Alitalia:Absturz in Rom

Die Mitarbeiter der italienischen Fluggesellschaft lehnen den Sanierungsplan samt Lohnverzicht ab - damit scheint die Pleite unausweichlich.

Von Jens Flottau und Ulrike Sauer, Rom

An Alitalia crew member walks past Alitalia employees who take part in a strike at Fiumicino international airport in Rome

Keine Opfer mehr: Mit Streiks hatten die Beschäftigten ihren Unmut über Sanierungspläne deutlich gemacht.

(Foto: Remo Casilli/Reuters)

Am Ende siegte die Wut bei Alitalia. Nach 40 Jahren Dauerkrise, in denen die römische Fluggesellschaft als Geldvernichtungsmaschine durch die Lüfte kreuzte, stimmten die Beschäftigten selbst ein bitteres Finale herbei. "Wir erleben einen kollektiven Selbstmord", sagte ein Gewerkschafter. Fassungslos sah er der Auszählung der Stimmzettel der Alitalia-Mitarbeiter am Flughafen Fiumicino zu. Kurz vor Mitternacht am Montag stand das Ergebnis fest: 67,5 Prozent der 12 500 Beschäftigten lehnten den Rettungsplan für ihr Unternehmen ab. Für Alitalia könnte es, 70 Jahre nach der Gründung, der Todesstoß sein.

Ohne eine Sanierung rückt die Pleite gefährlich näher. Einen staatlichen Fallschirm wird es wohl nicht geben. "Ohne eine Einigung überlebt Alitalia nicht", hatte Regierungschef Paolo Gentiloni am Wochenende gewarnt. Wie er richteten Minister, Manager und Gewerkschafter ihre Vernunftappelle an die Belegschaft. Doch die Mitarbeiter ließen sich nicht von dem Rettungsplan überzeugen.

Alitalia hatte sich am 14. April mit den Gewerkschaften und der Regierung auf einen Abbau der Personalkosten geeinigt. Es sollten 980 Stellen gestrichen und 691 befristete Verträge nicht verlängert werden. Die Gehälter von Piloten und Flugbegleitern sollten im Schnitt um acht Prozent gekürzt werden, die Zahl der Ruhetage im Jahr von 120 auf 108 sinken. Im Gegenzug wollten die Aktionäre das Kapital um zwei Milliarden Euro aufstocken. Davon sollten 950 Millionen Euro als Finanzspritze in die leere Unternehmenskasse fließen.

Die Botschaft, die die Mitarbeiter nun aussandten, ist klar: Jetzt langt's, wir wollen keine Opfer mehr. "Unsere Arbeit ist nicht low cost", stand auf Plakaten vor den Wahllokalen. Manche hoffen insgeheim wohl auch, dass sich doch noch ein Retter erbarmt. Zwischen 2007 und 2014 vernichtete die Fluggesellschaft 7,4 Milliarden Euro an Steuergeldern. Sie steht nun zum dritten Mal vor der Pleite. "Wir glauben, dass das Unternehmen verstaatlicht werden kann", sagt Antonio Amoroso vom Komitee der Plan-Gegner.

Der Niedergang von Alitalia macht aber auch deutlich, dass das Europa-Engagement der Golf-Airline Etihad Airways gescheitert ist. Die arabische Fluggesellschaft war 2014 mit 49 Prozent bei Alitalia eingestiegen und hatte auf Wachstum und eine schnelle Sanierung gehofft. Das Gegenteil ist eingetreten. Schlecht sieht es auch bei der deutschen Fluggesellschaft Air Berlin aus, wo Etihad mit 29,2 Prozent beteiligt ist. In Abu Dhabi haben die verlustreichen Engagements bereits für einschneidende Veränderungen gesorgt: Etihad-Chef James Hogan hat seinen Abschied angekündigt. Am Montag trat zudem der für die Beteiligungen zuständige Manager Bruno Matheu zurück.

Alitalia kündigte an, dass sie die Regierung bitten werde, einen kommissarischen Verwalter zu bestellen. Der muss sich unter Gläubigerschutz bemühen, den Flugbetrieb solange aufrechtzuerhalten, bis Alitalia ganz oder stückweise verkauft ist. Die Start- und Landerechte und die Flotte zählen zu ihrem wertvollsten Besitz. Der Flugbetrieb werde vorerst planmäßig weitergeführt, teilte Alitalia mit.

Für die Regierung in Rom ist der Ausgang der Abstimmung ein Schock. Noch bevor die Auszählung vorlag, hatte Ministerpräsident Gentiloni am Montagnachmittag die zuständigen Kabinettsmitglieder zu einer Krisensitzung zusammengetrommelt. "Es besteht keinerlei Möglichkeit einer Verstaatlichung. Die Regierung hat alles getan, um eine Lösung herbeizuführen", sagte Finanzminister Pier Carlo Padoan. Die Kosten einer Pleite von Alitalia für den italienischen Steuerzahler schätzt Industrieminister Carlo Calenda auf mehr als eine Milliarde Euro. Man bemühe sich, die Kosten für die Bürger und für die Reisenden möglichst niedrig zu halten.

Heftig attackiert wird die Regierung von der oppositionellen Fünf-Sterne-Bewegung Beppe Grillos: "Die Regierung hat ein weiteres Referendum verloren. Wir stellen uns hinter die Beschäftigten." Wie an jedem Krisenherd Italiens hört man den populären Slogan der Protestbewegung. "Verstaatlichen kostet? Aber 20 Milliarden Euro für die Banken hat die Regierung aufgetrieben", rief eine Stewardess in die Fernsehkamera. Die Anti-Haltung entspricht dem Zeitgeist. Es geht gegen die Verfassungsreform, gegen eine Gas-Pipeline in Apulien, gegen den Alpentunnel für Hochgeschwindigkeitszüge, neuerdings sogar gegen Schutzimpfungen für Kinder.

Bei Alitalia sorgt man sich nun zuallererst um die Liquidität. Spätestens Mitte Mai dürfte das Geld ausgehen, um Flugzeuge aufzutanken und Startgebühren zu bezahlen. Dass die italienischen Großaktionäre, die beiden Mailänder Banken Unicredit und Intesa San Paolo, noch einmal aushelfen, ist wenig wahrscheinlich. Unicredit-Chef Jean Pierre Mustier stellte auf der Hauptversammlung der Bank am Freitag vergangener Woche klar: "Wir haben in drei Jahren 500 Millionen Euro bei der Unterstützung Alitalias verloren." Das reiche.

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