Ungarn:Orbán auf reizender Mission

European Commission President Jean Claude Juncker and Hungarian P

Viktor Orbán und Jean Claude Juncker in Brüssel. Der EU-Kommissionspräsident nennt den ungarischen Premier gerne mal scherzhaft "Diktator". (Archivbild)

(Foto: picture alliance / dpa)
  • Im EU-Parlament wird am Mittwoch über die Lage in Ungarn debattiert. Premier Viktor Orbán wird sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, die Abgeordneten persönlich zu reizen.
  • Die EU-Kommission berät über ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn. Es geht um eine liberale Universität, die einem Feldzug Orbáns zum Opfer zu fallen droht.
  • Der Rektor der Uni hofft auf Brüssel, er sagt: "Auf unseren Kopf ist eine Waffe gerichtet."

Von Daniel Brössler, Brüssel

So gern er seiner Abneigung gegen Brüssel freien Lauf lässt, so wenig einzuwenden hat der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán für gewöhnlich gegen eine Reise in die Metropole der Europäischen Union. Während der Rechtspopulist in der Heimat seine Landsleute in einer Umfrage über "gefährliche Brüsseler Pläne" abstimmen lässt, wird er an diesem Mittwoch im Europäischen Parlament erwartet. Auf der Tagesordnung steht die Lage in Ungarn. Und Orbán will sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, die EU-Abgeordneten persönlich zu reizen.

Er hat das schon öfter getan. Allerdings könnte es diesmal ein bisschen anders laufen. Denn über Ungarn wird auch in der wöchentlichen Sitzung der EU-Kommission geredet. Die Kommissare werden über ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn beraten - und es aller Voraussicht nach auch beschließen.

Grund ist die Central European University (CEU) in Budapest, die einem Feldzug Orbáns gegen den aus Ungarn stammenden US-Milliardär George Soros zum Opfer zu fallen droht. Die liberale Universität, die 1991 mit finanzieller Unterstützung von Soros gegründet wurde, ist durch eine Novelle des Hochschulgesetzes von Schließung bedroht. In Budapest trieb das Zehntausende auf die Straße, in Brüssel löste das große Sorge aus. "Begrenzungen der Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre sind inakzeptabel und nicht mit europäischen Werten vereinbar", sagte die Vorsitzende des Kulturausschusses im EU-Parlament, Petra Kammerevert (SPD).

Die ungarische Regierung weist jegliche Kritik zurück: Sie wolle Wildwuchs bei ausländischen akademischen Programmen beseitigen, macht sie geltend, und gehe gegen unfairen Wettbewerb vor. Denn die CEU ermögliche, anders als ungarische Hochschulen, zwei Abschlüsse, einen ungarischen und einen US-amerikanischen.

Die EU-Kommission lässt sich in gewisser Weise auf dieses Spiel ein. Sie prüft nun nicht nur, ob in Ungarn die Freiheit der Wissenschaft bedroht oder die Demokratie in Gefahr ist. Das Vertragsverletzungsverfahren würde sich vielmehr um ganz alltägliche EU-Fragen drehen: darum, ob die ungarische Gesetzesänderung Grundfreiheiten im Binnenmarkt verletzt, wie die Dienstleistungsfreiheit und die Niederlassungsfreiheit. Das gehört zum Kerngeschäft der Kommission als "Hüterin der Verträge". Überdies gibt es hier - anders als in Demokratiefragen - ein klares Prozedere, das zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg führt. Andererseits gehören Vertragsverletzungsverfahren zur Brüsseler Routine. Es muss die ungarische Regierung also nicht wirklich beeindrucken.

"Auf unseren Kopf ist eine Waffe gerichtet", sagt der Rektor der bedrohten Universität

Der Rektor der CEU, Michael Ignatieff, hofft dennoch, dass die EU-Kommission zu diesem Mittel greift und hat sich am Montag mit EU-Vizepräsident Frans Timmermans getroffen. "Auf unseren Kopf ist eine Waffe gerichtet", sagte er am Dienstag der Süddeutschen Zeitung. Er wolle "den Europäern klarmachen, was auf dem Spiel steht. Es wäre das erste Mal seit 1945, dass in Europa eine Universität geschlossen wird." Anders als von der ungarischen Regierung behauptet, bedrohe das Hochschulgesetz die CEU direkt. "Uns wird gesagt: Ihr könnt in Ungarn bleiben, wenn ihr euch unter unsere Kontrolle begebt. So läuft das nicht. Wir sind wie ein Mensch mit zwei Pässen", betonte er.

Seine Universität sieht er nun in einem Wettlauf gegen die Zeit: "Am 11. Oktober tritt das Gesetz in Kraft. Ich muss die Universität vorher retten." Man fühle sich mit Budapest verbunden und durch die internationalen Demonstrationen von Solidarität bestärkt. Dennoch droht er mit einer Abwanderung: "Die Universität wird geöffnet bleiben, die Frage ist nur wo."

Für die EU bleibt die grundsätzliche Frage, wie sie mit einem Regierungschef umgehen soll, der immer wieder lustvoll Kampagnen gegen Brüssel orchestriert. "In jüngster Zeit gab es immer wieder Terroranschläge in Europa. Trotzdem will Brüssel Ungarn zwingen, illegale Migranten ins Land zu lassen. Was soll Ungarn tun?", lautet eine der Fragen in seiner "nationalen Konsultation". Zur Auswahl: die Migranten "unter Aufsicht" stellen oder ihnen erlauben, sich frei in Ungarn zu bewegen.

Im EU-Parlament wird Orbán das erklären müssen. Seine Politik und Polemik geht mittlerweile selbst vielen Abgeordneten in der Europäischen Volkspartei (EVP) zu weit, zu der auch seine Fidesz gehört.

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