Theologie:Was die katholische Kirche vom Fußball lernen kann

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Fahnen, Wechselgesänge, Schals - Fußball und Kirche haben so einiges gemeinsam, meint Theologe Thorsten Kapperer.

(Foto: AFP)

Zwar sieht Theologe Thorsten Kapperer "Kennzeichen des Heiligen" im Stadion - dennoch hat der Sport der Religion einiges voraus. Vor allem, was die Kommunikation mit den Fans angeht.

Von Claudia Henzler, Würzburg

Schon seit Kindertagen brennt Thorsten Kapperer für den Fußball. Nach seiner aktiven Zeit beim SV Sendelbach in Lohr am Main wurde er Jugendtrainer, heute kickt der 36-jährige Familienvater bei den "Rhön-Oldies". Das wäre nicht weiter bemerkenswert, wäre Kapperers zweite Leidenschaft nicht die katholische Theologie. Schon im Studium musste er feststellen, dass er mit seiner Fußballbegeisterung ziemlich alleine dastand.

Die Kommilitonen hatten wenig Interesse, am Montag die Spiele vom Wochenende durchzusprechen. Und auch heute, Kapperer arbeitet als Pastoralreferent im unterfränkischen Bad Neustadt an der Saale, ist Fußball bei den Kollegen kein großes Thema. Dabei könnte die Kirche einiges vom Fußball lernen, sagt Kapperer, weshalb er ihn zum Thema seiner Doktorarbeit gemacht hat. Die wurde jetzt veröffentlicht.

In der Gemeinde gehe Fußball oft vor, vielen sei das Training wichtiger als der Firmunterricht oder die Pfarrgemeinderatssitzung. "So ist die Realität", sagt Kapperer. "Wir können dieses Spannungsverhältnis positiv gestalten." Als Konkurrenz oder gar Ersatzreligion sieht er den Fußball nämlich nicht - obwohl es phänomenologisch durchaus Parallelen gebe. "Wenn man im Stadion auf die Fankurve schaut und dann in die Kirche, da sehe ich in beiden Bereichen Fahnen, ich sehe Wechselgesänge, ich sehe Schals."

Und in den besonders emotionalen Momenten im Spiel, da würden schon "religiöse Dimensionen des Lebens" angesprochen, findet Kapperer. In seiner Arbeit hat er sogar "Kennzeichen des Heiligen" beim Fußball herausgearbeitet. Etwa das erhebende Gefühl, wenn ein Fan das profane heimische Umfeld verlässt und das Stadion betritt, um das Spiel im Kollektiv mit Tausenden Menschen zu erleben. Oder Mario Götzes Siegtreffer im WM-Endspiel 2014. "Im gleichen Moment ist das für die eine Mannschaft das höchste Glück, für die andere Mannschaft furchtbar. Da wird es schon sichtbar, das Heilige."

Aus theologischer Sicht gebe es aber eine klare Grenze. "In der Kirche versammeln wir uns, um daran zu denken, dass Jesus Gemeinschaft gestiftet hat, und feiern den Glauben an Gott als eine höhere Macht, die unser Leben trägt. Diese Dimension der Transzendenz fehlt dem Fußball." Seiner Erfahrung nach wollten Fußballer auch gar nicht, dass ihnen religiöse Motive unterstellt werden. Klar, es gebe Verehrung und Schwärmerei. "Ich würde aber bestreiten, dass ich als Fußballfan in schweren Zeiten, etwa in einer Ehekrise oder wenn die Großmutter gestorben ist, Toni Kroos um Hilfe bitten würde."

Klausurtagung des Pfarrgemeinderats im Stadion

Für seine Doktorarbeit sammelte Kapperer Beispiele, wie Kirche und Fußball voneinander profitieren können. In Mönchengladbach etwa sind Pfarrer mit dem Pfarrgemeinderat zur Klausurtagung in ein Fußballstadion gegangen. Das habe den Blick verändert. Mit Sportlergottesdiensten oder Fußballwallfahrten wollen einige Gemeinden neue Zielgruppen ansprechen. Kapperer selbst hatte vor einigen Jahren in seinem Heimatort einen Workshop mit Udo Bassemir, einem Jugendtrainer des FC Bayern München, organisiert. "Er hat mit den Kindern darüber gesprochen, dass auf dem Sportplatz nicht nur die Körperhaltung wichtig ist, sondern auch die Haltung im Leben", erzählt Kapperer. Da habe er gemerkt: "Man kann durch die Sprache viel machen."

Ein Vorbild ist seiner Ansicht nach auch die Fußballkapelle im Stadion auf Schalke. Viele Fans lassen sich dort trauen oder ihre Kinder taufen. "Natürlich kann ich das auf dem Dorf nicht nachmachen, aber wir können uns zumindest von der Ästhetik inspirieren lassen", findet er. Die Kirche habe ja das Problem, dass viele Aktive sich in gewisser Weise kleiden, die gleiche Musik hörten - und in vielen Bildungshäusern gibt's immer noch Hagebuttentee. Von dieser Ästhetik fühlten sich dann Jugendliche aus demselben Milieu angezogen. "Da wünsch ich mir mehr Weite. Warum soll's im Bildungshaus nicht Smoothies statt Hagebuttentee geben?"

Und wenn Kollegen nun gar nichts mit Fußball anfangen können? "Man kann sich von der Leidenschaft des Fußballs anstecken lassen und seine eigenen Leidenschaften pastoral einbringen", sagt Kapperer. "Wenn jemand gerne wandert, kann er Wanderexerzitien anbieten." Vieles gebe es da ja schon. Wichtig sei, über den kirchlichen Tellerrand zu schauen. Beim Ordinariat in Würzburg, für das Kapperer arbeitet, fanden seine Thesen bereits Anklang.

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