Wahl in Frankreich:Willkommen bei den Le Pens

Wahl in Frankreich: Ihr Vater Jean-Marie galt Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen lange als Vorbild, bevor sie sich 2011 langsam von ihm distanzierte.

Ihr Vater Jean-Marie galt Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen lange als Vorbild, bevor sie sich 2011 langsam von ihm distanzierte.

(Foto: AP)

Das Buch "Marine Le Pen. Tochter des Teufels" zeichnet nach, wie aus der Tochter des Faschisten Jean-Marie Le Pen die erfolgreiche Politikerin Marine wurde.

Rezension von Nadia Pantel

Wer erwägt, im nahenden Sommer Urlaub in der Bretagne zu machen, kann sich zur Vorbereitung im Internet durch Reiseberichte wühlen, oder einfach direkt den aktuellen Wahlkampfspot von Marine Le Pen anschauen. Bei beiden Recherchemethoden wird deutlich: Es ist mit durchwachsenem Wetter zu rechnen, für Strandspaziergänge sollte man immer eine Jacke dabei haben, und erst wer segeln kann, erfasst die ganze Schönheit der Region.

Während man sich die Parteichefin des Front National bei ihren bretonischen Tätigkeiten anschaut, wie sie am Strand schlendert, von Klippen aus das Meer betrachtet und am Steuerrad eines Schiffes steht, lohnt es sich, ihren Namen einfach mal stumpf deutsch auszusprechen. Marine. Die Frau heißt also wie Schiffe, U-Boote und Matrosen. Als Papa Le Pen seine Tochter nach einer Teilstreitkraft der Armee benannte, hatte er nicht nur eine originelle Idee, er lieferte ihr auch den Grundstock, den eine politische Kampagne heutzutage braucht.

Eine wiedererkennbare Farbe und eine naheliegende Idee für jede Plakat-Aktion. Marine Le Pen absolviert ihre Auftritte am liebsten in Marineblau. Das passt nicht nur zu ihrem Namen, sondern auch zu ihrer politischen Strategie: bloß nicht zu schrill und grell wirken. Unter Marine Le Pen ist rechtsradikales Gedankengut in Frankreich von der geächteten Einzelmeinung zu einer tolerierten bürgerlichen Ansicht geworden.

Man könnte das als eine logische Folge von Globalisierung, sozialer Ungerechtigkeit und islamistischem Terror begreifen. Das wäre dann allerdings recht nah an der Logik von Le Pen und ihrem Front National: Die Welt ist verkommen, unsere Lösungen mögen radikal sein, aber sie haben keine Alternative mehr. Wer sich dieser selbstgerechten Weltinterpretation nicht anschließen möchte, findet in Tanja Kuchenbeckers dicht recherchiertem Marine-Le-Pen-Buch eine Anregung, den Erfolg des Front National nicht als Automatismus wahrzunehmen, sondern als Folge einer ausgefeilten Strategie und als Folge des extremen Machtwillens der Familie Le Pen.

Was Marine Le Pen mit anderen rechten Kräften eint, die alarmistisch Abendland und liberale Demokratie für untergehend erklären, ist die riesige Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität. Dazu kommt: Le Pens gesamte Biografie steht in bemerkenswertem Gegensatz zu ihrer Fassade von kleinbürgerlicher Bescheidenheit. Die spannendsten Passagen von Kuchenbeckers Buch sind die, in denen sie Detail für Detail entwirrt, wie aus der Tochter des Faschisten Jean-Marie Le Pen die erfolgreiche Politikerin Marine wurde. Und wie absolut undurchschnittlich dieses Heranwachsen verlief.

Marine Le Pen und ihre Geschwister lebten als Kinder in einer eigenen Wohnung

Angenommen, Jean-Marie Le Pen wäre nicht Politiker, sondern Autor von Erziehungsratgebern geworden, seine Ideen wären nicht weniger radikal gewesen. Zunächst zu den gesellschaftspolitischen Analysen von Papa Le Pen, die Kuchenbecker in einem Zitate-Medley des Grauens noch einmal in Erinnerung ruft: "In der Partei gerieten alle Minderheiten ins Visier: egal, ob es Homosexuelle waren (,Die Aidskranken dünsten das Virus über die Poren aus') oder Frauen (,Die Behauptung, dass ihr Körper ihnen gehört, ist läppisch. Der Körper gehört zum Teil auch der Nation') oder Farbige (,Ich konstatiere, dass die Rassen ungleich sind. Das ist eine Banalität') oder Andersgläubige (,An dem Tag, an dem wir in Frankreich 25 Millionen Muslime haben, sind sie es, die kommandieren. Und die Franzosen schleichen an der Mauer entlang und gehen mit gesenkten Augen über die Bürgersteige')."

Bevor Le Pen 1972 die Partei gründete, die zu seinen Ansichten passte, den Front National, zeugte er in den 1960er-Jahren drei Töchter. Marie-Caroline (1960), Yann (1963) und schließlich Marine (1968). Dass er diese Töchter auch erzog, wäre möglicherweise zu viel gesagt. Kuchenbecker fasst sein Familienverständnis so zusammen: "Der Vater war mehr Häuptling als Vater." Das Ehepaar Jean-Marie und Pierrette Le Pen mietete für seine Töchter eine eigene Wohnung an, in der sie mit einem Kindermädchen lebten.

Bereits vor dem offiziellen Bruch distanzierte sich Le Pen von ihrem Vater

Die Eltern selbst feierten viel, gern auch mit Prominenten wie dem Schauspieler Alain Delon, der nicht nur gut aussehend, sondern früh überzeugt rechtsnational war. Als Mutter Pierrette 1984 die Familie verließ, erreichte die Dekadenz der Le Pens eine neue Stufe. Jean-Marie ließ seiner Ex-Frau via Interview mitteilen, dass sie doch putzen gehen könne, wenn ihr Geld fehle. Pierrette reagierte, indem sie sich nackt und mit kleinem Schürzchen für den Playboy beim Feudeln fotografieren ließ. Es ist durchaus erstaunlich, dass es ausgerechnet die Le Pens sind, die bis heute ihr politisches Kapital daraus schlagen, dass sie die französische Familie zum Vorbild an Fürsorge, Solidarität und Volksgesundheit idealisieren.

Kuchenbecker beschreibt nicht nur ausführlich, wie der dominante Vater seine Tochter Marine prägt. Sie zeichnet auch den "Vatermord" nach: Schon 2011 beginnt Marine Le Pen sich von ihrem Vorbild zu distanzieren, drei Jahre vor dem offenen Bruch und dem Parteiausschluss Jean- Maries 2015. Was Kuchenbeckers Analyse wertvoll macht, ist, dass sie offenlegt, wie oberflächlich diese Distanzierung ist.

Mit dem offenen Antisemitismus des Vaters will Marine nichts mehr zu tun haben, an seinen alten Parteifreunden, an den gewachsenen FN-Strukturen und an dem Millionenerbe der Familie hält sie jedoch fest. Der Titel des Buches, "Tochter des Teufels", ist zwar eher brachial als subtil, und doch zeigt er die Stärke von Kuchenbeckers Recherche: Sie durchleuchtet ein politisches Familienunternehmen, das auf Hass, Abgrenzung und Selbstgerechtigkeit aufgebaut ist.

Tanja Kuchenbecker: Marine Le Pen. Tochter des Teufels. Vom Aufstieg einer gefährlichen Frau und dem Rechtsruck in Europa. Herder-Verlag Freiburg 2017, 224 Seiten, 22,99 Euro. E-Book: 18,99 Euro.

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