Anne Wills Outing:Der schönste Coming-Out-Satz

Lesezeit: 4 min

"Ja, wir sind ein Paar!" Anne Will hat nicht nur ihre Beziehung bestätigt, sondern einen schönen Satz geprägt. Eine schwul-lesbische Historie der Coming Outs.

Jens Bisky

Manchmal scheint die Welt erfreulich in Ordnung und so wie sie sein muss, selbstverständlich normal. Etwa auf der Internetseite der Sozialdemokratin Lissy Gröner, seit 1989 Abgeordnete im Europaparlament: Sie wurde in Langenfeld/Bayern geboren, erfährt man da und ist "verheiratet mit einer Frau, zwei erwachsene Kinder". Man könnte auch bei der Berliner Grünen Sibyll Klotz nachschauen: "45 Jahre, in Berlin geboren und zuhause, langjährige Lebensgefährtin, erwachsene Tochter, promovierte Katzenliebhaberin".

Anne Wills Outing: herrlich nüchtern. (Foto: Foto: dpa)

Anne Will verrät im Netz nichts über ihr Liebesleben. Man hat die erfolgreiche Journalistin im Lauf der Jahre oft danach gefragt, sie blieb stur dabei, darüber nicht sprechen zu wollen. Privat ist privat. Da kein Mann an ihrer Seite war, wusste das Gerücht allerlei zu melden, aber wer auch sonst etwas zu sagen hat, tut gut daran, sich um Gerüchte nicht zu kümmern. Am vergangenen Wochenende ging sie gemeinsam mit der Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel ins Jüdische Museum, wo der Preis für Verständigung und Toleranz vergeben wurde. "Ja, wir sind ein Paar", sagte Will, und hat damit den schönsten deutschen Coming-Out-Satz geprägt. Er ist um einiges besser als Klaus Wowereits berühmtes, viel zitiertes, viel verballhorntes Wort: "...und das ist auch gut so."

Pathos der Nüchternheit

"Ja, wir sind ein Paar". Wer so spricht, verteidigt nicht und greift nicht an, versteckt sich nicht und drängt sich nicht auf. Es ist das Pathos der Nüchternheit, das an dieser selbstbewussten Auskunft besticht. Es hat lange gedauert, bis ein solcher Satz in Deutschland möglich war. Manche Kommentatoren haben seine menschliche Größe nicht recht verstanden. Der Bild-Kolumnist Franz Josef Wagner etwa kämpft, wie gewohnt, mit verklemmtem Männlichkeitsgetue und der deutschen Sprache: "Ich gestehe, ich guckte mehr auf Ihren Busen als auf Ihre Worte".

Die Sexualpsychologin Christine Baumanns erklärt in derselben "Zeitung", viele Frauen würden durch "große Enttäuschung mit einem Mann" lesbisch - "die Frau wendet sich bewusst von den Männern ab und findet erfüllende Liebe bei einer Frau". Damit bestätigt die "Expertin" ein altes Macho-Vorurteil: Eine Frau, die Frauen liebt, hat bloß noch nicht den richtigen Kerl getroffen.

Man kann angesichts der Bilder, auf denen Anne Will und Miriam Meckel gemeinsam lächeln, nur die Freude empfinden, die der Anblick jedes verliebten Paares auslöst. Man könnte sich an Ang Lees Film "Brokeback Mountain" erinnern, der davon erzählt, dass jede nicht gelebte, versteckte Liebe eine Welt der Ödnis, Leere, Gewalt erzeugt. Dann könnte man wieder zum Alltag zurückkehren, die Bücher Miriam Meckels lesen, die Sendungen Anne Wills anschauen.

Aber offen lesbische und offen schwule Paare in herausgehobener Stellung sind offenkundig noch eine zu junge Erscheinung. Die beruhigende Behauptung, wie selbstverständlich dies und dass es Privatsache sei, scheint nur zu bestätigen, dass es noch nicht restlos selbstverständlich und privat ist. In den kurzen Erregungen, die noch immer jedem prominenten Coming-Out folgen, versichert sich die Mehrheits-Gesellschaft ihrer eigenen Liberalität. So war es im Falle Wowereits, so war es bei Guido Westerwelle, so ist es jetzt bei Anne Will. Dieses selbstgerechte Sich-Auf-die-Schulter-Klopfen hat etwas Aufgesetztes, aber es geht im Augenblick wohl nicht anders.

