International agieren, lokal bewegen:Der Breitband-Schorsch

Georg Linsinger ist Biologe, Unternehmer und Gemeinderat. Und er denkt lieber etwas weiter voraus. So bewirkte er, dass Icking beim Ausbau des schnellen Internets die Nase ganz weit vorne hat.

Von Claudia Koestler

Mehr als vier Jahre dauerten Planungen und Verhandlungen, doch nun ist der Breitbandausbau in Icking in vollem Gange - und die Isartalgemeinde sichert sich den Status als Pilotkommune. Die rund 3600 Einwohner werden nicht nur die ersten der Region mit einem eigenen Glasfasernetz sein, das obendrein bis ins Haus verläuft für Bandbreiten von 200 Megabit pro Sekunde samt Ausbaureserven. Als bayernweit erste Gemeinde gelang es Icking zudem, für ein kommunales Netz eine Förderung vom Freistaat durchzusetzen. Zu den 6,6 Millionen Euro Baukosten steuert der Freistaat rund 460 000 Euro zu. "Das verdanken wir ganz wesentlich der Ickinger Breitbandinitiative", erklärte Bürgermeisterin Margit Menrad (UBI) beim Spatenstich. Diese Initiative wiederum geht wesentlich auf einen Mann zurück: Georg Linsinger, Biologe, Unternehmer, Gemeinderat und Querdenker.

Inzwischen bitten ihn internationale Medien um Interviews. Kommunen fragen um Hilfe, wie man solch ein Projekt zum Erfolg führt. Dabei ist ihm die Bühne, zumal die politische, gar nicht recht: "Eigentlich agiere ich lieber im Hintergrund", sagt er. Was er nicht sagt: Längst ist er es gewohnt, Welten zu verbinden. Als international agierender Geschäftsmann verknüpft er die Biologie mit der Kapitalseite. In seiner Heimat setzt er sein Wissen ein, um die Lebensqualität im Isartal zu verbessern. Für die Fauna durch mehr Biodiversität, für die Einwohner durch den gezielten Einsatz von Mikroorganismen, die auf natürliche Art die Bürger vor Geruchsbelästigung schützen. Und nun eben die schnellstmögliche Anbindung an das weltweite Netz.

Linsinger reizt die Möglichkeit, seine Heimat zu gestalten. Der großgewachsene Blondschopf mit den intensiven Augen ist ein alteingesessener Ickinger, was man durch sein hochdeutsches Idiom nicht sofort hört. Sein Engagement fußt auf der Verbundenheit mit der Gemeinde: "Ich bin hier aufgewachsen, in Dorfen in den Kindergarten gegangen und dann ins Ickinger Gymnasium", sagt der 49-Jährige, der im Haus seiner Eltern in Attenhausen lebt. "Als Kinder waren wir nur draußen unterwegs, im Sommer am Eissee oder in den Wäldern, im Winter haben wir an der Loipe Schnaps an Langläufer verkauft", erinnert er sich. Nach der Bundeswehr studierte er ein Semester Elektrotechnik, ehe er in München einen Studienplatz für Biologie ergatterte.

700 für Icking

Beim Spatenstich schaufelte Finanzminister Markus Söder (Mitte) mit.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Er entschied sich für die Fachrichtung Mikrobiologie und promovierte im Anschluss in Immunologie. Dann der Wechsel: "Ich ging nach Berlin und habe einen Master of Business draufgesattelt, denn Naturwissenschaftler haben oft null Ahnung von Zahlen. Das fand ich aber wichtig, zumal damals die Biotechnologie aufkam." Zurück in München heuerte er bei der Hypo-Vereinsbank an und durchlief deren Trainee-Programm, ehe er für die Finanzierungen für Technologiefirmen verantwortlich zeichnete.

"Für reine Banker ist es oft schwierig, die Tragweite von Projekten und Neuerungen in der Biotechnologie einschätzen zu können", sagt Linsinger. Er konnte beide Welten zusammenführen: "Ich verstehe mich als Bindeglied zwischen Wissenschaft und Kapitalseite. Weil ich quasi beide Sprachen spreche." Nach sechs Jahren wagte er den Schritt in die Selbständigkeit: "Ich habe Technologietransfers gemacht für wissenschaftliche Institutionen wie das Max-Planck-Institut, um Teams zusammenzubringen, Business-Pläne zu schreiben und zu finanzieren." Inzwischen ist er Geschäftsführer zweier eigener Firmen, der MED selekt und der Pagellus GmbH, und er ist als Berater unterwegs. "Ich hätte auch CFO werden können, aber das wäre nicht mein Ding. Irgendwann kommt eben der Revoluzzer durch, der ich auch ein bisschen bin", sagt er. Viele definierten Karriere als "mehr Geld verdienen und Führung übernehmen. Ich sehe Karriere eher als Selbstbestimmtsein, das ist mir wichtiger als mehr Geld".

