Anschläge in Ägypten:Verjagen oder ermorden

Die Islamisten töten nicht nur die koptischen Christen - sie sind nur ihr erstes Ziel. Haben sie erst die christliche Kultur ausgelöscht, werden sie anschließend den Islam seiner Wurzeln berauben.

Von Matthias Drobinski

Wer bleibt, soll sterben. Das ist die Botschaft, die die islamistischen Mörder an die christlichen Kopten in Ägypten geschickt haben. Es ist eine Drohung, die über allen Christen des Nahen Ostens schwebt, erst recht im Irak und in Syrien. Es drohen die ältesten christlichen Kirchen zu sterben, die es hier schon lange gab, bevor der Islam entstand. Nun sind sie ausgezehrt durch Migration, Vertreibung, Terror, Krieg. Es droht das 1400 Jahre alte Miteinander der Kulturen unterzugehen. Es war nie ein Idyll und hat auch heute wenig mit den Maßstäben des interreligiösen Dialogs in Europa zu tun; doch es bedeutet: Man weiß vom Anderen und um sein Menschsein und rauft sich irgendwie zusammen. Die Islamisten wollen diesen Kulturverlust. Fehlt die christliche Kultur, lässt sich auch der Islam leichter der Wurzeln berauben, die er in der Region und in der Geschichte hat, auf dass er zur islamistischen Ideologie werde.

Die vom Terror getroffenen, bedrängten, verfolgten Christen des Nahen Ostens brauchen Europas Solidarität. Sie brauchen, natürlich, die Solidarität der Christen Europas, die ihre Glaubensgeschwister nicht vergessen dürfen, auch nicht um des lieben interreligiösen Friedens willen. Es müssen aber auch Europas Muslime an der Seite der verfolgten Christen stehen. Es ist schließlich ihre Religion, die da hergenommen wird, um Menschen im Namen Gottes umzubringen. Dagegen müssen sie sich wehren - und jene Fundamentalisten in den eigenen Reihen bekämpfen, die Christen abwerten und Ungläubige als Menschen zweiter Klasse ansehen.

Erst gehen die Islamisten gegen Christen vor, dann gegen Muslime

Das Schicksal der Christen im Nahen Osten sollte schließlich keinem gleichgültig sein, dem das Menschenrecht auf Religionsfreiheit am Herzen liegt: die Freiheit, einer Religion anzugehören oder nicht, öffentlich zu beten oder öffentlich dem Gebet Lebewohl zu sagen - ohne dafür benachteiligt, verfolgt, gar getötet zu werden. Dieses Menschenrecht ist zunehmend gefährdet. Es wird den Christen und den Atheisten in Pakistan oder Saudi-Arabien vorenthalten, aber auch den Muslimen in der Zentralafrikanischen Republik oder in China. Es gilt noch weniger für kleine, oft vergessene religiöse Gemeinschaften wie die Jesiden oder die Bahai, die, gemessen an ihrer Mitgliederzahl, die weltweit am stärksten verfolgte Religion ist; gemessen an der absoluten Zahl der Betroffenen sind es die Christen.

Auch daran erinnern die mörderischen Taten in Ägypten, die nun der IS für sich reklamiert - hier von einem "Bekenntnis" zu sprechen, wie das in Deutschland oft und ohne Nachdenken geschieht, ist eine zynische Irreführung. Und sie erinnern daran: Wer - zu Recht! - aufschreit, wenn in Ägypten und anderswo Christen verfolgt oder Opfer von Anschlägen werden, darf auch nicht schweigen, wenn in Deutschland die Islamfeindschaft wächst, wenn zunehmend die Religionsfreiheit als Christentumsfreiheit missverstanden wird. Wie jede Freiheit hat auch die Religionsfreiheit ihre Grenzen. Wie jede Freiheit ist aber auch die Religionsfreiheit unteilbar.

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