Mediaplayer:Panik im Konfetti-Regen

Vier amerikanische Regisseurinnen stellen im Epsiodenfilm "XX" das Horrorkino auf den Kopf und interpretieren das Genre nach ihren Vorstellungen neu. Das ist mal lustig, mal grausam, aber immer unterhaltsam.

Von Sofia Glasl

Was wohl aus Rosemary und ihrem Baby geworden ist? Der kleine Satansbraten müsste heute um die fünfzig sein, ein ausgewachsener Teufel also. Roman Polanski erzählte in seinem Horrorklassiker aus dem Jahr 1966 jedoch nur bis kurz nach dessen Geburt und endet mit Rosemarys Entscheidung, einem Hexenorden beizutreten. Der hatte sie nämlich als Gebärmaschine für des Teufels Nachwuchs benutzt, bot ihr aber gnädigerweise dennoch die Mutterrolle an. Nun, Frauen und vor allem Mütter haben es in Horrorfilmen selten leicht. Als Schreiköniginnen, "scream queens", sind sie in die Filmgeschichte eingegangen, durften bei Gefahr aus voller Kehle kreischen und sich dann meucheln lassen. Wenn sie die Bedrohung abwehrten wie in "Halloween" oder "A Nightmare on Elm Street", hießen sie "final girls", weil sie die letzten Überlebenden eines Horrortrips waren. Sehr viel mehr Selbstermächtigung wurde ihnen nicht zugestanden.

Anders in neuen Horrorfilmen, denn in den letzten Jahren drängt eine ganze Welle von Regisseurinnen in den Genrebereich, der bis vor Kurzem von den Jungs beherrscht wurde. Sie dehnen die Genregrenzen nach Belieben aus, sind sich dabei aber immer ihrer Horrorwurzeln bewusst. So auch die aus vier Kurzfilmen bestehende Anthologie "XX". Der Titel steht quasi chromosomatisch für die vier Regisseurinnen Karyn Kusama, Annie Clarke, Roxane Benjamin und Jovanka Vuckovic, aber auch für die sich wandelnden Rollenzuschreibungen der darin auftretenden Frauenfiguren. Karyn Kusama knüpft mit ihrem Kurzfilm "Her Only Living Son" direkt an Polanski an, deutet die Figur der Rosemary jedoch von einem instrumentalisierten Opfer zu einer eigenständigen Figur um.

Mediaplayer: Casey Adams in einer Folge des Episodenfilms "XX".

Casey Adams in einer Folge des Episodenfilms "XX".

(Foto: Koch Media)

Die alleinstehende Cora bereitet den 18. Geburtstag ihres Sohnes vor. Der jedoch hat sich im hormonbeschwingten Teenagerdasein zornig von ihr abgekapselt und ist kaum wiederzuerkennen. Als der Schuldirektor Andys gewalttätiges Verhalten gegenüber seiner Umwelt deckt und der Postbote Andeutungen über den leiblichen Vater des Jungen macht, ist Cora sich sicher, dass etwas nicht stimmt. Aus den Augen des eigenen Kindes blickt ihr das Andere entgegen und scheint für die endgültige Abnabelung zum Äußersten bereit. Cora kann und will sich nicht mehr wie Rosemary dem Teufelskind unterwerfen, stellt sich gegen das Böse in der eigenen Familie.

Karyn Kusama gelingt es dabei, das Spektrum zwischenmenschlicher Verlegenheiten und Beklemmung greifbar zu machen. Der Moment im Büro des Direktors, als Cora versteht, dass nicht ihr Sohn bestraft werden soll, sondern das Kind, dem er die Fingernägel ausgerissen hat, sickert auch beim Zuschauer nur widerwillig ein. Er löst Unverständnis und den notwendigen Perspektivenwechsel auf die bis dahin vom eigenen Familienhorror geknechtete Frau aus.

Diese starren Familienkonstruktionen des Horrorfilms beleuchtet Regie-Neuling Annie Clark, in ihrer Musikkarriere als Indie-Star St. Vincent bekannt, indem sie Melanie Lynskey in einer bonbonbunten und trotzdem pechschwarzen Horrorkomödie maximal am Ideal der perfekten Mutter scheitern lässt. Vom Gruppendruck der benachbarten Helikoptereltern eingeschüchtert, will sie zum siebten Geburtstag ihrer Tochter die Kinderparty des Jahrhunderts schmeißen.

Dumm nur, dass sie ihren Ehemann tot im Arbeitszimmer findet, denn das zerstört den Zeitplan. Für Trauer ist sowieso kein Platz auf diesem hysterischen Parcours aus Stolpersteinen. Die Nachbarin muss bespaßt, ein singender Entertainer im Pandakostüm gebändigt und nun auch noch die Leiche verborgen werden. Clarke entfaltet den psychologisch-subjektiven Horror nicht subtil wie Kusama, aber ähnlich treffend, wenn sie kreischend bunt den Horror sozial oktruierter Festivitäten auf die absurde Spitze treibt. Konsequent lässt Annie Clarke diese Farce in Konfettiregen und Tortenschaum explodieren und zieht so einen grinsenden Schlussstrich unter das alte Rollenbild der selbstaufopfernden Mutter. Was wohl passiert wäre, wenn Rosemary sich das schon getraut hätte?

Der Episodenfilm XX erscheint am 26. Mai auf DVD und Blu-ray (ab 13,99 Euro) und ist als Video on Demand verfügbar.

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