Wahl in Frankreich:Deutschland muss Macron helfen

Präsidentschaftswahl in Frankreich

Ein Präsident Macron braucht Wirtschaftswachstum für den Erfolg. Deutschland muss ihm dabei helfen.

(Foto: dpa)

Wenn Emmanuel Macron der nächste französische Präsident wird, braucht er Wirtschaftswachstum für den Erfolg. Dafür muss auch Deutschland endlich über seinen Schatten springen.

Gastbeitrag von Joschka Fischer

Zum Jubeln ist es noch zu früh. So wie die Zeiten sind, kann noch viel passieren bis zum kommenden Sonntag, wenn die zweite, entscheidende Runde der französischen Präsidentschaftswahlen stattfindet. Nach dem unerwarteten Brexit und der ebenso unerwarteten Wahl von Donald Trump in den Vereinigten Staaten bleibt Misstrauen das Gebot der Stunde. Noch sind Marine Le Pen und ihre Nationalisten nicht endgültig geschlagen. Immerhin gibt der erste Wahlgang zu der begründeten Hoffnung Anlass, dass der nächste französische Staatspräsident Emmanuel Macron heißen wird.

Europa wäre damit noch einmal die Selbstzerstörung erspart geblieben. Eine Staatspräsidentin Le Pen dagegen würde wohl das Ende der Europäischen Union bedeuten. Der Austritt Frankreichs aus dem Euro, den sie anstrebt, würde den Zerfall der Gemeinschaftswährung auslösen, in dessen Folge auch der gemeinsame Markt und die Europäische Union nicht überleben könnten. Europa würde dadurch in einen Abgrund gestürzt, in dem wirtschaftlich, finanziell und politisch all das zerstört zu werden droht, was in den vergangenen sechzig Jahren erfolgreich und gemeinsam aufgebaut wurde.

Überdies will die rechte Kandidatin den Austritt Frankreichs aus der Nato und eine innige Freundschaft mit dem Russland Wladimir Putins, was nicht nur in Frankreich, sondern in der gesamten EU eine Finanz- und Wirtschaftskrise, verbunden mit einer ernsten Krise der äußeren Sicherheit auslösen würde. Auch die politischen Folgen einer solchen Krise sind kaum abschätzbar.

Es ist Europa insgesamt also ein Albtraumszenario - vorerst - erspart geblieben. Dies "vorerst" gilt nicht nur für die verbleibenden Tage bis zum zweiten Wahlgang am Sonntag, sondern auch für die kommenden fünf Jahre, vorausgesetzt dieser Wahlgang geht ebenfalls gut aus. Bereits heute kann und muss man aus dem Ablauf der französischen Präsidentschaftswahlen einige wichtige Schlussfolgerungen ziehen: Sollte Emmanuel Macron tatsächlich zum französischen Staatspräsidenten gewählt werden, so darf er im wohlverstandenen Eigeninteresse Europas auf keinen Fall scheitern.

Vor allem die EU-Kommission in Brüssel und die deutsche Bundesregierung müssen ein großes Interesse daran haben, dass seine Präsidentschaft ein Erfolg wird, und Frankreich aus seiner über Jahre hinweg anhaltenden Wirtschafts- und Identitätskrise herausfindet. Ein schwaches, wirtschaftlich stagnierendes, sich seiner selbst nicht mehr gewisses Frankreich ist eine akute Gefahr für das gesamte europäische Projekt, wie die derzeitige Situation und die Erfahrungen der vergangenen Jahre zeigen. Das Land würde dadurch innenpolitisch dem Nationalismus anheimfallen und so in der Konsequenz Europa scheitern lassen. Man kann zwar Europa bauen ohne Großbritannien (leider), aber nicht ohne Frankreich und Deutschland. Diese Grundregel des europäischen Einigungsprojekts galt schon bei dessen Anfängen, sie gilt auch heute noch unverändert. Im Umkehrschluss heißt das, dass für die Zukunft der EU eine starkes, selbstbewusstes Frankreich unverzichtbar ist.

Europäische Dialektik: Einheit setzt manchmal den Konflikt voraus

Auch daran, gemeinsam mit der Überwindung der inneren sozialen Spaltung und der Wirtschaftskrise und ihrer damit einhergehenden hohen Arbeitslosigkeit (vor allem Jugendarbeitslosigkeit), wird der Erfolg eines möglichen Präsidenten Macron gemessen werden. Es sei nicht vergessen, dass im ersten Wahlgang am 23. April fast die Hälfte der französischen Wähler europafeindlichen Kandidaten ihre Stimme gegeben hat. Allzu oft hält die EU solche Wahlergebnisse nicht mehr aus, ein business as usual kann und darf es nach diesen Ereignissen nicht mehr geben, wenn man nicht auf den Zerfall der Union zusteuern will.

Um erfolgreich zu sein, wird der nächste französische Präsident, werden sein Land, ebenso wie die gesamte Euro-Zone, vor allem eines brauchen: Wirtschaftswachstum. Berlin wird nach der nächsten Bundestagswahl im Herbst deshalb endlich über seinen Schatten springen müssen. Oder will man den Nationalisten und den Zerstörern der EU sehenden Auges das Feld überlassen?

Gewiss, Deutschland hat mit der Höhe der Staatsverschuldung und der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit durchaus gute Argumente, die sich aber als nicht zureichend erwiesen haben, um in der Euro-Zone das nötige Wirtschaftswachstum anzuschieben und die Gemeinschaftswährung endlich dauerhaft zu stabilisieren. Dazu wird es innerhalb der Euro-Zone eines neuen Konsenses zwischen Nord- und Südeuropa bedürfen, der von Frankreich und Deutschland gemeinsam vorangebracht werden muss.

Schicksalsgemeinschaft Europa

Allerdings wird dies auch bedeuten, dass die Bundesregierung - endlich - entscheidende Schritte auf die französische Seite zugeht und endgültig von der Illusion Abschied nimmt, die EU habe unter alleiniger deutscher Führung eine Zukunft. Nur gemeinsam in einem starken deutsch-französischen Tandem lässt sich dieses komplizierte Europa gemeinsam und zusammen mit weiteren Mitgliedstaaten führen und fortentwickeln. Auch das ist eine der wichtigen und bleibenden Lektionen dieser Wahl.

Die Überwindung der inneren Spaltung der Euro-Zone ist deshalb eine Grundvoraussetzung für die Zukunft des europäischen Projekts; sie wird ganz entscheidend von Frankreich und Deutschland abhängen. Emmanuel Macron wird dabei unbedingt die Falle vermeiden müssen, in die seine Vorgänger Nicolas Sarkozy und François Hollande getappt sind: Sie zeigten zu große Nähe zu Angela Merkel und riskierten zu wenig Konflikte mit der Bundeskanzlerin, auch dort, wo ein solcher Konflikt unvermeidbar und in der Sache geboten war.

Die These sei gewagt: Mit einem ernsthaft ausgetragenen deutsch-französischen Konflikt um Euro-Bonds - also Staatsanleihen, hinter denen alle Staaten der Euro-Zone stehen und für die damit auch die Bundesrepublik Deutschland haften müsste - stünden die Nationalisten von rechts wie links heute wesentlich schlechter da. Einheit setzt manchmal Konflikt voraus, und ohne solche Dialektik ist die Europäische Union kaum zu begreifen.

Es erweist sich in diesen Tagen der französischen Präsidentschaftswahlen des Frühjahrs 2017, dass das hehre Wort von der "Schicksalsgemeinschaft" Europa nach sechzig Jahren eben doch der Realität entspricht. Am Sonntag wird in Frankreich nicht nur über das Schicksal des Landes sondern auch über das der gesamten EU entschieden.

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