Münchner Seminare:Die 2:1-Medizin

Die Rente muss nicht explodieren - wenn die Formel stimmt. "2:1" heißt die Regel von Ökonom Axel Börsch-Supan. Steigt die Lebenserwartung um drei Jahre, finanzieren zwei Jahre längeres Arbeiten ein Jahr mehr Ruhestand.

Von Ulrike Schuster

Meryl Streep lacht befreit. Daneben guckt Albrecht Dürers Mama Barbara ganz schön traurig, das ganze Elend des Lebens ist ihr ins Gesicht geschrieben. Der Ökonom Axel Börsch-Supan hat die beiden Gesichter nebeneinander geschnitten: Wer ist älter? Überraschenderweise ist es die Schauspielerin von heute, ganz offensichtlich machte es vor 500 Jahren wenig Spaß, 63 Jahre alt zu sein. Börsch-Supan, Deutschlands wohl anerkanntester Rentenexperte, will zeigen, wie sehr sich "alt" verändert hat. Für ihn heißt das: "Älter, gesünder, produktiver". Ein Trio, das das Rentensystem vor dem Untergang retten wird, ist sich der Wissenschaftler sicher.

Börsch-Supan ist Direktor am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik in München. Mit seinem "Munich European Center for the Economics of Aging" forscht er weltweit vernetzt über die Frage, was älter werdende Menschen für Wirtschaft und Gesellschaft bedeuten. Kurz gesagt ist die Lage besser als ihr Ruf; das mag viele überraschen in einem Jahr, in dem viele Wahlkämpfer Altersarmut und Rentenverfall thematisieren. Dank der einst vom SPD-Arbeitsminister Müntefering durchgesetzten Rente mit 67 ist die Lage bis 2030 stabil - obwohl die Menschen immer älter werden.

Der Trend zur Langlebigkeit ist da und bleibt. Alle zehn Jahre steigt die Lebenserwartung um zwei Jahre, zirka. Jungs, die jetzt zur Welt kommen, werden im Schnitt 78, Mädchen 83 Jahre alt; heißt mehr Greise, weniger Babys - das demografische Problem. "Nicht unser Schicksal, wenn wir klug damit umgehen." Noch geht die Politik mit gar nichts um, weshalb er die Dringlichkeit immer wieder gerne predige.

Die Rechnung des Spitzenökonomen ist einfach: Wer länger lebt, bekommt länger Geld aus dem Renten-Topf; was funktioniert, wenn länger eingezahlt wird. Arbeit hängt am Alter. Zwei Begriffe, die er in zwei Ziffern gegossen hat. "2:1" heißt die Renten-Regel, die sich ans steigende Lebensalter dynamisch anpasst. Steigt die Lebenserwartung um drei Jahre, finanzieren zwei Jahre längeres Arbeiten ein Jahr mehr Ruhestand. Oder, mit mehr Leben gefüllt: Wer 20 Jahre Rente beziehen mag, müsste doppelt so lange gearbeitet haben. Bloß, wer länger arbeitet, muss das auch können, und die anderen müssen es wollen.

"Funktional gesund" mit 70? Unproblematisch. Im Kopf und im Bein bleibt der Mensch immer ausdauernder beweglich. Viel heikler ist die Frage, ob die Kollegen den Älteren noch schätzen und ob er dem Unternehmen noch Profit bringt. Zwei Branchen hat sich Börsch-Supan angeschaut, die Automobilindustrie und die Versicherungsbranche. Von insgesamt sechs Millionen Menschen hat er Fehlerquoten und Produktivität gemessen, hat gefragt: "Wie schnell geht wie viel fehlerfrei?" Das Ergebnis: Die Auto-Facharbeiter, 60-Plus, machen zwar mehr Fehler als die Jungen, dafür weniger schwerwiegende. Bei den Versicherungen schneiden die Älteren bei Routineaufgaben schlechter ab, dafür hinterlassen sie die Kunden zufriedener und stellen sich bei der Verkaufe geschickter an. Älter heißt also nicht automatisch weniger Gewinn.

Nicht messen kann der Ökonom das, was sich nicht in die Schubladen der Stückzahlen und Stechuhren pressen lässt; es sind die sanften Mächte, wie Erfahrung, Gelassenheit, Kreativität, ein verträgliches Ego. Vielleicht ist der 70-jährige Journalist nicht mehr der rasende Reporter, dafür der mit dem Überblick und den Kontakten. Vielleicht ist der 70-jährige Zimmermann nicht mehr der "Aufs-Dach-Steiger", aber dem Azubi ein geduldiger Mentor, dem keine Frage zu belanglos ist.

Aber selbst wenn sich die Menschen einig werden - ein nie müde werdender Konkurrent bleibt die Maschine. Macht die Digitalisierung der dynamischen Rente nicht einen starken Strich durch die Rechnung? Abwarten, sagt Börsch-Supan. "Ganze Berufszweige werden wegfallen, andere neu entstehen." Der Maschine nur neidisch zuschauen werde der Mensch niemals.

Die 2:1-Regel wird kommen, Börsch-Supan ist ohne Zweifel. Wissenschaftler bräuchten Geduld, um die Wahrheit zu erkennen, Politiker bräuchten Zeit, um Mut für die Umsetzung zu sammeln.

Die Bismarck-Rente ist 126 Jahre alt. Reifes Eisen, nicht ohne Fehler, aber noch hat ihr keiner gekündigt.

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