Werbung für die Kleinen:So dreist ködern Lebensmittel-Konzerne Kinder

Kind spielt mit Smartphone

Mit Onlinespielen und Geschenken versuchen Unternehmen, gezielt Kinder anzusprechen.

(Foto: picture alliance / dpa)
  • Unternehmen werben im Internet gezielt um Kinder. Etwa 60 Prozent der Online-Lebensmittelwerbung richtet sich an den Nachwuchs, zeigt eine Untersuchung.
  • Die Firmen verstecken ihre Werbebotschaften in bunten Online-Spielen, Malbüchern oder Bastelanleitungen. Die Kinder sollen so möglichst früh zu Kunden werden.

Kristiana Ludwig, Berlin

Er ist ein "Abenteuer", dieser Dschungel, durch den man hüpfen kann. Außerdem gibt es einen Astronautenausweis zum Selbermachen und blaue Schlumpf-Figuren mit Zipfelmützen, deren Bilder man behalten darf - sofern man einen Fruchtsaft der Marke Punica kauft. Denn dieses Online-Spiel mit dem Namen "Jungle Jump" ist vor allem eins: Werbung, die sich gezielt an Kinder richtet. Und die funktioniert im Internet häufig wie ein Spiel oder eine bunte Bastelwelt.

Hersteller von zu süßen, zu fettigen oder zu salzigen Lebensmitteln lotsen ihre minderjährige Kundschaft immer öfter über soziale Medien zu ihren Angeboten, hat Tobias Effertz von der Universität Hamburg im Auftrag des AOK-Bundesverbands herausgefunden. Er hat die Online-Vermarktung von 301 Lebensmitteln untersucht. Mehr als 60 Prozent der Werbung richte sich gezielt an Kinder, sagt er. Obwohl viele europäische Lebensmittelunternehmen zugesagt haben, auf genau diese Strategie zu verzichten.

Doch statt sich an diese EU-Selbstverpflichtung zu halten, hätten viele Unternehmen ihr Online-Marketing in den vergangenen vier Jahren noch intensiviert. Sie nutzten nun Plattformen wie Facebook, Twitter, Instagram, Pinterest, Spotify oder YouTube, um Kinder zu erreichen. So wirbt zum Beispiel der Tütensaft Capri Sonne dort mit Superhelden-Comics, zum Keks der Marke Prinzen Rolle bietet der Hersteller auf Facebook ein Malbuch zum Download an. Andere Firmen bieten hier gratis Wallpaper oder E-Cards. Laut der Hamburger Studie haben besonders die Unternehmen der EU-Selbstverpflichtung im Vergleich zu 2012 ihre Facebook-Likes verfünffacht.

Eine andere Methode der Lebensmittelunternehmen sei es laut Effertz, die Eltern in ihre Werbung einzubeziehen, so wie etwa die Fastfood-Kette Mc Donalds mit ihrem "Family Day". Einen ähnlichen Ansatz hat das Prinzip der "Advercation", also des Werbens (Advertising) und Bildens (Education). Der Müsli-Hersteller Kellogg's informiert auf seiner Webseite etwa mit wissenschaftlich anmutenden Texten über "gesunde Ernährung" und "das Gute aus Getreide". Im Mittelpunkt stehen dabei natürlich die eigenen gezuckerten Frühstücksflocken. Zwar ist die Werbung mit "Gesundheit" per EU-Verordnung verboten. Kinderwerbung nutze aber eine "weichere Gesundheitsbetonung", sagt Effertz, und erkläre etwa die Vorzüge von Milch. Er fordert deshalb ein gesetzliches Verbot dieses Kinder-Marketings.

Auch der Präventionsbeauftragte Kai Kolpatzik vom AOK-Bundesverband nennt ein Werbeverbot eine "zentrale Stellschraube, an der von der Politik gedreht werden muss". Rund 18 Prozent der Elf- bis 17-Jährigen in Deutschland seien übergewichtig. Der Kassenverband wolle sich deshalb nun auch verstärkt für eine Reduktion von Zucker in Lebensmitteln einsetzen.

Die Politik will nur eingreifen, wenn keine andere Lösung gefunden wird

Ernährungsminister Christian Schmidt (CSU) sieht dagegen derzeit noch keinen Anlass für ein Werbeverbot. In seinem politischen Grünbuch schrieb er im vergangenen Dezember, er wolle sich "mit den Wirtschaftspartnern auf selbstverpflichtende, verifizierbare Regelungen zur Werbung von und mit Kindern unter zwölf Jahren verständigen". Nur falls zwischen Produzenten, Handel und Verbrauchern keine ausreichenden Lösungen gefunden werden, kämen "regulative Eingriffe" in Frage.

Die europäische Selbstverpflichtungsinitiative gibt sich in ihrem letzten Jahresbericht (PDF) unterdessen ein positives Zeugnis. Von 250 untersuchten Webseiten genügten nur 13 nicht den vereinbarten Kriterien zum Verzicht auf Kinderwerbung, heißt es darin. Tobias Effertz sagt, gerade diese Kriterien seien der Grund, aus dem die Universität Hamburg zu einem ganz anderen Ergebnis komme. Die angesprochene Altersgruppe und die Nährwertgruppe würden hier anders definiert, oder der direkte Bezug der Onlinespiele zum Lebensmittel bestritten. So enstünden "Hintertüren", um sich nicht an Abmachungen halten zu müssen. "Das Phänomen des Kindermarketings ist so nicht abgedeckt", meint er.

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