbeitszeit nehme inzwischen allein diese Betreuung von Senioren ein.

Das Sozialreferat hat nun angekündigt, einen mobilen Dienst einzurichten, der Senioren bei Bedarf zu Hause hilft. Die Behörde will in den kommenden Wochen ältere Menschen fragen, warum sie sich noch nicht bei Sowon angemeldet haben. Bis es den mobilen Dienst gibt, muss Fink weiterhin ins ASZ kommen, um sich unterstützen zu lassen. Auf der Online-Plattform, die sie nicht versteht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: