Reisebuch "Mittelmeer":Alles unsere Nachbarn

Wie soll ein Fotograf das Mittelmeer mit allen Facetten erfassen? Mathias Bothor porträtiert das Alltagsleben der Menschen, die dort leben. Pittoresk ist das nicht, aber ehrlich.

Rezension von Stefan Fischer

Von was ist das Mittelmeer die Mitte? Gibt es heutzutage etwas, das von dieser riesigen Wasserfläche zusammengehalten wird? Das Römische Reich hat dieses Meer einst für rund 300 Jahre komplett umschlossen, von der Zeit des Kaisers Trajan zu Beginn des 2. Jahrhunderts bis zur Reichsteilung 395 nach Christus. Dementsprechend beherrschten die Römer nicht nur die Küsten, sondern auch dieses Meer selbst zu weiten Teilen.

Sie nannten es Mare Nostrum, unser Meer. Heutzutage wird dieses Meer eher überflogen als auf einem Schiff überquert, sieht man ab vom Kreuzfahrt-Tourismus. Vielleicht trägt auch das bei zur Entfremdung und Parzellierung; dazu, das Mittelmeer und die angrenzenden Länder eher nicht als eine Einheit zu begreifen.

Gegenwärtig hat das Mittelmeer zwei Dutzend Anrainerstaaten. Die überdies eher auseinanderstreben als zusammenfinden. So nimmt es jedenfalls der Jurist, Diplomat und Lyriker Joachim Sartorius wahr. Er ist in Tunis zur Schule gegangen und hat immer wieder an den Küsten des Mittelmeeres gelebt, etwa in Syrakus auf Sizilien; er ist seit Jahrzehnten vertraut mit den Küsten und ihren Bewohnern, mit den politischen und kulturellen Strömungen der vergangenen sechs Dekaden. In einem Aufsatz für den Fotoband "Mittelmeer" schildert er, wie multikulturelle Milieus in vielen Hafenstädten rund um das Mittelmeer untergegangen und von nationalistischen Strömungen überdeckt worden sind, nicht nur, aber vor allem im östlichen Teil.

Seine Liebe zum Mediterranen schwächt das allerdings nicht ab. Der Text ist nicht larmoyant - das hieße ja auch, die Vergangenheit zu verklären. Sartorius macht damit nur klar, welche Schwierigkeiten sich auch dem Fotografen Mathias Bothor für sein Bildband-Projekt "Mittelmeer" gestellt haben: Wie soll man dieses Meer bildlich erfassen, mit all seinen sozialen, kulturellen und klimatischen Unterschieden?

Vier Jahre lang haben ihn mehr als ein Dutzend Reisen um das Mittelmeer geführt, auf der Suche nach Gesichtern, in denen sich dieses Meer porträtiert. Die Flüchtlingsdramen, die sich auf dem Mittelmeer abspielen, sind bewusst nicht in den Fokus gerückt, Bothor blendet sie aber auch nicht aus. Auch sie sind keine Ausnahme, sondern traurige Alltagserscheinungen. Aber der Alltag ist weitaus vielschichtiger rund um das Mittelmeer. Und davon sollen die Porträts einen Eindruck vermitteln.

Das erste zeigt einen Jungen, der Tunesier wird wohl ein Fischer werden, wie seine Vorfahren es auch waren. Bothor dokumentiert eine Kontinuität, die trotz aller gesellschaftlicher und industrieller Umbrüche andauert. Die folgende Aufnahme zeigt einen Fischverkäufer in Ägypten, den Platz für seinen Stand hat ihm der Staat auf Lebenszeit garantiert. Als Anerkennung dafür, dass sein Vater sein Leben gelassen hat im Jom-Kippur-Krieg 1973. Es ist eben durchaus noch möglich, ein Auskommen zu haben durch kleingewerbliche Fischerei.

Bothors Mittelmeer ist ein anderes als das aus den Urlaubskatalogen oder auf den Fotografien der Touristen, die meist nach dem Pittoresken suchen. Seine Aufnahmen suchen nicht nach der Leichtigkeit, die den Bewohnern der Küsten immer nachgesagt wird, sondern nach der Ernsthaftigkeit, mit der die Menschen ihrer Arbeit nachgehen oder ihren Leidenschaften. Was die meisten der porträtierten Menschen verbindet, ist ihre Selbstgewissheit. Unterbrochen wird der Reigen immer wieder von Landschaftsaufnahmen, in der Regel aus einer erhöhten Perspektive. Auch das sind Motive nicht aus den Ferien, sondern dem Alltag. In seiner eindringlichen Vielfalt.

Nikolas Gelpke (Hrsg.): Mittelmeer. Fotografien von Mathias Bothor. Mit Texten von Joachim Sartorius. Mare Verlag, Hamburg 2016. 144 Seiten, 58 Euro.

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