Hoffnung spenden:Das Kreuz auf der Haut

Beschimpft, verprügelt, ermordet: Koptische Christen müssen in Ägypten um ihr Leben fürchten. Einige von ihnen haben in München Zuflucht gefunden und bereiten sich auf ein friedliches Osterfest vor

Von Björn Struß

Der Tod und die Wiedergeburt, wie nah das beieinander liegt. Während sich die Gläubigen der Sankt-Mina-Gemeinde in Berg am Laim auf die Feiern zur Auferstehung des Herrn einstimmen, kommt der Tod über sie. Die Nachricht von zwei Anschlägen auf koptische Christen in Ägypten verbreitet sich per Smartphone wie ein Lauffeuer. Hier, in der Sankt-Loreto-Kirche an der Josephburgstraße, versammelt sich die koptisch-orthodoxe Gemeinde Münchens regelmäßig zum Gebet. Pater Deuscoros, 60 Jahre alt und im Jahre 2000 als Seelsorger für die koptische Kirche nach München gekommen, erfährt erst nach der Messe von den ermordeten Christen. Hinter dem mächtigen, grauen Vollbart bleibt sein Gesicht gefasst, ja geradezu unbeeindruckt. Die Nachricht überrascht ihn nicht.

Hoffnung spenden: Pater Deuscoros lebt seit fast zwei Jahrzehnten in München, er ist der Seelsorger der koptischen Gemeinde.

Pater Deuscoros lebt seit fast zwei Jahrzehnten in München, er ist der Seelsorger der koptischen Gemeinde.

(Foto: Robert Haas)

Zu oft schon sind Kopten zu Opfern von Gewalt geworden. Im Dezember 2016 riss ein Anschlag auf eine koptische Kirche in Kairo fast 30 Menschen in den Tod. Nun, am Palmsonntag, waren es 45 Todesopfer. Der sogenannte Islamische Staat bekannte sich zu den Taten. "Welcher Gott hat diesen Menschen gesagt, sich in Gottes Haus in die Luft zu sprengen?", fragt Pater Deuscoros anklagend. Und fügt hinzu, dass die Kopten keine Angst haben, denn Gott sei mit ihnen in Ewigkeit. Er sagt das mit einem sanften Lächeln, sein Kreuz fest in der Hand.

Hoffnung spenden: Koptische Christen müssen in Ägypten um ihr Leben fürchten. In München haben sie Zuflucht gefunden.

Koptische Christen müssen in Ägypten um ihr Leben fürchten. In München haben sie Zuflucht gefunden.

(Foto: Robert Haas)

Aber was soll er auch anderes sagen? Als Oberhaupt der koptisch-orthodoxen Kirche in München muss er 600 Christen immer wieder aufs Neue Hoffnung spenden. Seit 1996 ist seine Gemeinde in der früher katholischen Sankt-Loreto-Kirche zu Gast. In der Karwoche ist auch Kalib hierher gekommen. Auf den ersten Blick sieht Kalib wie ein ganz normaler Teenager aus: das dichte schwarze Haupthaar in die Luft drapiert, schwarze Turnschuhe, Slim-Fit-Hose. Nun steht er mit gesenktem Blick vor der Gemeinde und verliest auf Arabisch eine Erläuterung der Bibel. Die deutsche Übersetzung kann jeder Besucher mitlesen. "Christus, unser Retter, wir preisen dich." Der Geruch von Weihrauch, der am Palmsonntag die Kirche erfüllte, hängt noch in der Luft. Das ist Christentum im orientalischen Gewand.

Hoffnung spenden: Gerade für junge Christen, die wegen Verfolgung fliehen mussten, ist Pater Deuscoros ein wichtiger Ansprechpartner.

Gerade für junge Christen, die wegen Verfolgung fliehen mussten, ist Pater Deuscoros ein wichtiger Ansprechpartner.

(Foto: Robert Haas)

Kalib ist aber alles andere als ein unbekümmert dahinlebender Jugendlicher. Kalib ist nicht sein richtiger Name, denn er fürchtet um die Sicherheit seiner Familie in Ägypten. Aufgewachsen in einer Millionenstadt am Nil, floh er vor einem Jahr und vier Monaten im Alter von 17 Jahren nach Deutschland. Nun ist er 18. Sollten die Islamisten in seiner Heimat erfahren, dass er hier ohne Angst Christ sein kann, könnte das Mutter, Vater und seine zwei jüngeren Brüder in Gefahr bringen, sagt Kalib. Zwei Freunde der Familie mussten bereits sterben, weil sie Christen waren.

Markus als Gründer

Die koptisch-orthodoxe Kirche hat ihre Wurzeln in Ägypten, der Evangelist Markus gilt als ihr Begründer. Mit der Verbreitung des Islam im 7. Jahrhundert wurden die Christen in diesem Land zur Minderheit, was sie bis heute geblieben sind. Die Mehrheit der weltweit bis zu 20 Millionen Gläubigen lebt nach wie vor in Ägypten, wo sie etwa zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen. Weitere Gemeinden finden sich unter anderen in Libyen und im Sudan. Die koptische Kirche in Deutschland entstand vor 35 Jahren und zählt heute etwa 12 000 Mitglieder.bjs

Grund zur Flucht hätte die ganze Familie, doch nur Kalib fühlte sich der lebensgefährlichen Fahrt über das Mittelmeer gewachsen. "Natürlich habe ich Angst um meine Familie, aber ich will leben", sagt er. Nicht lebenswert war sein Alltag in der Heimat - das hört man aus den vielen Geschichten, die er aus Ägypten mitgebracht hat. Wie die von dem Fußballspiel: "Nach einem Tor habe ich mich bekreuzigt", erinnert sich Kalib. Für seine Mitspieler war das Grund genug, ihm das Handgelenk zu brechen und ihm ins Gesicht zu schlagen. Oder die von seiner Geburtsurkunde: Die brauchte er, um einen Personalausweis zu beantragen. "Der Beamte sah mein Kreuz am Handgelenk und schickte mich wieder nach Hause", erzählt der Teenager. Die Folge: Ohne Personalausweis wurde ihm der Traum von einer Reise in die Hauptstadt Kairo unmöglich gemacht.

Das Kreuz am rechten Handgelenk ist nicht etwa ein Schmuckstück, das er nach Belieben abnehmen könnte. Es ist eine kleine Tätowierung, die alle koptischen Christen links neben der Hauptschlagader auf der Haut tragen. Kalib erhielt sein Kreuz im Alter von vier Jahren. Mit verschwommenen Konturen fällt es auf der dunklen Haut nur noch jenen auf, die danach suchen. Leider tun das, auch in deutschen Flüchtlingsunterkünften, die Peiniger der koptischen Christen oft gezielt. So wird das Zeichen des Glaubens zur folgenschweren Brandmarkung. Der Überlieferung nach geht das Tätowieren auf die Angst der Eltern zurück, ihre Kinder könnten nach ihrem Tod vom christlichen Glauben abfallen.

Doch daran verliert Kalib keinen Gedanken, ganz im Gegenteil. "Hier in Deutschland kann ich ohne Stress zur Kirche gehen", sagt der junge Christ. Ohne Stress? Das ist vielleicht nicht das passende Wort für das, was er an Verfolgung erleben musste. Er sucht immer wieder nach dem richtigen Wort, kein Wunder, nach nur einem guten Jahr in Deutschland. Aber es zeigt, wie engagiert er sich um seine Integration bemüht. Die Freiheit, ohne Angst um sein Leben in die Kirche gehen zu können, schätzt er hier mehr als alles andere.

Insbesondere nun, da das Osterfest ansteht. Ostern, das bedeutete für Kalib, zu Hause zu sein. Im Kreis seiner Familie war er meist halbwegs sicher. "Die Islamisten wussten, wann wir unsere Feiertage haben. Sie stellen sich dann extra auf die Straßen", sagt Kalib. Wer trotzdem zur Kirche gehen wolle, laufe dann Gefahr, verprügelt zu werden.

Davor muss er heute keine Angst haben. Doch die Sicherheit, in der er nun lebt, ist womöglich nicht von langer Dauer. Kalib wartet noch auf die Bearbeitung seines Asylantrags. Ein guter Freund erhielt bereits die Ablehnung und wird vor der Abschiebung nur durch den unsicheren Status der Duldung geschützt. Die Tage, an denen Kalib seinen Glauben in Sicherheit leben durfte, könnten schon bald wieder der Vergangenheit angehören.

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