Das Jahr 1983 ist noch nicht solange her, als der Vier-Sterne-General Günter Kießling ein Opfer von Spitzeleien und übler Nachrede wurde. Der Militärische Abschirmdienst informierte damals den Verteidigungsminister Manfred Wörner (CDU) über den Verdacht, der General liebe Männer. Daraufhin wurde Kießling als ,,Sicherheitsrisiko'' eingestuft und in den Ruhestand geschickt. Es war eine der widerwärtigsten Affären der alten Bundesrepublik.

Im unvorstellbar freimütigen 18. Jahrhundert besuchte einst Giacomo Casanova den großen Altertumsforscher und Schriftsteller Johann Joachim Winckelmann. Casanova trat, ohne anzuklopfen in dessen Arbeitszimmer und sah, wie Winckelmann, der ganz Europa erklärt hatte, dass Jünglinge das schönste seien, sich von einem hübschen Burschen löste und seine Hosen in Ordnung brachte. Der Junge entwich, Winckelmann erklärte lachend, er wolle sich durch Praxis über die Knabenliebe der Alten, die ihm immer unbegreiflich geblieben sei, aufklären. Er versuche es mit den Hübschesten, "aber es ist zwecklos: Wenn ich das Unternehmen beginne, non arrivo - es gelingt mir nicht".

Lebensgefährliche Liebe

Casanova berichtet davon wie von einer Kuriosität. Er erzählt eine Anekdote. Wenige Jahre später, mit dem Aufkommen des Nationalstaates und dem Siegeszug des bürgerlichen Familienmodells wurde aus der seltsamen Vorliebe ein Verstoß gegen die Natur. Wer anders liebte als die Mehrheit, galt nun als zweifelhafter Charakter. Zuerst traf es den großen Schweizer Historiker Johannes von Müller. Als dieser Napoleon pries, warfen ihm politische Gegner seine "unnatürlichen Neigungen" vor. Seitdem wurden Enthüllungen über das Intimleben zur Diffamierung genutzt. Der Journalist Maximilian Harden wollte, als er Philipp Fürst zu Eulenburg-Hardenfeld outete, die Hofkamarilla um Wilhelm II. treffen. Auf die Ressentiments der Öffentlichkeit konnte Harden vertrauen.

"Outing" wurde später ein Kampfmittel der Schwulen- und Lesbenbewegung. 1991 führte Rosa von Praunheim es in Deutschland ein. Aber es gibt wohl kein politisches Ziel, das es rechtfertigt, das Privatleben anderer Leute gegen deren Willen zu instrumentalisieren. Gewiss, man freut sich manchmal, wenn es den Richtigen trifft. So wie im Falle des republikanischen US-Senators Larry Craig, der durch homophobe Sprüche bekannt, dann aber auf einer Herrentoilette erwischt wurde, wie er Zeichen "unzüchtigen Verhaltens" gab. Aber der Triumph ist ein mieser, ein wenig wie die Verurteilung von Mafia-Bossen wegen Steuerhinterziehung. Politische Gegner soll man politisch bekämpfen, und die Polizei soll nicht auf Toiletten herumschnüffeln.

Deutschland hat sich allmählich an prominente Schwule und Lesben gewöhnt, auch wenn in manchen Firmen noch dumme Sprüche geklopft werden. Aber so liberal das Land auch ist: Derzeit schwebt mitten unter uns eine junge Frau wegen ihres Coming out in Lebensgefahr. Die Emma berichtet darüber: Yasmin K. stammt aus dem Iran, ist 31Jahre alt und lesbisch. Nach Schikanen floh sie 2006 nach Deutschland. In ihrer Abwesenheit wurde sie zum Tode verurteilt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte ihren Asylantrag ab. Das Berliner Verwaltungsgericht wies ihre Klage zurück. Nun droht ihr, die in Deutschland das Coming Out wagte, die Abschiebung in ein Land, in dem Schwule und Lesben gefoltert und hingerichtet werden. Einen Satz, wie "Ja, wir sind ein Paar", die herrliche Selbstverständlichkeit der Liebe, wird Yasmin K. mit dem Leben bezahlen.

© SZ vom 21.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: