Luther-Jahr/500 Jahre Reformation:Zwei Reiche

Luther-Denkmal in Eisleben

Luther-Denkmal in Eisleben

(Foto: ZB)

Auf der Wartburg über Eisenach entstand die Bibelübersetzung, dann ein nationaler Kult. Nun läuft dort die Jubiläumsausstellung "Luther und die Deutschen".

Von Willi Winkler

Merkwürdigerweise hat es Walter Grundmann nicht in die Ausstellung geschafft. Weit ist der Weg von Eisenach bis auf die Wartburg nicht, sechzehn Minuten mit Bus oder Auto, auch zu Fuß nur eine Dreiviertelstunde, und ein bisschen mehr Lokalkolorit hätte nicht geschadet. Doch die zweite "Nationale Sonderausstellung", die im Zeichen des Hammers "Luther und die Deutschen" in engere und fernere Beziehung setzen will, hat diesen eminenten protestantischen Theologen leider übergangen.

In Eisenach, in der Stadt am Fuße der Wartburg, wo Martin Luther gut vierhundert Jahre zuvor das Neue Testament übersetzt hatte, wurde 1939 mit Grundmann als wissenschaftlichem Leiter ein höchst akademisches "Institut zur Erforschung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben" gegründet. Dass dieser Einfluss gleich "beseitigt" werden sollte, führte das Unternehmen nur kurz im Schild, ging aber dann umso tatkräftiger ans Werk. Luthers Übersetzung, noch von Bert Brecht gerühmt und ausgebeutet, war mit einem Mal zu jüdisch, sein Paulus zu rabbinisch, ganz einfach undeutsch. "Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei", wie Luther noch in einer frühen Schrift zur Verteidigung der Juden gegen die allfälligen Repressionen geschrieben hatte, sollte mit allen philologischen Mitteln aus dem Bewusstsein verbannt werden, Christus zu einem Vorläufer der arischen Rasse umgeschaffen und auf die Höhe der Zeit gebracht werden. Grundmann selber hatte den Plan programmatisch in seiner Schrift "Die Entjudung des religiösen Lebens als Aufgabe deutscher Theologie und Kirche" verkündet.

Auch der Zweite Weltkrieg wurde mit Luther zum "Werk der Liebe" erklärt

Grundmann war nicht der einzige Theologe, den es auf diese keineswegs einsame Höhe drängte. Heinrich Bornkamm, geachteter Lehrer im Nachkriegsdeutschland und Professor für Kirchengeschichte in Heidelberg, gab 1940 für den Tornister der siegreich nach Frankreich marschierenden Soldaten Luthers Schrift "Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein können" heraus. Der Krieg sei ein "Werk der Liebe", wehrkraftertüchtigte der gottesgelahrte Bornkamm, und deshalb dem Christen geboten. Für 20 Pf., "ab 100 Stück 18 Pf., ab 1000 Stück 16 Pf." lieferte Bornkamm damals zeitgemäße Haltung und wusste sich eins mit Luther. "Luther gab mit dieser Schrift dem oft verachteten Soldaten=(Söldner=)Stande eine neue Ehre und legte den Grund zu der Verbindung von Mut und Demut, die in der Geschichte des deutschen Heeres lebt."

Aber wie deutsch war Martin Luther überhaupt? Kein Tropfen deutschen Bluts sei in ihm, schmähte ihm 1549 sein Widersacher Johannes Cochläus nach, konnte aber nicht verhindern, dass der drei Jahre zuvor verstorbene Reformator noch vor jeder deutschen Nation zum nationalen Heros aufstieg. Zu Lebzeiten hatte Lucas Cranach mit seiner Werkstatt das Bild des Mönchs, des Theologen, des Predigers und Ehemanns tausendfach in die Welt getragen. Am Ende steht Erich Honecker, der 1978 mit der Amtsgewalt des Staatsratsvorsitzenden Martin Luther zu "einem der größten Söhne des deutschen Volkes" ernannte und nebenbei zum ideellen Staatsgründer der allerdings weitgehend atheistischen DDR.

Bei aller Hegel'schen Letztbegründung bedurfte gerade die DDR solcher Umwidmungen. Nach der Wartburg, wo sich die Burschenschaftler bei Fackelschein und frohen Gesängen deutscher Art und Größe versicherten, musste ja auch der ostdeutsche Staatswagen heißen. Deshalb ist die Wartburg auch der passende Ort für die Rekonstruktion der Luther-Werdung, die sonst auf Erfurt (Klostereintritt), Wittenberg (95 Thesen) und Worms (Auftritt vor dem Kaiser) verstreut wäre.

Die "volle Wucht der Reformation" verspricht der Werbe-Jingle des Gedenkjahrs, einprägsam um die Internetadresse www.3xhammer.de und den legendenhaften Hammer gruppiert, den Luther wohl niemals führte. Seit dem 19. Jahrhundert ist er aber nationaltheologisches Accessoire. Ohne ihn, ohne das Image, das Ferdinand Pauwels 1872 gleich nach der Reichsgründung in Öl festhielt, fehlte es dem 500. Reformationsjubiläum offenbar an der vollen Wucht. Zum Ausgleich grübelt es von der Stellwand, warum man "wider besseres Wissen auf ein überholtes Motiv" zurückgreife. Ja, warum eigentlich?

Die Wartburg, auf der sich Luther eingekerkert fühlte, wo er nicht bloß mit dem Wort Gottes, sondern, so berichtete er, auch mit dem Teufel rang, wurde zum symbolischen Ort nationaler Einigungssehnsucht. Die Burschenschaften feierten hier den Sieg über Napoleon, und mit vereinten Kräften wurde die Burg restauriert. Der Märchendichter Ludwig Bechstein schickte eine Spende, die ursprünglich mit Holz von jenem Buchenstamm gerahmt war, der im Mai 1521 Zeuge ward, als der auf dem Reichstag vom Kaiser gebannte Luther bei Altenstein von Soldaten seines treuen Kurfürsten entführt und zu seinem Schutz auf die Wartburg verbracht wurde. Ein Mythos braucht nicht anders als die Religion seine Gläubigen. Moritz von Schwind malte den Sängerkrieg, Richard Wagner gab die schwellende Musik dazu, Luther wurde Vorläufer, Propagandist und Bewahrer eines nicht ganz tausendjährigen deutschen Reiches.

Auf der Wartburg bekam Luther im 19. Jahrhundert eine Kanzel, von der er nie gepredigt hatte, eine Stube, in der bis auf einen versteinerten Walfischknochen nichts mehr von Luther stammte, aber vor allem erhielt er den Nimbus des Reichseinigers, Seit' an Seit' mit dem preußischen Kirchenkämpfer Bismarck.

Die Ausstellung kann davon naturgemäß nur wenig zeigen. Ein paar Reichsinsignien, der Baseler Druck der 95 Thesen, ein Ablasszettel und die Bannandrohungsbulle müssen helfen, Anlass und Ausgangspunkt der Reformation zu illustrieren; für mehr wären die engen Burgräume auch zu klein. Das Luther'sche Bildmotiv "Gesetz und Gnade" konkurriert mit Caspar David Friedrichs Bild von Huttens Grab, mit Untertassen mit der Aufschrift "Ein feste Burg ist unser Gott", mit einem Modell einer der vielen Luther-Kirchen. Als Österreich 1938 heim ins Reich kommen sollte, blinkte hoch oben auf dem Burgfried statt des Kreuzes für drei Tage das zeitgemäße Hakenkreuz.

Der Weg hinab von der Burg wird zum Trimm-dich-Pfad protestantischen Deutschtums

Schon der amerikanische Journalist William Shirer sah eine Kontinuität von Luthers antijüdischen Schriften zum Dritten Reich. Während dessen Machthaber sich wenig um Religionsdinge scherten, wetteiferten die Deutschchristen darum, wer es deutschnationaler konnte. Diese Lutheraneignung findet ihren schaurigen Höhepunkt im letzten Raum, den die Ausstellungsmacher höllenrot grundiert haben. Bereits 1933 gab der aus Eisenach stammende sächsische Landesbischof Friedrich Coch die Parole aus "Mit Luther und Hitler für Glauben und Volkstum!" Der thüringische Bischof Martin Sasse lieferte fünf Jahre später zur Reichspogromnacht die historische Einordnung. Die Synagogen hätten zu Luthers Geburtstag gebrannt, der, "getrieben von seinem Gewissen, (...) der größte Antisemit seiner Zeit geworden ist, der Warner seines Volkes wider die Juden".

Eine ideologische Auseinandersetzung mit dem, was an Luther womöglich besonders deutsch ist, traut sich die von Marc Höchner kuratierte Ausstellung dann aber lieber nicht zu. Wie weit ist es von Luthers trotzigem "Hier stehe ich, ich kann nicht anders" (wenn er es gesagt hat) zum Terroristen Holger Meins, der sich mit dem Spruch "Entweder Schwein oder Mensch/ Entweder überleben um jeden/ Preis oder Kampf bis zum Tod" tatsächlich bis zum Tode hungerte? Schließlich war auch Luther bereit gewesen, in den Tod zu gehen, als er 1521 auf den Reichstag nach Worms geladen wurde.

Der Weg hinab von der Wartburg ist ein lutherischer Trimm-dich-Pfad durch die nationale Selbstvergewisserung. In bestem historisierenden Öl malten Ferdinand Pauwels und Paul Thumann einen zwar nicht unbedingt historischen, aber sehr deutschen Luther: Luther als Grübler, Luther als Thesenanschläger, Luther vor dem Kaiser, Luther auf der Wartburg, Luther als Bibel-Übersetzer.

Und Grundmann? Er folgte seiner ganz eigenen Zwei-Reiche-Lehre, mit der Martin Luther den Protestantismus auf deutschem Boden verankerte. Lange nach Grundmanns Tod 1976 wurde bekannt, dass er seine kirchliche Laufbahn nach dem Ende des Dritten Reiches fortsetzen und nebenberuflich als Informeller Mitarbeiter für das Ministerium für Staatssicherheit wirken konnte. Diese war so lebhaft an Nachrichten aus dem gesamtdeutschen Kirchenraum interessiert, die Grundmann zuverlässig lieferte, dass man ihn pensionssteigernd zum Kirchenrat erhob. Alles, was er getan habe, rechtfertigte sich Grundmann in schönstem Luther-Deutsch, habe er aus "Liebe zu Jesus" getan. Aber war nicht auch Jesus Deutscher?

Luther und die Deutschen. Wartburg, Eisenach, bis 5. November. Der (im Unterschied zur Ausstellung) sehr informative Katalog kostet 29,95 Euro. Info: www.wartburg.de

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