Der 2006 gestorbene Ickinger Bürgermeister Hubert Guggenmos war es, der Linsinger zum Engagement für die Gemeinde bewegte und in die Politik brachte. "Ein Gemeinderat ist für mich dazu da, Impulse zu geben und mehr zu gestalten als eine Verwaltung." Zunächst aber agierte Linsinger als UBL-Vorsitzender eher hinter den Kulissen, etwa, als er vor zehn Jahren ein im wahrsten Sinne des Wortes anrüchiges Problem in Icking löst: Immer wieder lag über der Isartalgemeinde ein übler Gestank, der aus den Abwasserleitungen stammte. Andernorts werden Nitrat und Eisen-III-Salze zugeführt, mit erheblichen Nebenwirkungen für Leitungen und Umwelt. Der Biologe Linsinger experimentierte stattdessen mit effektiven Mikroorganismen - die umweltverträgliche Lösung bewährte sich. Seither züchtet die Gemeinde im Sommer pro Woche 1000 Liter Bakterienlösung und leitet die in den Kanal. So wird seit zehn Jahren auf natürliche Art das Geruchsproblem in Schach gehalten. Groß ist auch sein Einsatz für die Insekten. "Wir müssen die Bienen retten!", sagt der 49-jährige Macher eindringlich. Waren Bienen noch überall, als er als Kind über die Wiesen lief, gebe es nun kaum noch welche. Auf seinen Vorschlag hin beschloss der Rat deshalb, Blühstreifen auf öffentlichen Flächen zu schaffen und den Kreisverkehr so zu gestalten, dass Insekten einen Lebensraum haben. In seinem Garten hat er ein "Schlampereck" eingerichtet, wo grünen und blühen darf, was will.

International agieren, lokal bewegen: Georg Linsinger sät Pflanzen, die Insekten helfen. Er initiierte auch die Breitband-Initiative

Georg Linsinger sät Pflanzen, die Insekten helfen. Er initiierte auch die Breitband-Initiative

(Foto: Hartmut Pöstges)

Als Unternehmer mit Wohnsitz in einem kleinen, ländlichen Weiler der Gemeinde Icking waren Grenzen schnell erreicht: "Das Runterladen von Dateien ging ja noch, aber das Raufladen! Ich hatte maximal zwei bis drei Mbit rein, 0,2 raus", erinnert er sich. Zeitweise fuhr er lieber zu einem Freund nach Wolfratshausen, um dort den E-Mailverkehr zu erledigen, als zu Hause am Rechner wartend Däumchen zu drehen. Als der Gemeinderat 2012 beschloss, an der Förderung zum Breitbandausbau teilzunehmen und Linsinger 2014 in den Gemeinderat gewählt wurde, reifte der Entschluss, eine Bürgerinitiative zu gründen. "Die Förderung war einfach ein bürokratischer Wahnsinn", erinnert er sich. Ein weiterer Auslöser war, als er von Ickinger Unternehmen erfuhr, die außerhalb der Ortschaft ansässig sind, dass sie null Nutzen der Förderung gehabt hätten. "Manche Bereiche Ickings wären komplett außen vor gewesen, große Teile Irschenhausens etwa, Attenhausen, Walchstadt, Wadlhausen. Das fand ich doof", sagt er. Er befürchtete, "dass wir alle naselang nachjustieren hätten müssen".

Dass die Kommune die Infrastruktur eines alten Staatsunternehmens aufrüsten sollte, obwohl das Netz danach der Telekom gehören würde, war für ihn ein weiteres Argument. Linsinger fand für seine Breitbandinitiative schließlich mehr als 900 Mitstreiter, dazu auch Fachleute: Ein Jurist und einen Wirtschaftswissenschaftler, der für ein kommunales Netzes die Wirtschaftlichkeit berechnen konnte. So wurde aus der Idee vom eigenen Netz eine konkrete Alternative, für die sich erst die Mehrheit der Bürger und dann auch die Gemeinderäte entschieden. Doch ohne Gegenwind geht es nicht: "Natürlich gibt es Kritik am Projekt, teils massive", weiß Linsinger. Insbesondere die Ickinger SPD moniert Kostensteigerungen. "Aber wir können auch damit ganz gut fahren. Es ist ein Projekt für unsere Infrastruktur, mit dem wir in den kommenden Jahrzehnten gut aufgestellt sein werden und nicht nachjustieren müssen, so wie es andernorts sein wird", ist Linsinger überzeugt.

Natürlich sei das alles "ein Haufen Arbeit" gewesen. Aber es zeige eben auch, "man kann etwas bewegen". Dafür ist Linsinger auch gern "der Breitband-Schorsch", wie er inzwischen manchmal im Ort genannt wird. Oder eben der Bienen-Schorsch. "Aber ich will eben die Heimat nutzen", sagt er und fügt mit Augenzwinkern an: "Ich könnte auch frei nach Achternbusch sagen: Diese Gegend hat mich kaputt gemacht und ich bleibe solange, bis man ihr es anmerkt."

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