Landgericht Landshut:Auf die falsche Fährte gesetzt

Prozess gegen Frauenarzt: Laut Zeugen hat der Angeklagte am Tattag auf die Alkoholsucht seiner Frau hingewiesen

Von Florian Tempel, Landshut

Am vierten Verhandlungstag im Totschlags-Prozess gegen den ehemaligen Erdinger Frauenarzt Michael B. drehte sich alles noch einmal um eine zentrale Frage: Wie kam es dazu, das der Tod seiner damals 60-jährigen zweiten Ehefrau zunächst nicht als brutale Gewalttat erkannt wurde? Woran lag es, dass alle, die am Abend des 4. Dezember 2013 an den Tatort kamen, der irrigen Annahme erlagen, die Frau habe sich bei einem unglücklichen Sturz eine tödliche Kopfverletzung zugezogen? Laut übereinstimmenden Aussagen mehrerer Zeugen lag das vor allem am Angeklagten. Er selbst habe jeden sehr deutlich darauf hingewiesen, dass seine zweite Ehefrau seit Jahren Alkoholikerin war und deshalb auch schon häufiger gestürzt sei.

Zunächst legten die Situation, wie die Leiche der Frau aufgefunden wurde, und weitere äußere Details einen Sturz der Frau von der Treppe aus dem Dachgeschoss herunter und durch die offene Tür ins Badezimmer im ersten Stock nahe. Die Leiche lag im Eingang zum Bad, die Füße ragten aber raus auf den kleinen Vorraum vor dem Badezimmer. Am Eingang zum Bad lag eine leere Weißwein-Flasche und ein Stuhl stand schräg an der Wand, wie nach einem Rempler hingekippt. Am Kopf der Leiche war eine größere Blutlache, sonst gab es aber kein Blut im Bad zu sehen. Die Leiche lag zudem auf der Seite, so dass man die vielen üblen Hämatome im Gesicht nicht sofort sehen konnte.

Als der Notarzt kam, saß der Angeklagte auf dem Boden, an die Badewanne gelehnt. Er habe ihn mehrmals aufgefordert, "helfen Sie doch meiner Frau". Da Michael B. selbst Arzt ist, empfand der Notarzt das im Nachhinein als "nicht ganz nachvollziehbar". Denn dass die Frau längst tot war, hätte ja auch für Michael B. offensichtlich sein müssen: Kein Puls war fühlbar und die Leichenstarre war ausgeprägt. Auch die Frage des Gynäkologen, ob denn so ein Sturz tödlich sein könnte, "war eine sonderbare Frage für einen Mediziner", sagte der Notarzt. Außerdem habe Michael B. ihm im Bad schon gesagt, seine Frau sei wegen ihrer Alkoholkrankheit schon öfter gestürzt. Da bei einem tödlichen Unfall sowieso die Polizei gerufen werden muss, nahm der Notarzt keine weiteren Untersuchungen vor. Er habe möglichst nichts verändern wollen. Hätte der Notarzt die Leiche gedreht, wären ihm wohl die vielen, von brutalen Schlägen herrührenden Hämatome aufgefallen. Als der Vorsitzende Richter ihm nun Fotos der Leiche vorlegte, zeigte sich der Notarzt indigniert.

Der Notarzt und seine Fahrerin gingen mit dem Angeklagten nach unten und setzten sich in die Küche. Dort lag auf dem Tisch ein Blatt Papier mit den frischen Ergebnissen eine Blutuntersuchung der Toten. Der Labortest wies extrem schlechte Leberwerte aus, wie sie vor allem Alkoholiker haben. Neben weiteren Berichten des Angeklagten zum Alkoholismus seiner Ehefrau verfestigten auch dieses Leberwerte die irrige Annahme, sie sei wohl betrunken gestürzt. Der Notarzt füllte schließlich das Formular der Todesbescheinigung dementsprechend aus: Die Ursache des Todes sei ein Schädel-Hirn-Trauma nach einem "häuslichen Unfall".

Auch die Notarztfahrerin war fest von dieser Version überzeugt: "Als wir gefahren sind, war da gar nichts mit Zweifeln." Die Beamten vom Kriminaldauerdienstes übernahmen ebenfalls die völlig falsche Sturzgeschichte. Erst die Obduktion am darauf folgenden Tag brachte es ans Licht: Das Opfer war extrem brutal verprügelt und anschließend erwürgt und erstickt worden.

Eine ehrenamtliche Mitarbeiterin des Kriseninterventionsteams berichtete besonders klar, wie der Angeklagte ihr von der Alkoholerkrankung seiner zweiten Ehefrau erzählt hatte. Er habe ihr berichtet, dass sie "schon länger", seit zehn oder zwölf Jahren abhängig gewesen sei. Sie sei eine "Pegeltrinkerin" gewesen. Man habe ihr die Alkoholsucht nicht angemerkt, habe er erklärt, "weil meine Frau hatte zwei Gesichter". Sie hab ihn auch gefragt, warum seine Frau keine Therapie gemacht habe, und er habe geantwortet, "weil sie nicht wollte".

Der Angeklagte behauptet im Prozess allerdings, dass er erst am Tag vor dem Tod seiner Frau von ihrer Alkoholkrankheit erfahren habe.

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