Deutsche Bahn:Das S-Bahn-Chaos wäre leicht zu verhindern gewesen

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Das hochsensible Münchner S-Bahn-System ist gerät immer wieder aus dem Takt. (Foto: dpa)
  • Ein Brand in einem Technik-Raum verursachte am Donnerstag vergangener Woche ein stundenlanges Chaos im S-Bahn-Verkehr.
  • Die Feuerwehr sieht vor allem Probleme bei der Zusammenarbeit mit der Deutschen Bahn als Grund dafür.
  • Die Bahn hält dagegen, einige Einsatzkräfte der Feuerwehr würden "nicht die spezielle Erfahrung im Bahnbereich mitbringen".

Von Thomas Schmidt

Manchmal reicht schon ein achtlos in die Freiheit entlassener Luftballon, der gen Oberleitung schwebt, glitschiges Laub auf den Gleisen oder glitzernder Frost in den Weichen, und das hochsensible Münchner S-Bahn-System gerät aus dem Takt. Am Donnerstag vergangener Woche kam es weit schlimmer: Ein technischer Defekt in einem Trafo-Raum am Hauptbahnhof verursachte einen Brand, Tausende Pendler strandeten stundenlang im Feierabendverkehr.

Drei S-Bahnen steckten im Tunnel fest, 3000 Menschen kletterten aus den Zügen und liefen zum nächsten Halt. Doch ein Großteil dieses Chaos wäre zu vermeiden gewesen. Die Feuerwehr berichtet von Kommunikationspannen, versperrten Türen und verspäteten Technikern.

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Es begann am 27. April um 16.24 Uhr und 20 Sekunden. Ein automatischer Brandmelder schickte ein Signal an die Leitstelle: Rauch am S-Bahn-Halt Hauptbahnhof. Ein Defekt im Schaltschrank entfachte einen Schwelbrand. Einsatzkräfte rückten aus, fünf Minuten später waren sie vor Ort.

Sofort rochen sie den Qualm. Der Brandherd war schnell gefunden, ein Technik-Raum, etwa zehn Meter tief im Tunnel, am Rand der Gleise. Aus den Türritzen kroch Rauch. Die Einsatzkräfte wussten genau, wo sie löschen mussten - sie kamen aber nicht hinein.

Wenn es brennt, öffnen sich im Bahnhof automatisch Schlüsselkästen für die Feuerwehr. Doch wie Brandamtsrat Klaus Heimlich berichtet, ließ sich die Tür zum Trafo-Raum mit dem Generalschlüssel nicht öffnen. Ein Notfall-Transponder versagte ebenfalls. Seitens der Bahn wird später die Vermutung geäußert, der Beamte habe den Transponder womöglich verkehrtherum gehalten.

Die Einsatzkräfte jedenfalls zogen sich wieder zurück. Während sie nachdachten, was jetzt zu tun sei, lärmte ein Knall durch den Tunnel. Eine Verpuffung sprengte die Türen des Trafo-Raums aus den Angeln. Eigentlich war der Weg jetzt frei, doch es gab ein zweites Problem: den Strom.

Wer gab die falsche Anweisung?

Die Feuerwehr konnte den Trafo-Raum nicht betreten, bevor der Strom dort nicht gekappt war. Exakt um 16.33 Uhr, neun Minuten nach dem Alarm, forderte der Einsatzleiter einen Techniker der Bahn an. Doch der arbeitete gerade am Stadtrand, weit entfernt vom Bahnhof, erklärt ein Bahnsprecher auf Anfrage. Er sprang ins Auto, geriet aber auf der Schwanthalerstraße in einen Stau. Die Polizei eilte herbei, um den Techniker mit Blaulicht zum Bahnhof zu lotsen.

Dort angekommen, sprang der Techniker kurz darauf schon wieder ins Auto und fuhr zum Stachus, um dort ein Stromkabel zu erden. Bis er endlich so weit war, den Strom im brennenden Trafo-Raum zu kappen, vergingen beinahe zwei Stunden. Zwei Stunden, in denen die Einsatzkräfte nichts weiter tun konnten, als "aggressiv zu warten", wie Brandamtsrat Heimlich es ausdrückt.

Während der Wartezeit wurde der Fahrstrom der S-Bahnen gekappt, weswegen drei Züge im Tunnel stehen blieben. Bahn und Feuerwehr sind sich im Nachhinein einig, dass das überhaupt nicht notwendig war. Die Züge hätten problemlos zumindest bis zum nächsten Stopp weiterfahren können. Wer die - falsche - Anweisung gab? Heimlich sagt: "Nach Rücksprache mit der Einsatzleitung kann festgehalten werden, dass die Abschaltung nicht durch Kräfte der Feuerwehr veranlasst wurde."

Ein Sprecher der Bahn hingegen berichtet eine andere Version. Nach der Verpuffung habe die Feuerwehr wortwörtlich die Anweisung gegeben: "Sofort alles ausschalten!" In der Hektik habe dann niemand danach gefragt, wo die Züge gerade stehen. "Wenn wir von Einsatzkräften Anweisungen erhalten, dann zögern wir nicht", sagt der Bahn-Sprecher. Einig sind sich beide Seiten nur, dass die Abschaltung nicht notwendig war.

Um 19.05 Uhr war das Feuer gelöscht

Schlussendlich wurde niemand bei der Evakuierung durch den dunklen Tunnel verletzt und auch das Feuer war rasch gelöscht, nachdem die Einsatzkräfte zwei Stunden lang untätig auf den Techniker gewartet hatten. Es ist also noch mal alles gut gegangen. Doch auch wenn es sich bei diesem Einsatz um einen Extremfall gehandelt habe, gebe es immer wieder Probleme bei der Zusammenarbeit mit der Deutschen Bahn, sagt Brandamtsrat Heimlich.

Die Strukturen des Großkonzerns seien inzwischen derart komplex, dass die Einsatzleiter der Feuerwehr oft nicht wüssten, wer für was zuständig sei. Der Bahn-Sprecher hält vehement dagegen: "Die Feuerwehr weiß ganz genau, dass es bei uns einen Notfallmanager gibt." Womöglich liege es an der personellen Fluktuation bei der Feuerwehr, dass einige Einsatzkräfte "nicht die spezielle Erfahrung im Bahnbereich mitbringen".

Dem Schmorbrand im Trafo-Raum ging die Nahrung aus, bevor er sich auf andere Bereiche des Bahnhofs ausbreiten konnte. Um 19.05 Uhr war das Feuer gelöscht. Die Aufarbeitung des laut Bahn-Sprecher "ärgerlichen Vorfalls" wird deutlich länger dauern.

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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