Robo-Advisor:1:0 für die Maschine

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Eine Besucherin der Royal Academy of Arts in London vor James Hugonin's "Binary Rhythm". Auch die Finanzbranche wird mit binären Codes kreativ.

(Foto: Luke MacGregor/Reuters)

Robo-Advisor könnten künftig die Finanzberatung stark verändern. Immer mehr Kunden vertrauen ihr Geld einer automatisierten Plattform an, da ein Bankberater sie oft einfach nur nervt.

Von Katharina Wetzel

Sie wollen sich nicht mit Börsenkursen beschäftigen. Von Anrufen ihres Bankberaters sind sie total genervt. Denn am liebsten erledigen sie alles online. So ließe sich grob die Zielgruppe der Robo-Advisor beschreiben. Diese automatisierten Plattformen im Netz versprechen, günstiger und besser zu sein als der klassische Finanzberater. Und immer mehr Anleger finden an so einer computergestützten Geldanlage, die weder von menschlicher Intuition noch von Emotionen abhängen soll, Gefallen.

Gründer Erik Podzuweit, 36, eng anliegender Strickpulli und Jeans, muss seinen Kunden nicht das Händchen halten, wenn die Märkte verrückt spielen und das Portfolio mal ins Minus rutscht. "Unsere Kunden wollen nicht den Blabla-Vertriebskontakt", sagt Podzuweit. Als das Brexit-Votum die Märkte schockiert hat, hat man bei Scalable Capital einfach eine E-Mail verschickt. Die meisten Kunden des Münchner Start-ups, das in der Prinzregentenstraße residiert, sind Banker und zwischen 30 und 40 Jahre alt. "Die haben keine Angst, dass ein Computer ihr Geld verwaltet." 5000 Kunden haben mittlerweile ihr Geld der jungen Firma anvertraut. Im Schnitt investiere jeder 40 000 Euro. "Zwischen sieben und zehn Millionen Euro kommen jede Woche hinzu."

"Der größte Wettbewerber ist das Nichtstun."

Und dafür tut der smarte und gewitzte Podzuweit, der früher bei Goldman Sachs und anschließend beim Onlinemöbelhändler Westwing gearbeitet hat, einiges. Ob auf der Anlegermesse Invest in Stuttgart, dem Bayerischen Finanzgipfel oder bei einem Kundenevent - der frühere Banker weiß, wie er mit ein paar Schaubildern das Konzept des Hauses einfach erklären kann, ohne zu langweilen. Und er ist sich auch nicht zu schade, für die Firma von Veranstaltung zu Veranstaltung zu ziehen, um neue Kontakte zu bekommen. "Der größte Wettbewerber ist das Nichtstun", sagt Podzuweit.

Laut Oliver Wyman wurden Ende 2015 weltweit 30 Milliarden Dollar durch Robo-Advisor verwaltet, was gemessen am gesamten Vermögen, das in börsengehandelten Fonds, Exchange Traded Funds (ETF), angelegt ist, noch gering ist. Im Februar lag laut Blackrock das gesamte verwaltete ETF-Volumen bei 3,78 Billionen Dollar. Doch das Wachstum der Robo-Advisor ist stark. Bis 2020 rechnen Experten mit einem global verwalteten Vermögen von 500 Milliarden Dollar. Die 100-Milliarden-Marke dürfte wohl schon dieses Jahr geknackt werden. In den USA, wo 2008 der erste Robo-Advisor namens Betterment auf den Markt kam, ist die Entwicklung voraus. Doch auch hierzulande gibt es immer mehr Anbieter, die etwa Easyfolio, Vaamo, Cashboard oder Scalable heißen. Jedoch nur vier Robo-Advisor haben derzeit wie Scalable eine Finanzportfolio-Verwaltungslizenz der Bankenaufsicht Bafin.

Podzuweits Firma, die er zusammen mit seinem früheren Goldman-Sachs-Kollegen Florian Prucker und seinem ehemaligen Statistikprofessor Stefan Mittnik im Dezember 2014 gegründet hat, ist nach eigener Aussage der größte Online-Vermögensverwalter in Deutschland. In München und London beschäftigt Scalable mehr als 50 Mitarbeiter. Podzuweits jüngster Coup ist eine Kooperation mit dem Siemens-Konzern, der seinen Mitarbeitern die Geldanlage über Scalable empfiehlt.

"Wir sind eine Art Treuhänder. Der Kunde gibt uns das Mandat, für ihn sein Vermögen in ETF anzulegen und zu verwalten", erklärt Podzuweit. Der gesamte "Concierge-Service" kostet 0,75 Prozent der Anlagesumme. Oben drauf kommt im Schnitt noch 0,25 Prozent für den ETF. Dafür bietet Scalable seinen Kunden ein aktives Risikomanagement an, das vereinfacht gesagt in Hochrisikophasen das Aktienengagement reduzieren soll und in Niedrigrisikophasen eine höhere Allokation anstrebt. "Wenn ein ETF überdurchschnittlichen Kursschwankungen ausgesetzt ist, wird sein Anteil im Portfolio reduziert", sagt Podzuweit und ergänzt: "Aktives Stock-Picking betreiben wir aber nicht, das ist Zeitverschwendung."

