Anschlag in Dortmund:Drei Blätter und ein Rätsel

Interessieren sich IS-Terroristen für Borussia Dortmund? Ein Bekennerschreiben schürt den Verdacht. Sollten die Attentäter tatsächlich Islamisten sein, steht die Terrorabwehr vor einer Wende.

Von Hans Leyendecker, Georg Mascolo und Nicolas Richter

Seit dem Terroranschlag in Berlin im Dezember hören die Sicherheitsbehörden noch genauer hin als vorher. Wer von den vielen Gefährdern oder den anderen Extremisten redet mit wem über was? Von wem könnte wirklich echte Gefahr ausgehen?

In den vergangenen Tagen hatten die Lauscher des Staatsschutzes in Nordrhein-Westfalen gleich mehrere Islamisten in der Leitung: "Der Sprengsatz ist fertig", sagte einer der Verdächtigen eher nebenbei. War das ein Fake, eine Übertreibung, oder drohte tatsächlich etwas Ernstes?

Islamwissenschaftler und Kriminalbeamte sezieren jedes Wort

Fieberhaft versuchen die Sicherheitsbehörden jetzt, den Hintergrund dieses Satzes zu klären. Seit dem Anschlag von Dortmund scheint vieles möglich zu sein, was früher für unwahrscheinlich gehalten wurde. Allein die Frage, ob sich die Terroristen des "Islamischen Staats" (IS) für den Fußballverein Borussia Dortmund interessieren könnten, hätte man noch vor ein paar Wochen für völlig absurd gehalten.

Muss man jetzt umdenken? Am Anschlagsort wurden drei textgleiche Schreiben gefunden. Es ist ein Text, der aus 91 Wörtern besteht, verteilt auf acht Sätze. Islam-Wissenschaftler und Kriminalbeamte sezieren nun jedes Wort. Die Verfasser dieses Schreibens beginnen mit den Worten "im Namen Allahs", rühmen den Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt, verdammen die Kanzlerin und verlangen, dass die Tornados der Bundeswehr, die über Syrien für Aufklärungsflüge im Einsatz sind, abgezogen werden. Wer immer das geschrieben hat: Er tut so, als hätte er etwas mit der islamistischen Szene zu tun.

Das kann richtig sein oder nicht.

Die Sprengsätze baute jemand mit technischem Sachverstand

Fest steht, dass am Dienstagabend gegen 19.15 Uhr der Mannschaftsbus des BVB, der sich auf der Fahrt zum Champions-League-Spiel ins Stadion befand, mit drei Sprengsätzen angegriffen wurde. Sie waren hinter einer Hecke abgelegt worden.

Die Sprengsätze bestanden aus konventionell militärischem Sprengstoff und wurden zusammengebaut von jemandem mit technischem Sachverstand. Die Sprengsätze waren mit Metallstiften bestückt und hatten, wie die Bundesanwaltschaft am Mittwoch mitteilte, eine Sprengwirkung von mehr als hundert Metern. Einer der Metallstifte bohrte sich in die Kopfstütze eines Sitzes im Bus des BVB, mit etwas Pech hätten also auch mehrere Spieler und Betreuer sterben können. Die Sprengsätze sollen aus der Ferne gezündet worden sein, exakt in dem Augenblick, als der Bus daran vorbeifuhr. Die Bundesanwaltschaft geht deswegen inzwischen von einem terroristischen Hintergrund aus.

In der Nacht zum Mittwoch gab es Durchsuchungen in der islamistischen Szene, ein Verdächtiger aus Wuppertal und einer aus Fröndenberg wurden festgenommen. Spezialisten des Bundeskriminalamtes bildeten am Mittwoch eine Ermittlungsgruppe mit hundert Beamten. Die Bundesanwaltschaft prüft, ob sie gegen einen der Festgenommenen Haftbefehl beantragt.

