Immobilien:Wenn Unternehmen Platz für Hunderte neue Wohnungen machen

Sprengung des Agfa-Hochauses in München-Giesing, 2008

Das vierzehn-stöckige Agfa-Werk in Giesing wurde 2008 gesprengt.

(Foto: Stephan Rumpf)
  • Freie Flächen in München sind knapp, doch immer wieder schafft der Wegzug großer Unternehmen Platz für neue Quartiere.
  • So produziert etwa die Paulaner-Brauerei ihr Bier inzwischen am Stadtrand in Langwied, auf dem ehemaligen Firmengelände in der Au rücken jetzt die Bagger an.
  • Auch in anderen Stadtteilen wird abgerissen, entkernt und neu gestaltet.

Von Alfred Dürr

München ist eine der am dichtesten bebauten Großstädte in Deutschland. Wo sollen also die Grundstücke für neue Wohnungen herkommen? Seit vielen Jahren findet ein Strukturwandel bei Gewerbe und Industrie statt. Ehemalige Betriebsflächen verlieren ihre Funktion und schaffen Platz für andere Nutzungen. Die Paulaner-Brauerei ist nach Langwied an den Stadtrand gezogen. 1500 Wohnungen kommen auf die frei gewordenen Grundstücke in der Au. Auch bei anderen Unternehmen mit prominenten Firmennamen gab und gibt es solche Veränderungen.

An einem strahlend schönen Sonntag im Februar 2008 wurde das Agfa-Hochhaus an der Tegernseer Landstraße spektakulär in Schutt und Asche gelegt. Rund 15 000 Menschen verfolgten eine der größten Sprengaktionen in der Geschichte der Stadt. Das Ende des 52 Meter hohen Turms, der 1959 errichtet worden war, bedeutete auch einen Neuanfang für das Gelände der traditionsreichen Film- und Kamerafabrik, die seit 1927 besteht. In dem "Wohn- und Gewerbepark" sollten bis zu 1000 Wohnungen, außerdem Büros, ein Hotel, Kindertagesstätten und Geschäfte, Gastronomie sowie Arztpraxen entstehen.

Zum städtebaulichen Konzept gehört auch der zwei Hektar umfassende Weißensee-Park. Die Architektur der Gewerbekomplexe entlang der Tegernseer Landstraße orientiert sich an der Gestalt der Vorgängerbauten. Das neue Hochhaus hat also die Dimensionen des alten Agfa-Turms.

Nichts mehr wird dagegen an den einstigen Sitz des Teigwarenherstellers Bernbacher in der Au erinnern. Das Unternehmen verschwand nach mehr als 100 Jahren aus der Stadt und bezog neue Produktionsstätten im Gewerbegebiet von Hohenbrunn im Landkreis München. Schon länger war Bernbacher an seine Kapazitätsgrenzen gestoßen.

Aus Platzgründen mussten Lagerflächen außerhalb Münchens genutzt werden. Wieder wurde eine große Fläche für neue Planungen frei: Rund 230 Wohnungen sollten dort entstehen. Allerdings war an dieser Stelle die Umwandlung eines Gewerbeareals in ein Wohngebiet eine große Herausforderung für die Planer. Viele Wohnungen liegen an der stark befahrenen Bahnstrecke und an der lauten Balanstraße.

Osram ist in die Parkstadt Schwabing gezogen

Die Architekten gestalteten die Fassaden so, dass die Bewohner Luft und Tageslicht bekommen, aber auch vor den Belastungen, die von den Gleisen und der Straße ausgehen, so gut wie nur möglich geschützt sind.

2011 wurde bekannt, dass wieder einmal in einem der alteingesessenen Großunternehmen die Umzugskisten gepackt werden. Nach gut 45 Jahren verließ der Lichthersteller Osram seinen Stammsitz unterhalb des Grünwalder Stadions. Das neue Domizil befindet sich seither in dem Hochhaus am nördlichen Ende der Parkstadt Schwabing. Auf dem frei gewordenen Gelände sind rund 420 Wohnungen geplant.

Entwicklungsschub im Werksviertel

Das künftige Quartier liegt einerseits in unmittelbarer Nähe der Isarauen, ist aber auch den Lärm- und Schadstoffbelastungen, die vom Mittleren Ring ausgehen, ausgesetzt. Mit einer speziellen Anordnung der Wohnblocks reagiert die Architektur auf diese Situation. Nicht erhalten werden konnten Fassade und Eingangshalle des ehemaligen Hauptgebäudes. Als herausragende Zeugnisse für Nachkriegsarchitektur standen sie unter Denkmalschutz.