Experten begrüßen die computerbasierten Vermögensverwalter. Sie könnten sogar einige Probleme der Finanzberatung lösen, ist Marc Oliver Rieger, Professor von der Universität Trier, überzeugt, und meint: "Niemand möchte für die Finanzberatung Geld bezahlen." So böten Banken ihre Beratung zwar kostenlos an, oftmals würden aber nicht die besten Produkte empfohlen, sondern die provisionsträchtigsten. Robo-Advisor setzen hingegen auf sehr preiswerte, transparente ETF. "Die meisten brauchen keine allzu spezielle Finanzberatung. Die Standards kann ein Computer genauso gut", sagt Rieger.

Neukunden müssen dem Computer Fragen zur Risikoneigung, der Vermögenssituation und den Anlagewünschen beantworten. Dieser bietet dann dem Kunden mittels ETF eine weltweit breit gestreute Vermögensallokation, ohne dass der Kunde selbst davon viel Ahnung haben muss. "Für viele Kunden, die sich nicht mit Finanzen beschäftigen wollen, ist ein Robo-Advisor nützlich", sagt Rieger. Robo-Advisor können die Vermögensverwaltung durch den digitalen Vertrieb günstiger anbieten. In der Regel liegen die Gebühren laut DB Research unter einem Prozent. Doch der Markt ist stark in Bewegung.

"Es besteht die Gefahr, dass langfristig der gute Ansatz der Robo-Advisor verwässert wird", sagt Rieger. Denn langsam verlassen einige Robo-Advisor die Nische. "Wenn zusätzliche Dienstleistungen wie ein Risikomanagement versprochen wird, sollten Anleger vorsichtig sein", sagt Rieger. "Denn das kostet mehr und es ist nicht klar, warum das besser sein soll." Neben Vorteilen wie einer oft günstigen Kostenstruktur sieht die Bankenaufsicht Bafin auch mögliche Risiken. So könne der Robo-Advisor etwa nicht abschätzen, ob der Kunde alles verstanden und sich ausreichend Zeit für seine Entscheidung genommen habe. Kunden könnten ihre eigenen Kenntnisse überschätzen und ein für sie ungeeignetes Produkt erwerben. Wie bei jedem technischen System bestehe die Möglichkeit, dass Fehler oder Fehlanreize im System verankert seien. Darüber hinaus sollten Anleger beachten, dass sie persönliche Daten im Internet preisgeben.

Denn gerade die vermeintlich anonymen Robo-Advisor könnten künftig zu Datenkraken werden. Dies lockt auch etablierte Finanzinstitute an, sagt Alois Pirker, Forschungsdirektor bei der Analysegesellschaft Aite Group: "Die Start-ups treiben den Markt vor sich her. Alle Fondsfirmen lecken Blut momentan, da Robo-Advisor-Plattformen einen direkten Zugang zum Endkunden bieten." Immer mehr Finanzinstitute übernehmen Robo-Advisor oder machen sich daran, eigene Systeme zu bauen. Aufgrund ihrer Bekanntheit haben sie damit auch rasch Erfolg, sagt Pirker: "Die Robo-Advisor von Charles Schwab oder Vanguard erreichten schon beim Start zweistellige Milliardenbeträge." Dagegen haben die größten Start-ups in den USA wie Betterment oder Wealthfront nach mehr als fünf Jahren weniger als zehn Milliarden Euro vorzuweisen.

Ausgerechnet die Regulierung könnte den Start-ups aus der Nische helfen

Ein Fokus vieler Robo-Advisor liegt daher auf der Kundenakquise. "Robo-Advisor sind noch keine bekannten Marken. Zudem ist die Technologieaffinität in Deutschland nicht so groß wie in den USA", sagt Matthias Hübner, Partner bei Oliver Wyman. "Das sind aber keine Faktoren, die auf Dauer den Robo-Advisor aufhalten werden." Ausgerechnet die Regulierung könnte der Start-up-Bewegung aus der Nische helfen. "Gemäß einer neuen Zahlungsdienstrichtlinie der EU können Drittanbieter auf Wunsch des Kunden den kompletten Überblick in dessen Konto- und Depotverbindungen erhalten. Dies könnte der Branche noch weiteren Wachstumsschub ermöglichen", sagt Hübner.

Mit diesem gläsernen Blick könnten Robo-Advisor künftig nicht nur ETF verkaufen, sondern auch andere Produkte und Dienstleistungen dem Kunden passgenau anbieten und auch höhere Gebühren verlangen. Laut Hübner hätten diejenigen höhere Chancen, die auch Kooperationsmodelle oder Dienstleistungen für Banken anbieten. "Es auf eigene Faust am deutschen Markt zu versuchen, ist eine schwierige Übung." Auch Pirker meint: "Die Kreativität ist erst am Anfang."

Erik Podzuweit kann sich nicht vorstellen, dass Scalable auch mal ein Bankkonto anbieten wird. Doch ganz ausschließen tut er es nicht. "Robo-Advisor entemotionalisieren die Geldanlage", ist er überzeugt. Und dennoch bringen die Systeme die Kunden näher an die Finanzindustrie, als manche vielleicht ahnen.

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