Nähme man die Drohung wörtlich, hätte man eine andere Republik

Sollten die Täter tatsächlich Islamisten sein, so hätten sich die islamistischen Terroristen eine neue Taktik zugelegt. Während sie bisher versucht haben, auf öffentlichen Plätzen möglichst viele zufällig anwesende Passanten zu ermorden, wäre der Angriff in Dortmund der erste gezielte Anschlag auf Personen des öffentlichen Lebens. "Ab sofort", heißt es im Bekennerschreiben, "stehen alle ungläubigen Schauspieler, Sportler und sämtliche prominente in Deutschland und anderen Kreuzfahrernationen auf Todesliste des Islamischen Staates".

Wenn man diese Drohung wörtlich nehmen würde, hätte man eine andere Republik, eine, in der sich Politiker und Fußballspieler vor jedem öffentlichen Auftritt fürchten müssten. Aber ist diese Warnung wirklich ernst zu nehmen? Steckt hinter alledem wirklich der IS, der noch nie einen Brief an einem seiner vielen Tatorte hinterlassen hat? "Die Bekennung", erklärte die Bundesanwaltschaft am Mittwoch, werde "insbesondere unter islamwissenschaftlichen Gesichtspunkten untersucht"; eine "abschließende Bewertung" sei noch nicht möglich. Spezialisten, die das Papier am Mittwoch studiert haben, sind sehr skeptisch, was den IS angeht. Überwiegend sind sie der Meinung, dass der oder die Verfasser des Bekennerschreibens bewusst Fehler eingebaut haben, um den Verdacht auf Ausländer zu lenken.

Es mag merkwürdig klingen, aber solche Analysten schauen auch sehr genau auf die Rechtschreibung. Es fällt auf, dass der oder die Verfasser manche Sätze so formuliert haben, als könnten sie kaum Deutsch. Andere, viel schwierigere Passagen sind dagegen einwandfrei, sogar das Genitiv-S steht an der richtigen Stelle. Auch wird verlangt, dass die "Ramstein Air Base geschlossen werden" müsse, eine Forderung, die in der salafistischen Szene sehr ungewöhnlich ist. Merkwürdig ist auch, dass die drei Schreiben keine Unterschriften tragen und dass sie in der Nähe des Tatorts deponiert wurden. Normalerweise verbreitet der IS seine Botschaften über das Internet.

Zu Zeiten des Deutschen Herbsts war es für Terror-Ermittler einfacher

Wenn man die vielen Merkwürdigkeiten in dem Dortmund-Fall so sieht, bleiben viele Fragen und ein großes Rätsel. Da ist der Brief, der viele neue Fragen aufwirft. Aber da sind auch die professionell arrangierten Sprengkörper. Das eine passt nicht so recht zu dem anderen.

Früher war es für Terror-Ermittler einfacher. Die Rote Armee Fraktion (RAF) beispielsweise verwendete bei Selbstbezichtigungsschreiben den roten fünfzackigen Stern mit den weißen Großbuchstaben RAF auf schwarzer Maschinenpistole. Oder sie nahmen das kleinere Emblem: das mit dem rot umrandeten weißen fünfzackigen Stern und den weißen RAF-Lettern auf dem Hintergrund einer roten Maschinenpistole. Die RAF beurkundete ihre Anschläge mit der Sorgfalt deutscher Notare. Der Verfasser des angeblichen IS-Schreibens ist weder sorgfältig, noch beherrscht er den Duktus des IS.

Was also ist da in Dortmund am Dienstagabend passiert? Die Bundesanwaltschaft geht von Terrorismus aus, der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger sagt, dass es linker, rechter oder islamistischer Terror sein könne, meint aber auch, es könne eine "Tat radikaler Fußball-Fans" sein. Die Sport-Szene hat sich an die Gewalt der Ultras, der wirklich radikalen Fans, gewöhnt. Aber dass einer von denen einen Anschlag auf den Mannschaftsbus eines Vereins wie Borussia Dortmund ausgeheckt haben könnte, das erscheint doch sehr unwahrscheinlich. Oder muss man jetzt komplett umdenken?

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