Eine ganz andere Geschichte hat das Gebiet zwischen Frieden-, Mühldorf-, Ampfing-, Anzinger, Aschheimer und Rosenheimer Straße, das unter dem Begriff "Werksviertel München" geplant wird. Die Geschichte des Industriegebiets beim Ostbahnhof geht bis auf das Jahr 1904 zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte ein Entwicklungsschub ein, der von Unternehmen wie Pfanni, Rohde und Schwarz, der Spedition Rhenania oder der Industrieverwaltungsgesellschaft IVG geprägt wurde. Viele Betriebe verließen von den Siebzigerjahren an das Areal. In die leeren Hallen zog 1996 der Kunstpark Ost ein. Das Partygelände wandelte sich schließlich zu einem der interessantesten Städtebauprojekte in der Stadt.

Im Werksviertel gab es nicht nur Pfanni

Markant ist vor allem das sogenannte Werk 3, das in früheren Zeiten wesentlicher Bestandteil der Kartoffelknödel-Fabrik Pfanni war. In seinen Grundstrukturen blieb es erhalten, wurde dann vollständig modernisiert und aufgestockt. Das Werk 3 ist das Zentrum des Werksviertels, um das sich weitere Projekte entwickeln. Der benachbarte frühere Kartoffelspeicher wird aufgestockt. Geplant ist dort unter anderem ein Hotel.

Aber auch neue Hochhaus-Projekte prägen das Bild. Und zum Prozess der Erneuerung gehört natürlich auch der künftige Konzertsaal. Außerdem sind Wohnungen und ein Park geplant. Es ist ein Charakteristikum des Werksviertels, das nicht alles einst Vorhandene abgeräumt und durch neue Bauten ersetzt wird. Zeugnisse aus der Vergangenheit sollen immer wiedersichtbar sein - und damit dem Quartier ein besonderes Markenzeichen verleihen.

Ganz anders als etwa beim Rodenstock-Gelände in der Isarvorstadt zwischen Auen-, Ehrengut- und Isartalstraße. Wie beim Bernbacher-Areal blieb nichts mehr von der Geschichte des Herstellers von Brillengläsern und -fassungen an dieser Stelle übrig. Die Fabrikgebäude wurden abgerissen, um Platz zu machen für das Wohnquartier Rodenstock-Garten. Nur der Name gibt also einen Hinweis auf das 1877 gegründete Unternehmen.

Die neuen Wohnhäuser gruppieren sich um einen ruhigen und begrünten Innenhof. Wieder zur Geltung kommen sollte der unterirdisch verlaufende Westermühlbach. Er fließt oben an den Terrassen der Erdgeschosswohnungen vorbei. Die Lage des Quartiers zwischen Dreimühlen- und Glockenbachviertel gilt als außergewöhnlich gut. Allerdings gab es anfangs viele Proteste aus der Nachbarschaft. Manche Bewohner konnten sich mit dem modernen Fremdkörper in ihrer Gegend, die von vielen alten und zum Teil auch denkmalgeschützten Häusern geprägt ist, nicht anfreunden.

Bei den Planungen für eine Umstrukturierung des Siemens-Areals in Obersendling musste dagegen keine Rücksicht auf die architektonische Geschichte der Umgebung genommen werden. Entsprechend opulent waren die ersten Entwürfe für ein Neubau-Viertel. Dort sollte sogar so etwas wie eine Skyline das Bild prägen. Neben den 75-Meter-Turm aus dem Jahr 1963 sollten nämlich zwei 112 und 148 Meter hohe Bauten gestellt werden.

Immer wieder Anleihen an die alten Namen

Doch nach dem Hochhaus-Bürgerentscheid, wonach Bauten nicht höher als 100 Meter in den Himmel ragen dürfen, und auch aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen hat Siemens schließlich auf das ehrgeizige Neubau-Projekt verzichtet. Wesentliches Merkmal des aktuellen Erscheinungsbildes des Wohn- und Geschäftsquartiers sind fünf nahe beieinanderstehende, knapp 50 Meter hohe Wohnhäuser.

Klein, aber fein gibt sich das Projekt "Lagot" an der Ismaninger Straße in Alt-Bogenhausen. Liest man das Wort für die Neubau-Anlage von hinten nach vorn, kommt "Togal" heraus. 1914 ist das Pharmaunternehmen in München gegründet worden. Die Firma hat ihren Stammsitz verlassen; dort stehen nun moderne Bauten mit exklusiven Eigentumswohnungen. Der neubarocke Altbau, der zur Togal-Verwaltung gehörte, blieb erhalten. In der noblen Stadtvilla befinden sich Büros und Wohnungen.

Auch das ehemalige Gelände des einstigen Motorrad-Herstellers Zündapp an der Anzinger Straße in Berg am Laim macht Karriere. Die Fabrikationshallen sind längst verschwunden. Ende der Achtzigerjahre entstand dort ein mächtiger Gewerbeblock. Aber schon lange arbeitet dort niemand mehr. 2013 fand sich ein mutiger Investor, der aus der Bürohaus-Brache ein attraktives und lebendiges Quartier machen will. Rund 400 Wohnungen sind geplant. Die Gestaltung lehnt sich an das benachbarte Werksviertel an: Fassaden mit Klinkersteinen und loftartige Grundrisse der Wohnungen interpretieren die Industriearchitektur längst vergangener Zeiten.

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