Kleine Parteien:Dasselbe in Grün

FDP-PLAKATAKTION MIT WESTERWELLE

Provokation: Der damalige FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle klebte 2001 über das Grünen-Plakat "grün & gut" den Spruch "gelb & besser".

(Foto: dpa)

Lange waren sie regelrecht verfeindet, die Grünen und die FDP. Nun zeigt ein Blick in die Wahlprogramme überraschende Übereinstimmungen. Die Frage ist, ob dies für ein Bündnis genügt.

Von Stefan Braun, Berlin

Gefühlt trennen FDP und Grüne Welten. Trotzdem könnten die beiden Parteien 2017 über Deutschlands künftigen Kanzler entscheiden. Anders als SPD und CDU es glauben machen wollen, geht es nicht nur um die Frage, ob nun Martin Schulz oder Angela Merkel besser mit beiden zurechtkommt. Entscheidend ist, ob Grüne und Liberale ihre jahrzehntealte Feindschaft überwinden könnten. Ein Blick auf die Wahlprogramme zeigt Überraschendes: Es gibt viele Themen, mit denen sie eine Regierung gemeinsam prägen könnten.

Bildung und Digitalisierung

Diese Themen wollen beide Parteien ins Zentrum ihrer Kampagnen stellen. Beide wollen in Schulen und Hochschulen investieren und damit Chancengerechtigkeit und den Standort Deutschland stärken. FDP wie Grüne betonen, dass sie Milliarden investieren möchten. Die FDP spricht vom "Mondfahrtprojekt weltbeste Bildung"; die Grünen wollen "Talent und Fleiß" eine Chance geben, weil in jedem Kind "ein Entdecker oder eine Astronautin" stecke. Zu diesem Zweck wollen beide auch das sogenannte Kooperationsverbot aufheben. Bund, Länder und Gemeinden solle diese Anstrengung gemeinsam unternehmen können. Ganz ähnlich bei der Digitalisierung. FDP wie Grüne wollen den Prozess in Verwaltung, Gesellschaft, Wirtschaft massiv beschleunigen, empfehlen eine Bildungsoffensive für alle und fordern ein Digital-Ministerium. Auffallend ist zudem: Beide Parteien empfehlen den Verkauf von Telekom-Anteilen, um den Breitband-Ausbau zu finanzieren.

Freiheit und Selbstbestimmung

Nicht erst seit diese Themen durch Trump und Putin, Erdoğan und Marine Le Pen wieder ins Zentrum politischer Debatten gerückt sind, klingt die Rhetorik bei Grünen und Liberalen sehr ähnlich. Die Grünen schreiben, was die FDP fast wortgleich ausdrückt: "Wir verteidigen unsere Demokratie und die offene Gesellschaft gegen ihre Feinde, ganz gleich aus welcher Ecke Hass und Homophobie, Sexismus, Rassismus und Antisemitismus kommen." Beide sprechen sich für die vollständige Gleichstellung homosexueller Paare aus; das ist für Grüne und FDP eine Gerechtigkeitsfrage.

Klima und E-Auto

Dieses Feld könnte konfliktreich werden. Aber gerade hier fallen Botschaften auf, die auch Brücken andeuten. So betont die FDP, dass die Energiewende "einen Neuanfang" brauche und der EU-Emissionshandel "gestärkt" werden müsse. In beiden Bereichen wollen die Liberalen Änderungen - aber sie akzeptieren zugleich, was sie vor wenigen Jahren noch bekämpften. Ähnlich lässt sich der Ruf der Grünen lesen, von 2030 an dürften nur noch E-Autos neu zugelassen werden. Das klingt nach harscher Reglementierung; doch selbst die Autobauer ahnen, dass der Umbau ihrer Branche viel schneller gehen könnte, als sie bisher dachten. Grünen-Chef Cem Özdemir sagt, wer künftig noch mit einem Auto in die Städte fahren wolle, müsse auf E-Autos setzen. Das hat mit Auto- oder Technikfeindlichkeit nicht mehr viel zu tun.

Steuerpolitik und Mindestlohn

Beides ist auf den ersten Blick hoch kontrovers, weil die FDP Steuersenkungen und die Grünen eine Vermögensteuer fordern. Aber es fällt auf, dass die FDP das nicht mehr in den Mittelpunkt stellt und außerdem betont, sie werde Senkungen von den Steuerüberschüssen der nächsten Jahre abhängig machen. Auch das Thema Vermögensteuer ist nicht so eindeutig, wie man vermuten könnte. Die FDP hat unter Helmut Kohl eine solche Steuer mitgetragen. Im Kampf gegen Großkonzerne zudem, die keine Steuern zahlen, schenken sich beide mindestens rhetorisch wenig. Zum harschen Konflikt dürfte selbst der Mindestlohn kaum mehr taugen. Lindner hat dazu erklärt, man müsse "viele Bretter vor dem Kopf haben, um diese Schlachten noch mal zu schlagen". Er fordert eine Lockerung der Berichtspflichten für Arbeitgeber.

Die Welt, Sicherheit, Entwicklungshilfe

Hier gibt es fast nichts, was die beiden gravierend voneinander trennen könnte. Beide sind für eine Stärkung der Nato, aber setzen im Kern vor allem auf die Vereinten Nationen; beide lehnen Rüstungsexporte in Krisengebiete ab und fordern in der Debatte um das Zwei-Prozent-Ziel, man müsse Sicherheit und Stabilität breiter denken und deshalb auch Diplomatie und Entwicklungshilfe miteinrechnen.

Europa und Griechenland

Hier gibt es viele Gemeinsamkeiten - und eine Bruchstelle. Beide wollen Europa stärken. Weitgehend konträre Auffassungen haben sie aber beim Thema Griechenland. Die Grünen treten für mehr Hilfe ein. Die FDP dagegen plädiert ziemlich unverblümt für Athens Euro-Austritt. Hilfen sollen ausschließlich über die EU fließen.

Ob FDP, ob Grüne - beide sprechen in ihren Programmen viel vom Mut für die Zukunft. Beide stehen 2017 vor der Frage, wie viel Mut sie auch selbst haben werden.

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