Müll-Kreislauf:Das deutsche Recycling-Märchen

Deutschland feiert sich als Recycling-Meister - doch Experten halten die offiziellen Angaben für Augenwischerei. Einige nennen die Fixierung aufs Recycling sogar umweltschädlich.

Von Christoph Behrens

Zehn Dinge hält Thomas de Maizière für besonders deutsch. Dazu zählen etwa Bildung und Erziehung, wie er in der Bild am Sonntag sagt, außerdem der Leistungsgedanke ("hat unser Land stark gemacht") und eine besondere Haltung: "Wir sagen unseren Namen. Wir geben uns zur Begrüßung die Hand." Einen Satz hat der Innenminister aber offenbar vergessen. Er lautet: "Wir trennen unseren Müll."

Kaum etwas ist so deutsch wie Mülltrennung und Recycling, und im Gegensatz zu de Maizières anderen Thesen ist das ziemlich gut belegt. Mit dem Grünen Punkt hat Deutschland 1991 das erste System erfunden, das aus gebrauchten Verpackungen neue Rohstoffe gewinnt. Mittlerweile werden laut der Europäischen Umweltagentur EEA zwei Drittel des Haushaltsmülls in Deutschland recycelt, Rekord in Europa. Das Bundesumweltministerium kommt gar auf eine Recycling-Quote von rund 80 Prozent, gewerblicher Müll und Industrieabfälle eingeschlossen. All diese Mengen, insgesamt mehr als 200 Millionen Tonnen pro Jahr, werden also in irgendeiner Form noch mal verwertet und landen nicht auf einer Deponie.

Deutschland schmeißt weg - ein Schwerpunkt

Mehr als 45 Millionen Tonnen Haushaltsmüll wandern in Deutschland jedes Jahr in die Tonne. Zwar wird ein Teil davon recycelt, die Statistik aber zeigt: Der Müll in Deutschland wird nicht weniger, im Gegenteil: Wir schmeißen immer mehr weg. Ist das ein Problem? Alle Texte zum Thema finden Sie hier.

Bei näherem Hinsehen erscheint Deutschlands angeblich so hohe Recycling-Quote aber fragwürdig. Thomas Obermeier, der ehemalige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Abfallwirtschaft (DGAW), nennt die offiziellen Zahlen "Augenwischerei". Statt der angepeilten Quoten hält die DGAW eher eine Recycling-Quote von 31 bis 41 Prozent für realistisch. Diese Sicht teilt auch der Rat für nachhaltige Entwicklung in einem Bericht für die Bundesregierung und begründet sie mit der Methode, wie die Quote ermittelt wird. Entscheidend ist die Menge an Müll, die in eine Recycling-Anlage hineingeht - was diese aber aus dem Müll macht und wie effizient das funktioniert, spielt für die Statistik keine Rolle. Tatsächlich sind die Verluste beim Recycling sehr hoch:

  • In der Gelben Tonne landen in Großstädten bis zu 50 Prozent "Fehlwürfe", beispielsweise Hausmüll statt Verpackungen. Mit diesem Material können Sortieranlagen nichts anfangen. Die Fehlwürfe werden aussortiert und anschließend meist verbrannt, zählen aber ebenfalls in der Statistik als "recycelt".
  • Auch Kunststoffgemische sind problematisch. "Der Anteil der stofflichen Verwertung von Plastikabfällen liegt bei etwa zwölf Prozent", heißt es in dem Bericht des Nachhaltigkeitsrats. Der Rest wird nach China exportiert oder in Müllverbrennungsanlagen gebracht. Auch diese Menge zählt zur offiziellen Recycling-Quote dazu, weil sie eine Recycling-Anlage durchläuft.
  • Aus gesammelten Einweg-Plastikflaschen entstehen äußerst selten neue Behälter. Dies ist auf den "PET Cycle" beschränkt, einem Recycling-System für PET-Einwegflaschen. Dieses System steht jedoch in der Kritik, da es mit wiederbefüllbaren Mehrwegflaschen konkurriert. "Für jedes Getränk muss eine neue Verpackung produziert werden, die oft nach wenigen Zügen ausgetrunken ist und damit Abfall wird", kritisiert die Verbraucherzentrale.
  • Recht gut funktioniert dagegen das Recycling von Glas oder Papier, hier liegt die reale Recycling-Quote bei etwa 80 Prozent.
  • Mechanisch-biologische Aufbereitungsanlagen, die beispielsweise Hausmüll trennen, gewinnen vor allem Metalle zurück. Im Hausmüll enthaltener Kunststoff oder Papier ist häufig so verunreinigt, dass er nur noch als Brennstoff taugt.

Das Fazit des Umweltwissenschaftlers Henning Friege, der den Report des Nachhaltigkeitsrats erarbeitet hat, ist ernüchternd: "Der Kreislauf ist bei vielen Abfällen nur Fiktion". Die Rhetorik der Abfallwirtschaft erinnere angesichts der Fakten "an H. C. Andersens Märchen von des Kaisers neuen Kleidern".

Wo Kunststoff tatsächlich erneut für die Herstellung genutzt wird, entstehen eher qualitativ bescheidene Produkte wie Parkbänke oder Blumenkübel. Für Lebensmittelverpackungen sind die Anforderungen an die Hygiene dagegen häufig zu streng, als dass alter Kunststoff von unklarer Qualität in Frage kommt. Daher kommen Plastikverpackungen eher als Brennstoff zum Einsatz. "Würde man all das aus der Recyclingquote herausrechnen, lägen wir deutlich unter dem, was die EU fordert", sagt Ludolf Ernst, Geschäftsführer der DGAW. Der Experte schlägt vor, sich statt auf die Erfüllung einer Quote darauf zu konzentrieren, "was man aus dem Material am Ende macht" - also möglichst hochwertige neue Produkte aus dem Abfall herzustellen.

Das Recycling verschleiert ein tieferes Problem

Fakt ist also: Derzeit wird deutlich mehr Abfall verbrannt, als die Statistik auf den ersten Blick nahelegt. Es ist unklar, ob sich daran mit dem geplanten Verpackungsgesetz etwas ändert, das nur noch vom Bundesrat gebilligt werden muss. Es legt beispielsweise fest, dass die Recycling-Quote für Kunststoffverpackungen von heute 36 Prozent bis 2022 auf 63 Prozent steigen muss. Bei Verbundverpackungen, Glas, Papier und Blech will die große Koalition sogar eine Quote von 90 Prozent erreichen. Allerdings verschleiern die Zahlen ein tieferliegendes Problem: Die Müllmenge selbst wächst in Deutschland immer weiter. Nur Dänen und Schweizer produzieren im europäischen Vergleich pro Kopf mehr Müll. Die Niederlande oder Großbritannien konnten die Müllmenge pro Kopf seit 2004 sogar merklich reduzieren, in Deutschland fällt dagegen heute mehr Verpackungsmüll an, jährlich 220 Kilogramm pro Kopf.

"Das Verpackungsgesetz stützt sich nur aufs Recycling", sagt Philipp Sommer, Spezialist für Kreislaufwirtschaft der Deutschen Umwelthilfe. "Dabei ist das eigentliche Problem der irre Ressourcenverbrauch."

Laut der sogenannten Abfall-Hierarchie hat die Vermeidung von Müll oberste Priorität. Es folgt die Wiederverwendung von Stoffen, zum Beispiel, wenn eine Glasflasche gereinigt und neu befüllt wird, statt sie einzuschmelzen. Erst an dritter Position steht das Recycling. Dazu zählt etwa das Pressen von Plastikmüll zu Ballen, die der Industrie erneut als Ressource dienen. An vierter Stelle liegt schließlich das Verbrennen von Müll, am wenigsten erwünscht ist die Deponierung. "Bei der Vermeidung und der Wiederverwendung passiert momentan gar nichts, da müssten wir aber aus ökologischer Sicht hin", sagt Sommer. Die Sorge der Umweltschützer ist, dass die Bürger einfach unbeschwert alles wegwerfen, weil ihnen ständig suggeriert wird, dass der Müll wiederverwendet werde.

Bundesländer kritisieren das geplante Gesetz scharf

Auch der Bundesrat, der am 12. Mai zum geplanten Verpackungsgesetz berät, sieht dieses kritisch. Es wäre sogar möglich, dass der Bundesrat das Gesetz ganz blockiert und zunächst an den Vermittlungsausschuss verweist. So zumindest verlangt es der Umweltausschuss der Länderkammer. Die Bundesländer fordern etwa eine deutlichere Kennzeichnung von Einweg- und Mehrwegverpackungen, an der sich Verbraucher orientieren können. Mehrweg bedeutet, dass die Flaschen tatsächlich erneut befüllt werden - und nicht erst geschreddert, wie beispielsweise PET-Einwegflaschen. Laut einer Ökobilanz des Heidelberger IFEU-Instituts sind Mehrwegflaschen durchweg umweltfreundlicher als ihr Einweg-Pendant. Laut derzeitigem Entwurf müssen Händler künftig aber nur in der Nähe ihrer Regale darauf hinweisen, wenn darin Einwegflaschen stehen. Eine verpflichtende Mehrweg-Quote fehlt im Gesetz vollständig.

Thomas Pretz, Leiter des Instituts für Aufbereitung und Recycling an der RWTH Aachen, bezweifelt allerdings, wie viel Einfluss der Gesetzgeber tatsächlich darauf hat, welche Verpackung sich durchsetzt. "Das ist politisches Wunschdenken, die Abstimmung findet beim Konsumenten statt." Bereits die erste Verpackungsverordnung vor 25 Jahren habe es sich zum Ziel gesetzt, die Müllmenge zu reduzieren - bis heute ohne Erfolg. Allerdings habe sie bestimmte Techniken überhaupt erst ermöglicht: "Die Technologie zum Kunststoffrecycling haben wir nur der Verpackungsverordnung zu verdanken", sagt Pretz.

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